Wir beraten

Weiterbildungstag für Katechetinnen   

Ein Teilprojekt zur biblischen Beseelung der Pastoral

Vorüberlegungen und Ziele

Bei einem Stundenbesuch war der Gemeindeleiterin von St. Stephan ein Widerspruch zwischen der Unterrichtspraxis und dem Leitbild der Pfarrei zur Katechese aufgefallen. Dabei ging es um den Umgang mit biblischen Wundergeschichten im Religionsunterricht. Im Leitbild heisst es:

«Der Religionsunterricht soll frei bleiben von fundamentalistischen Sichtweisen der Bibel. Die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften sollen in den Unterricht einbezogen werden. Wir wünschen uns, dass wir in späteren Jahren der Begleitung der Kinder nichts von dem zurücknehmen müssen, was wir ihnen in jungen Jahren an religiösen Inhalten vermittelt haben.»

Dieses Ziel wird aber verfehlt, wenn man die biblischen Wundergeschichten vermittelt, als hätten sie sich einmal genau so abgespielt. Doch wie können die biblischen (Wunder-)Geschichten Kindern anders vermittelt werden?
So entstand die Idee, einen Weiterbildungstag zu biblischen Wundergeschichten für Katechetinnen anzubieten. Er fand am 13.11. statt und stand unter dem Titel «Märlistunde? Vom Umgang mit biblischen Wundergeschichten». Die reformierte Gemeinde machte mit und so fand der Studientag, an dem 7 Katechetinnen teilnahmen, ökumenisch statt. Vorbereitet und geleitet wurde er von Elke Kreiselmeyer und Peter Zürn

Vorgehen und Methoden

Als Einstieg wurde die gestaltete Mitte vorgestellt: auf einem langen Tuch lagen eine Fotokamera mit Fototasche, ein Fotoalbum mit Schere und Kleber, ein weiteres aufgeschlagenes Fotoalbum und schliesslich ein drittes Album in Zeitung verpackt. Die Gestaltung der Mitte soll verstehbar machen, wie die Bibel entstanden ist und wie sie von verschiedenen LeserInnen wahrgenommen wird: Elke Kreiselmeyer erzählte:
«In meiner Familie bin ich bei Urlaubsreisen die Fotografin. Mit der Kamera wähle ich jeweils aus, welche Motive ich fotografiere. Mein Mann würde ganz andere Fotos machen. Irgendwann lade ich die Bilder auf den Computer herunter oder bringe die Filme in das Fotogeschäft zum Entwickeln. Dafür steht die Fototasche. Wir schauen uns die Bilder an. Inzwischen liegt die Reise einige Zeit zurück. Neue Ereignisse werfen ein neues Licht auf den Urlaub. Im Rückblick ergänzen persönliche Erinnerungen die Schnappschüsse. An einem ruhigen Abend, manchmal Monate nach der Reise, gestalte ich das Album. Ich möchte die Erinnerung festhalten. Meine Tochter soll später sehen können, was wir erlebt haben, als sie klein war. Beim Gestalten des Albums stelle ich die Bilder oft um. Ich stelle etwa einen tollen Blick auf das Urlaubshotel an den Anfang – ein Bild, das ich erst am  letzten Tag gemacht habe. Irgendwann, manchmal Monate später, ziehen wir als Familie das Fotoalbum hervor und schauen es uns an. Dabei fallen jedem andere Erinnerungen an den Urlaub ein. Mein Mann fand das Hotel toll, ich einen Museumsbesuch und unsere Tochter das Eis am Strand. Schliesslich das letzte Album in Zeitungspapier: Ich stelle mir vor, dass eines Tages die Kinder meiner Tochter auf dem Dachboden die alten Alben aus der Kinderzeit ihrer Mutter finden. Was werden sie sehen? Was denken sie über unser Leben heute?»

Wie lässt sich das auf die Bibel übertragen? Wir versuchten es am Beispiel der Evangelisten. Jeder Evangelist sammelt bestimmtes Material. Manches haben alle gemeinsam, teilweise haben die einzelnen Evangelisten andere Motive gewählt. Jeder ordnet und deutet dieses Material auf seine Weise, nach seinen Leitmotiven. Die erzählte Geschichte ist nicht die ganze Geschichte. Andere haben anderes erlebt und würden anders erzählen. Die Leserinnen  und Leser, die selbst nicht dabei waren, lesen die Geschichte immer auf dem Hintergrund ihrer Zeit und ihrer Lebenserfahrungen. Je mehr Zeit vergeht, desto fremder werden die Geschichten. Aber die späteren Leserinnen und Leser sind mit den früheren Generationen verbunden. Sie sind Teil der Überlieferungsgeschichte. Alle können die Geschichte mit dem eigenen Leben verknüpfen.

Um erfahrbar zu machen, dass die Vielfalt der Leseweisen bereits zum Text gehört und ihn besser verstehbar macht, führten wir einen Bibliolog zur Geschichte der Tochter des Synagogenvorstehers Jairus durch (Mk 5,21-24.35-43).
Im Bibliolog wählten die Teilnehmerinnen nacheinander verschiedene Rollen: eine Frau aus der Menschenmenge, Mirjam, die Schwester des Jairus, Jakobus, der als einer von drei Jüngern mit Jesus in das Haus geht, Rebekka, die Frau des Jairus, die Mutter des Mädchens und schliesslich Sara, ein Dienstmädchen im Haus des Jairus, die dem Mädchen etwas zu essen bringt.
Der nächste Schritt diente dazu, eine der Rollen im Text zu vertiefen und sich noch stärker einzufühlen. Die Teilnehmenden schrieben wahlweise einen Tagebucheintrag der Tochter zwei Tage später, einen Brief der Schwester des Jairus an ihre Freundin, einen Brief des Jairus an den Rabbiner der Gemeinde etc. Die entstandenen Texte werden im Plenum vorgelesen und Rückmeldungen dazu eingeholt.
Zum Schluss des Vormittagsprogramms wurde ein Handout zum biblischen Wunderverständnis abgegeben und auf die am Morgen gemachten Erfahrungen bezogen:


Handout: Was die Bibel unter Wunder versteht

1. Im Griechischen, also in der Sprache, in der das Neue Testament geschrieben wurde, gibt es ein bestimmtes Wort für den deutschen Ausdruck «Wunder»: thauma bzw. im Plural thaumata.
Es kommt aber in den Evangelien nicht vor, wenn es um die besonderen Taten Jesu geht.
In den synoptischen Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas steht dafür das Wort dynameis. Dieses Wort bedeutet «Kraft», «Stärke», «Energie», «Schwung», «Bewegung».  Es ist uns aus den Worten «dynamisch/Dynamik» oder «dynamo» bekannt.

Beispiele in den Evangelien sind Mk 9,39 und Mt 7,22.  Hier übersetzen die meisten Bibelübersetzungen «Wunder», es steht aber dynameis das
Das Johannesevangelium verwendet den Ausdruck semeion, «Zeichen».

Weil es heute aber um Texte aus dem Markusevangelium geht, werden wir uns auf den Ausdruck «Dynameis» konzentrieren. Die biblischen Wundergeschichten sind also eigentlich Dynamis-Geschichten. Es sind Geschichten, die davon handeln, wie Gottes Dynamik erfahren wird.

2. In der Bibel ist durchgehend davon die Rede, wie Gottes Dynamik, Gottes Kraft, Stärke, Wirkung in der Welt erfahren werden kann. Zuerst und vor allem natürlich in der Schöpfung, in der Natur, im Menschen. Sie werden vor allem in den Psalmen in diesem Sinn als Wunder Gottes bezeichnet (Ps 8, Ps 104).
Das Wunder der Dynamik Gottes zeigt sich also biblisch nicht im Gegensatz zur Natur und ihren Gesetzen, sondern gerade in der Natur mit der Fülle ihrer Möglichkeiten. Die Dynamis Gottes, seine Wunder zeigen sich in der Macht des Lebens. Dabei ist natürlich solche Lebensmacht besonders auffällig, die sich gegen die herrschenden Erwartungen durchsetzt: die Geburt eines Kindes nach langem Warten, Befreiung von Schwachen aus der Macht der Starken etc.
Der Ausdruck «dynamis» wird dementsprechend auch in einer viel weiteren Bedeutung gebraucht als nur für die klassischen Wunder. Maria wird von der dynamis des Höchsten berührt und schwanger (Lk 1,35), Jesus und die Jüngerinnen und Jünger predigen in dynamis (Lk 9,1) und der Auferstandene spricht allen Glaubenden die dynamis Gottes aus der Höhe zu (Lk 24,49).

 

Der Nachmittag diente dann der Werkstattarbeit mit ganz konkreten Bibeltexten und ihrer Umsetzung in den Unterrricht. Im Zentrum stand das Ziel, biblische Texte auf die dahinter stehenden (damaligen und heutigen) Erfahrungen hin durchlässig zu machen, sich dabei aber so genau als möglich vom Text selbst leiten zu lassen. Dafür wurde zunächst ein Modell vorgestellt, das aus zwei Schritten besteht:

1. Vom Text zur Erfahrung
2. Von der Erfahrung zur Begegnung mit dem Text

Das Modell wurde anhand des Bibeltextes vom «Sturm auf dem See» (Mk 4,35-41) konkretisiert.

1. Vom Text zur Erfahrung: Zunächst wurde der Text mehrmals gelesen. Dann wurde versucht, ihn genau wahrzunehmen. Dabei richtete sich der Blick auf:

  • Worte bzw. Wortfelder, die mehrmals vorkommen: Boot, Sturm, Wind, See, Wellen, Angst/Furcht
  • Direkte Rede: «Wir wollen ans andere Ufer fahren», «Meister, kümmert es dich nicht…», «Schweig, sei still…», «Warum habt ihr solche Angst…», «Was ist das für ein Mensch…»: Es werden viele offene Fragen gestellt.
  • Handelnde Personen: Jesus – die JüngerInnen  – vor allem in Beziehung zueinander
  • Handlungsworte dieser Personen: zu ihnen sagen, fortschicken, wollen, sitzen, liegen, schlafen, wecken, rufen, sich kümmern, aufstehen, drohen, sagen, zu ihnen sagen, zueinander sagen: Es gibt viel Beziehung und Kommunikation.
  • …

 

Der Wurm

Um bei der Vielfalt von Würmern besondere Gattungen zu bestimmen, muss man genau hinsehen. Es gilt, kleineste Zähnchen oder Borsten abzuzählen. Allerdings reichen zwei Wochen aus, um sich mindestens ein Grundwissen zu verschaffen.
Vergleichbares gilt für die Beschäftigung mit der Bibel: Es braucht genaues Hinsehen und Lesen. Die Bibel fordert Achtsamkeit im Umgang mit ihr. Aber Grundqualifikationen und -kenntnisse lassen sich auch in relativ kurzer Zeit erwerben.


Worum geht es also dem hier genau wahrgenommenen Bibeltext?

Um Gefühle bzw. Haltungen von Menschen in einer bedrohlichen Situation
Um die offene Frage, was in solchen Situationen «glauben» bedeutet.

Um die Frage, was die Beziehung zu Jesus  für die Menschen, die ihn begleiten bzw. ihm nachfolgen, bedeutet.

Um …


Ausgehend von diesen Textbeobachtungen wurde nach entsprechenden Erfahrungen von Kindern gefragt. Hier einige Beispiele, wie die im Gespräch mit den Kindern bewusst gemacht und vertieft werden können:

  • z.B. im Schwimmkurs: Wie ist es im Bottminger Bad, wenn man noch nicht schwimmen kann? Wenn man Flügeli braucht? Wer erinnert sich noch an den Moment, als sie/er das erste Mal selbständig schwimmen konnte? Wer war wichtig dafür, dass man die ersten Versuche im Wasser machen konnte? Mami? Papi? SchwimmlehrerIn?
  • Wovor habt ihr Angst? Nachts im Dunkeln? Alleine im Haus, in der Wohnung? Wenn niemand aufmacht, wenn Du klingelst? Vor Streit? Wie fühlt sich Angst an? Das Wort «Angst» kommt von «eng». Lässt Angst anders atmen?
  • Welche Strategien kennt ihr, mit Angst umzugehen? Was hilft euch bei Angst vor Tests, Angst vor Streit, Angst vor Trennung der Eltern.
  • Mit wem sitzen die Kinder in einem Boot? (Schulklasse, der Weg durch das Schuljahr als Fahrt im Boot, Stürme kommen, Ist jemand da, der dem Wind gebieten kann? Wer ist das, wie muss die Person sein?)
  • Was ist für euch in einer Beziehung/Freundschaft wichtig? Was macht eine Freundschaft tragfähig und verlässlich? Welche Beziehungen habt Ihr, die Euch bei Angst/Sturm/Chaos helfen?
  • Ein Erlebnis herstellen von Chaos und völliger Stille: Schreien, wilde Bewegungen, wedelnde Tücher und danach auf ein Zeichen hin: völlige Stille. Wie fühlt sich das an?
  • …

 

2. Von der Erfahrung zur Begegnung mit dem Text: Dazu wurden drei Gruppen gebildet, die die folgende Aufgabe bekamen:

 Bereitet eine Unterrichtsstunde für eine bestimmte Klasse, die ihr vor Augen habt, vor.

Wählt einen der folgenden Texte:

-          Jesus und Bartimäus (Mk 10,46-52)

-          Das Speisewunder (Mk 6,30-44)

-          Mose am Dornbusch (Ex 3,1-12)

Nehmt den Text genau wahr. Worum geht es dem Text?
Sucht nach entsprechenden Erfahrungen in eurer Lebenswelt und der Lebenswelt der Kinder.
Entwickelt von dort aus eine Unterrichtsstunde mit den 3 Schritten:

-          Einstieg

-          Begegnung mit dem Text

-          Festhalten der Erfahrungen

Nach der Gruppenarbeit wurde vom jeweiligen Prozess berichtet. Die drei Ergebnisse wurden vorgestellt und miteinander reflektiert und besprochen.
Abschliessend wurde noch einmal ein Handout mit weiteren methodischen Anregungen ausgegeben


Die Drachme

Die gestaltete Mitte zu Beginn des Studientages mit Fotoapparat und Fotoalben wirkte mit ihrer Ästhetik und der Klarheit ihrer Bildsprache einladend und erkenntnisfördernd gleichermassen.

Der Wurm

Es gibt 25»«˜000 beschriebene Arten von Würmern. Darüber hinaus vermutet man aber das 40fache, also 1»«˜000 000 weitere noch nicht entdeckte und beschriebene Arten.
Für die Katechetinnen war es eine besondere Erfahrung gerade in vielfach gelesenen und im Unterricht bearbeiteten Texten noch etwas Neues, manchmal sogar ganz überraschend und umwälzend Neues zu entdecken.


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