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Ein für allemal – Drohung oder Befreiung?   

Winfried Bader zur Lesung am 4. Adventssonntag: Hebr 10,5–10, SKZ 49/2012

 

Wenn man zu Kindern etwas «ein für alle Mal» sagt, dann war da meist ein Streit, der nun auf Grund von Autorität beendet wird. Es gibt keinen weiteren Widerspruch mehr. Es wird die aktuelle Situation geklärt und für die Zukunft dies als Regel und Richtschnur gesetzt. Eine Erklärung «ein für alle Mal» kann im Kontext eines Arbeitsprozesses auch hilfreich sein. Es bedeutet, ab jetzt gilt diese Regel verbindlich, Einwände und Diskussionen von früher sind abgeschlossen. Man hat nun eine verlässliche Grundlage, mit der man weiterarbeiten kann, es gilt! Was die Verfasserin des Hebräerbriefes in dem heutigen Abschnitt erklären will, gilt – und es ist nach Hebr 7,27 und Hebr 9,12 das dritte Mal, dass sie das so bekräftigt – «ein für alle Mal» (Hebr 10,10). Sind das Drohungen oder soll das die Leserinnen und Leser befreien?

Was in den Schriften steht

Die Schrift, die Hebräerbrief genannt wird, ist eigentlich kein Brief, es fehlen die Adressaten. Lediglich der (sekundäre Schluss) mit Situationsbezug und Gruss (Hebr 13,23–24), der aber auch nur ein Begleitbrief bei der Zustellung der Schrift sein kann, erinnert daran. Der Hebräerbrief ist eine von der unbekannten Verfasserin in einem Guss durchkomponierte Abhandlung. Sie ist eine theologische Predigt in drei Teilen: christologische Grundlegung (Hebr 1,1–5,10), Entfaltung der Christologie (Hebr 5,11–10,39) und Folgerungen für den Weg des Glaubens (Hebr 11,1–13,22). Sie beschäftigt sich mit Dualismen, zeitlich gedacht von «Altem» und «Neuem Bund», räumlich gedacht von «himmlischem Urbild» und «irdischem Abbild». Im Argumentationsgang greift die Verfasserin ausführlich auf die heiligen Schriften der jungen christlichen Gemeinde, den jüdischen TaNaK, zurück. Der heutige Abschnitt ist eine für die christliche Theologie aktualisierte Auslegung von Psalm 40 und Psalm 51. In Psalm 40 beschreibt ein Beter seine Rettung von Gott aus einer Not: «Er zog mich herauf aus der Grube des Grauens» (Ps 40,3). Und wie zu Beginn des Psalters wird dann dieser Mensch gepriesen, «der sein Vertrauen auf Gott setzt» (Ps 40,5). In dieser Haltung formuliert nun der Psalm-Beter und nimmt den Gedanken von Jes 1,11 auf: «Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch ein Ohr (so der hebräische Text. LXX liest: Leib) hast du mir geschaffen; an Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen» (Ps 40,7–8 = Hebr 10,5–7, ähnlich Ps 51,18). So geht der Psalm-Beter hin zu Gott und bringt statt der Opfer Gott eine Schriftrolle, in der er seine Rettungserfahrung mit Gott und sein dankbares Vorhaben aufgeschrieben hat: «Ja, ich komme! In dieser Schriftrolle steht, was an mir geschehen ist: Deinen Willen zu tun, macht mir Freude» (Ps 40,8–9). Statt Opfer also den Willen Gottes tun, das hatte schon Jesaja vorgeschlagen: «Lernt Gutes zu tun! Sorgt für das Recht! Helft den Unterdrückten! Verschafft den Waisen Recht, tretet ein für die Witwen!» (Jes 1,17). Der mechanische und sinnleere Vorgang des Opferns soll durch eine innere Haltung begleitet und ersetzt werden, die aus dieser Haltung heraus Gottes Wirken in der Welt, sein Eintreten für die Armen, sichtbar macht. Der Hebräerbrief legt das Psalmzitat in den Mund von Christus und verleiht ihm eine kosmische Dimension: «Christus spricht bei seinem Eintritt in die Welt» (Hebr 10,5). Was im Psalm eine, aber nicht die einzige Form der Frömmigkeit und des Gottesdienstes ist, wird durch diese zeitliche Fixierung «Eintreten in die Welt» absolut gesetzt und klingt wie eine Begründung für das Kommen Christi. Da Gott keine Opfer will, braucht es etwas anderes, nämlich Christus. Weiter werden im Mund Christi die Gedanken des Psalmzitats anders aufeinander bezogen: «Da sagte ich: Ja, ich komme – so steht es über mich in der Schriftrolle –, um deinen Willen, Gott, zu tun» (Hebr 10,7). Das hat drei gedankliche Konsequenzen: Zum einen ist das Kommen Christi durch den Psalm vorhergesagt: «Ich komme!» Zum zweiten wird das Verhältnis von den vorliegenden alten Schriften zum neuen Kommen Christi bestimmt: «So steht es über mich in der Schriftrolle.» Die Schriften erzählen bereits von Christus. Er ist angesagt, über ihn wurde schon erzählt. Und zum dritten ist es Christus, der «den Willen Gottes» tut. Das impliziert, dass die Forderung Gottes, nicht mehr Brandopfer zu bringen, erst durch Christus erfüllt, der nun (erstmals) diesen Willen ausführt. Die Verfasserin legt dann selbst dar, was sie mit diesen Zitaten ausdrücken will. Ihr geht es um ein Schwarz-Weiss-Malen. Die Brandopfer sieht sie als Forderung des Gesetzes Mose (Hebr 10,8). Das ist einseitig, sie interpretiert den Psalm (nicht nur Ps 40 sondern auch Ps 51) falsch und übersieht die bereits in TaNaK geführte Diskussion, um das richtige Verständnis der Opfer, wie es sich bei Jesaja (s. o.), Amos (z. B. Am 5,12– 25) und Jeremia (z. B. Jer 7,22–23) findet. A uf dieser schwarzen Folie deutet sie das Kommen Christi als das Aufheben des Ersten und das Inkraftsetzen des Zweiten (Hebr 10,9). Christus erfüllt nicht das Erste – wie es seine Ankündigung in der Schrift nahelegen könnte –, sondern Christus hebt das Erste auf, es wird nicht mehr gebraucht. Das Zweite, was jetzt in Kraft gesetzt wird, ist die Heiligung der Christinnen und Christen. Diese Heiligung erfolgt aber nach dem alten Modell des Opfers. Neu ist, dass Christus dieses Opfer ist, und neu ist, dass dies «ein für alle Mal» (Hebr 10,10) gilt.

Mit der Verfasserin des Hebräerbriefs im Gespräch

«Ein für alle Mal» – jetzt ist Schluss! Es ist durch die Heiligung ein Endpunkt gesetzt, was war, ist vergangen. Gesagt aber im Modus der Drohung: Und wenn es wieder vorkommt, dann gibt es keine Chance mehr. «Denn wenn wir vorsätzlich sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, gibt es für diese Sünden kein Opfer mehr» (Hebr 10,26). «Ein für alle Mal» heisst hier, einmalig und nie mehr wieder. Luthers Gnadentheologie passt mit diesen Ideen nicht zusammen. Deswegen stellt er auch den Hebräerbrief (ohne eine laufende Nummer) in seinen Anhang des Neuen Testaments und wertet ihn damit ab. Luther in dem Punkt zu widersprechen, fällt schwer. «Ein für alle Mal» – ein Opfer reicht, und dann braucht es nie wieder eines. Da überlese ich gerne die weiteren Äusserungen der Verfasserin und bleibe bei dem Satz Hebr 10,10 und deute ihn als Befreiung: Opfer ist ein schlechtes Modell. Wer leidet, ist immer der Arme und Unterdrückte, der sein Opfer bringt. Profiteur ist immer der Grosse und Mächtige, dem das Opfer gebracht wird. In der realen Wirkungsgeschichte wurde das «ein für alle Mal» oft überlesen, und – nach dem Vorbild Christi – immer wieder neue Opfer von Christinnen und Christen gefordert, die am Ende nicht ihrer Heiligung, sondern dem Gewinn der Herrschenden dienten. «Ein für alle Mal» – jetzt ist Schluss! Die verlässliche Grundlage ist endgültig gegeben: Es braucht nie wieder Opfer – ihr seid geheiligt und befreit!