Wir beraten

Im Vertrauten fremd gehen 2011 – der Bericht   

Mit der Bibel auf dem Jakobsweg

Montag, 2. Mai 2011

Die Gruppe
Eine vielfältig zusammengesetzte Gruppe traf sich bei strahlendem Sonnenschein am Morgen des 2. Mai 2011 vor der Kirche Dreikönigen in Zürich-Enge:
12 Menschen, 7 Frauen und 5 Männer, in den 30ern, 40ern, 50ern und 60ern, mit unterschiedlicher Zugehörigkeit und Nähe zu einer christlichen Kirche, mit Anreisewegen zwischen 1 und 1000km, mit und ohne Vorerfahrungen auf dem Jakobsweg, mit ganz verschiedenen Lebens- und Glaubenswegen...

Die biblischen Pilgerfiguren
In der Kirche Dreikönigen dann richtete sich der Blick zunächst auf das grosse Fenster im Chorraum mit seinen 5x7 einzelnen Glasbildern zu biblischen Geschichten. Bilder als Fenster zur Bibel und zum Himmel. Sie wurden 1951/52 von Paul Monnier aus Sion entworfen.

6 dieser Bilder, 6 biblische Figuren bzw. Figurengruppen waren ausgewählt worden als Begleiterinnen und Begleiter auf dem Jakobsweg:


Adam und Eva und Kain aus den biblischen Urgeschichten, mitlaufende Anfänge...
Die drei Könige bzw. weisen Sterndeuter/innen und der Prophet Jona, als Referenz an den Ausgangspunkt der Pilgerreise, die Kirche Dreikönigen, aber auch als Bilder für weite, offene Horizonte...
Die Emausjünger (ein namentlich bekannter und eine namenlose) und Maria von Magdala, Begegnungen mit dem Lebendigen als Ausdruck von Sehnsucht und Verheissung...
Und weil selbst die Fülle der biblischen Bilder dieses Fensters nicht die Fülle der biblischen Geschichten erreicht, gab es noch eine siebte Figur bzw. Figurengruppe, Rut, Noemi und Orpa, die mit einem Bild aus den Glasfenstern von Dan Rubinstein in der katholischen Kirche Stäfa präsent waren, an der wir im weiteren Verlauf des Tages vorbeilaufen würden.

Die Bilder dieser sieben Figuren lagen schliesslich auf den Stufen zum Altarraum, versehen mit jeweils zwei Verben: Tätigkeits- oder besser Bewegungsworte – Ausdruck äusserer und innerer Bewegungen
- Adam und Eva: Vertrautes verlassen (müssen) – frei sein (müssen)
- Kain: weggehen – mit Brüchen leben
- Rut, Noemi, Orpa: ins Fremde gehen – aufeinander angewiesen sein
- Sterndeuter/innen: der Neugier folgen – sich Gefahren aussetzen
- Jona: ausweichen – ins kalte wasser geworfen werden
- Emaus: mit brennendem Herzen unterwegs sein – verändert zurückkehren
- Maria von Magdala: tief berührt sein – auf andere zugehen
Mithilfe der Bilder und der Worte wählte sich jede/r eine biblische Figur(engruppe) als Begleitung während der Pilgerwoche aus.
Gewählt wurden Jona (3x), Adam und Eva, Sterndeuterinnen, Emausjüngerin (je 2x), Maria von Magdala, Rut und Noemi und Kain (je 1x).
Die Pilgerinnen und Pilger stellten sich dann vor und erzählten, warum sie gerade diese Figur ausgewählt hatten. Die erste Berührung zwischen Lebensgeschichte und Bibelgeschichte wurde ins Wort gebracht und mit den anderen geteilt.
Jede Pilgerin, jeder Pilger bekam schliesslich ein kleines blaues Heft mit auf den Weg – mit dem ausgewählten Bild, den zwei Verben, dem entsprechenden Bibeltext und einer kurzen theologischen Deutung der Figur als Modell für eine bestimmte Art des Unterwegsseins. Diese Deutungen stammten bzw. waren inspiriert von Detlef Lienau und seinem Buch «Sich fremd gehen. Warum Menschen pilgern» (Grünewaldverlag 2009), das unsere Pilgerwoche bis in ihren Titel hinein geprägt hat.

Eva und Adam zum Beispiel: Bibeltext und Deutung

Die Feier zum Beginn der Pilgerwoche
Die Auswahl der Figuren und die Vorstellungsrunde auf den Stufen zum Altarraum war bereits der erste Teil der Feier zu Beginn unserer Pilgerwoche. Dazu entzündeten wir eine Kerze, die uns als Pilgerkerze durch die Woche begleiten sollte.
Jede Vorstellung begann mit einem vers aus dem Buch des Propheten Jesaja: «Wenn du durchs wasser schreitest, bin ich bei dir, wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt, fürchte dich nicht, ich habe dich bei deinem Namen gerufen» (Jes 43,1-3).
Ein erstes gemeinsames Lied aus dem Pilgerliederbuch des Pilgerzentrums St. Jakob am Stauffacher in Zürich – «Eingang und Ausgang, Anfang und Ende, liegen bei dir Gott, füll du uns die Hände» und die Bitte um den Segen Gottes für den vor uns liegenden Weg, gehörten ebenfalls dazu.

Segensgebet (Karin Klemm, Baden)

Gottes Segen komme über uns
wie die Luft, die wir zum Atmen brauchen
Gottes Segen sei unter uns
wie der Boden, der uns trägt und hält
Gottes Segen sei in uns
wie das Herz, das uns am Leben hält.
so sei es
im Namen Gottes
der Liebe
der Hoffnung
und der Kraft für neue Anfänge.
Amen

Die erste Pilgerstrecke
Der Weg führte uns dann zunächst per Bahn nach Horgen und per Schiff über den Zürichsee nach Meilen. Dort nahmen wir den Aufstieg auf den Panoramaweg unter die Füsse, der uns vier Stunden lang bis nach Feldbach führte.
Unterwegs gab es Zeiten der Stille und einen Impuls an der Verenaquelle bei Stäfa. Die Ägypterin Verena (sie war ja der Legenda nach mit der thebäischen Legion, d.h. aus Theben in Ägypten in die heutige Schweiz gekommen) führte zur Ägypterin Hagar, der der Engel Gottes am Brunnen in der Wüste zwei Fragen stellte:
Hagar, Sklavin Saras, woher kommst du und wohin gehst du?
Wir gingen mit diesen Fragen in Stille und erzählten uns von unseren Antworten. Vom Woher der eigenen Lebens- und Familiengeschichte und vom Wohin, das mehrheitlich im Ungewissen und Offenen lag.
Kurz vor dem Bahnhof Feldbach wurde zum ersten Mal unser heutiges Ziel, Rapperswil, mit den markanten Türmen sichtbar.
Vom Bahnhof Feldbach aus gab es die Möglichkeit, die asphaltreiche Strecke durch die Stadt mit der S-Bahn zu «umgehen». Wer sie unter die Füsse nahm, begegnete in der Kapelle St. Ursula in Kempraten am Rand von Rapperswil den 14 Nothelfern und einem Gedanken von Anselm Grün über das Verwandeln von Wunden in Perlen anhand der Heiligen und ihrer Legenden.

Das erste Ankommen

Die wunderschöne Pilgerherberge von Rapperswil bot uns Unterkunft in der ersten Nacht. Ihre Athmosphäre und der Geist des Jakobswegs, den der Hospitalero Bruno Kunz (www.sinnwaerts.ch) für uns verkörperte, trugen zur Initiation als Pilgerin und Pilger bei, die sich an diesem ersten Tag an uns vollzog.
Den Abschluss des Tages bildete das Mitfeiern der Komplet, dem Abendgebet im Kapuzinerkloster, wo uns das Lied «Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht, Christus meine Zuversicht» geschenkt wurde, das uns von da an durch die Woche begleitete.

Impressionen aus der Herberge

Dienstag, 3. Mai

Frühes Aufstehen und Regen – zwei der herausfordernden Seiten des Pilgerlebens begegneten uns gleich am zweiten Tag.





Der Gang über den Pilgersteg und die Besinnung in der Kapelle Hurden richteten uns aus. In der Kapelle Hurden richteten wir den Blick auf den gestrigen Tag zurück und fragten nach den ersten Schritten mit unserer biblischen Figur. Wir beschrifteten Füsse aus Papier mit unseren Wortbildern dafür.

Einige erste Schritte:
Eva: Furcht und Einsamkeit
Vorwärts – nur Mut!
Zweifel
Muss das sein?
Neue Perspektive
Neu-Land
Wunden achten
Aufbruch
Aufbruch, aufmerksam sein, Neues wagen

Der heutige Tag bot dann Zeit und Raum, mit der biblischen Figur weiter zu gehen, die Texte im Heft zu lesen, nach den eigenen Bedürfnissen Stille und Gespräch zu suchen.





Viel Stille umgab uns auf dem langen Aufstieg nach St. Meinrad, aber auch viele Zweiergespräche entstanden beim Laufen, die den Weg verkürzten. Eine Idee für die nächste Durchführung der biblischen Pilgerwoche ist es, die Meinradslegende mit den Raben als Midrasch der Geschichte Elijas in 1 Kön 17,2-7 zu lesen.

In Einsiedeln angekommen, führte uns unser Mitpilger Max Stierlin in die bildnerische und architektonische Gestaltung der Klosterkirche ein. Ein Plan der Bildelemente gab Orientierung für eigene Erkundungsgänge. Schliesslich nahmen wir an der Vesper und dem Salve-Regina-Gesang der Mönche teil.
Die Klosterkirche und die Liturgien lösten unterschiedliche Reaktionen aus – Beheimatung und Befremden. Die Bibel brachte sich in einer ironischen Brechung ins Gespräch ein, indem als Lesungstext inmitten des Einsiedler Tempels Offenbarung 21 erklang: «Ich sah die Heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen ... Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel».
Am Abend, im Schweizer Jugend- und Bildungszentrum, gab es Impulse für diejenigen Teilnehmer/innen, die selbst Pilgerreisen oder Wallfahrten für Gemeinden und Gruppen anbieten wollen. Marlene Moritz berichtete von den langjährigen Pilgererfahrungen der Gemeinde St. Antonius in Wallisellen, Peter Zürn informierte über Initiativen und Angebote rund um den Jakobsweg in der Schweiz.

Mittwoch, 4. Mai

Leider konnte die morgendliche Besinnung nicht wie geplant in der Klosterkirche in der Au (Benediktinerinnenkloster) durchgeführt werden, da dort eine Schwester gestorben war und die Abdanklungsfeier stattfand. So begannen wir den Tag im Meditationsraum des Bildungszentrums. Wir erinnerten zunächst an die Erfahrung des ersten Tages, als die Frage «woher kommst du?» sich leichter und genauer beantworten liess als die Frage «wohin gehst du?». Ein Gedicht von Silja Walter lud uns ein, unserer Sehnsucht Raum und Worte zu geben. Offene Fürbitten machten Fäden sicht- und spürbar, die uns mit Daheimgebliebenen und der Welt ausserhalb des Jakobsweges verbanden. Wieder beschrieben wir einen Fuss aus Papier, benannten einen Sehnsuchtsschritt und steckten den Papierfuss in die Hosentasche, auf dass er uns auf dem Weg dieses Tages begleiten sollte.
Und auch in die andere Hosentasche kam ein Zettel. Ein kleines Blatt mit einer weiterführenden Frage zur biblischen Figur und zur genaueren Wahrnehmung ihres Bibeltextes. Die Fragen:
- Zu Adam und Eva / Gen 3: Warum macht Gott den beiden Menschen «Röcke aus Fellen» Gen 3,21 , wo sie doch schon «Schurze aus Feigenblättern» 3,21 haben?
- Zu Kain: Was sagt Gott zu Kain in Gen 4,11-12 und was hört Kain in 4,14? Warum der Unterschied?
- Zu Rut/Noemi/Orpa: Was zieht ins «Grünland Moab», was zieht ins «Haus des Brotes» (Bethlehem)?
- Zu Jona: Was meint Jona in seinem Gebet mit den «nichtigen Götzen» 2,9?
- Zu den Sterndeuter/innen: Reicht der Stern als Wegweiser um ans Ziel zu kommen?
- Zu den Emausjünger/innen: Was ist der Unterschied zwischen «trägen Herzen» Lk 24,25 und «brennenden Herzen» 24,32 und was hat das mit dem Erschliessen der Schrift 24.32 zu tun?
- Zu Maria von Magdala: Was ist der Unterschied zwischen «verkündigen» und «ausrichten» Joh 20,18?

Und leider stellte sich an diesem Tag auch heraus, dass sich bei einigen Pilgerinnen Blasen an den Füssen gebildet hatten, die zu einer Wanderpause zwangen. Zum Glück bot unser Gepräcktransport heute die Möglichkeit die Strecke im Auto zurückzulegen.




Der heutige Weg führte uns zunächst sanft bergauf nach Alpthal und schliesslich steil hinauf nach Hagenegg auf über 1400m.
Eine andere Gruppe von JakobspilgerInnen aus dem Wallis war mit uns unterwegs. Von ihnen lernten wir in einer Kirche den Text eines Jakobsliedes, das auf die Melodie von «Grosser Gott, wir loben dich» gesungen wird:
Sankt Jakobus, Schutzpatron
für die Pilger hier auf Erden.
Du stehst jetzt vor Gottes Thron,
bitt´, dass wir zu Zeugen werden.
Wir, die unterwegs hier sind,
jeder seinen Weg auch findt.

Eine besondere und unerwartete Entdeckung im Tal war das Restaurant Pfauen, das eigens für uns seine Türen öffnete und die Kaffeemaschine in Betrieb setzte (und das obwohl das Besitzerpaar auf dem Sprung nach Zürich war, um dort Eheringe auszusuchen!). Eine besondere und erwartete Entdeckung auf Hagenegg war die Pilgerkapelle auf der Passhöhe mit weitem Blick auf den Vierwaldstättersee. Vor dieser Kapelle gestalteten wir eine weitere Besinnung zur Auseinandersetzung mit der biblischen Pilgerfigur. Nach einigen Tagen gemeinsamen Unterwegsseins wurde gefragt, ob die beiden Tätigkeitsworte zur Figur, die anfangs die Wahl dieser Figur begleitet hatten, sich inszwischen verändert hatten, ob neue Worte entstanden und aufgekommen seien.

Die neuen Worte zu Adam und Eva waren:
- Erkennen – Verantwortung übernehmen
- Das Paradies ist nicht verloren, es ist aber unsichtbar geworden

Einige weitere neue Worte:
- Gehen macht das Herz leichter (Emaus)
- Neue Wege, nicht alle Wege (Sterndeuter)


Nach dem steilen Aufstieg nahmen wir den ebenso steilen Abstieg nach Schwyz unter die Füsse. Von dort aus brachte uns ein Bus ins Kloster Ingenbohl nach Brunnen. Ein schöner Zufall, dass der Busfahrer zugleich Alphornspieler war und uns zur Hauptprobe seiner Alphorngruppe am Abend an der Spitze der sogenannten Himmelsleiter einlud, der grossen Freitreppe von Brunnen hinauf zum Collegium des Klosters.
Der Empfang durch die Nonnen, die die Pilgerherberge des Klosters betreuen, war genauso herzlich wie die Spaghetti reichlich und schmackhaft.

Nach den Tagen, an denen jede Pilgerin und jeder Pilger mit der je eigenen, gewählten biblischen Figur als Begleitung unterwegs war, begann an diesem Abend das Gespräch zwischen den verschiedenen Figuren und Bibeltexten. Als Gesprächgrundlage diente: ein weiterer Bibeltext. Die Vielfalt, die Pluralität von Lebensentwürfen, von Glaubenserfahrungen und Sprachen, in denen diese Erfahrungen Auswdruck finden, wurde zum Thema. Welcher Text eignet sich dafür besser als die Urgeschichte vom Turmbau zu Babel und welche Methode ist geeigneter als der Bibliolog (www.bibliolog.ch).
Nach dem Alphornkonzert stand also ein Bibliolog zu Genesis 11 auf dem Programm. Historisch dürfte diese Erzählung durch den grossen Stufenturm (Zikkurat), in Babel, der so hoch war, dass er im Bewusstsein der damaligen Zeit bis zum Himmel hinaufreichte, inspiriert sein. Da die Ingenbohler Himmelsleiter heute Ort von Alphornklängen war, gingen wir der Geschichte von Gen 11 auf der kleineren Treppe direkt vor der Pilgerherberge nach.
Sie entwickelte sich zu einer Auseinandersetzung um die darin reflektierte Beziehung Gottes zu den Menschen – straft er? rettet er? – und zu einer Auseinandersetzung darum, ob Vielsprachigkeit, Vielstimmigkeit, Pluralität von Menschen Heil oder Unheil, Segen oder Fluch bedeutet.
Der Bibliolog zu Gen 11

Donnerstag, 5. Mai

Der Tag beannt mit der Besichtigung der Bundeskapelle in Brunnen. Max Stierlin richtete unseren Blick auf die Auswahl und Darstellung der Heiligen, die jeweils etwas über die Lebensbedingungen der Menschen an diesem Ort und zu ihrer Zeit verraten.

Nach einer kurzen Überfahrt über den See setzten wir unsere Wanderung in Treib fort. Die Wegstrecke dieses Tages war eher kurz (3,5 Stunden) und liess für einen Teil der Gruppe genug Kraft und Zeit für einen Abstecher nach Emmetten in eine Kapelle mit einem spektakulären Totentanz und berührenden Votivtafeln. Der Abstieg in die Risletenschlucht war spektakulär und herausfordernd. Etwas Vergleichbares findet sich bis Santiago kaum noch! Der Risletenbach mündet in den Vierwaldstättersee, der an diesem Tag sogar zum Bade einlud.

Impressionen von der Wanderung Treib-Beckenried

Inhaltlich stand dieser Tag unter der Übeschrift «Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Im Zentrum stand der Text aus dem Propheten Jesaja im Zentrum, der in Auszügen bereits zur Vorstellungsrunde am ersten Tag erklang. er wurde bei der Morgenmeditation auf dem Bootssteg in Treib gelesen und die Pilgerinnen und Pilger nahmen in nachher mit auf die Tageswanderung. Hier der Text:

1 Jetzt aber – so spricht der Herr, / der dich geschaffen hat, Jakob, / und der dich geformt hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, / ich habe dich beim Namen gerufen, / du gehörst mir.
2 Wenn du durchs Wasser schreitest, bin ich bei dir, / wenn durch Ströme, dann reissen sie dich nicht fort. Wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt, / keine Flamme wird dich verbrennen.
3 Denn ich, der Herr, bin dein Gott, / ich, der Heilige Israels, bin dein Retter. Ich gebe Ägypten als Kaufpreis für dich, / Kusch und Seba gebe ich für dich.
4 Weil du in meinen Augen teuer und wertvoll bist / und weil ich dich liebe, gebe ich für dich ganze Länder / und für dein Leben ganze Völker.
5 Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir. / Vom Osten bringe ich deine Kinder herbei, / vom Westen her sammle ich euch.
6 Ich sage zum Norden: Gib her!, / und zum Süden: Halt nicht zurück! Führe meine Söhne heim aus der Ferne, / meine Töchter vom Ende der Erde!
7 Denn jeden, der nach meinem Namen benannt ist, / habe ich zu meiner Ehre erschaffen, / geformt und gemacht.

Spielerisch lud der Tag dazu ein, dem eigenen Namen und dem Namen der biblischen Pilgerfigur nachzugehen. Etwa indem die Buchstaben eines Namens untereinander geschrieben und die einzelnen Buchstaben zu Worten ergänzt wurden:

P – ilgern
E – nergie
T – ief
E – ilig
R – osenduft
K- ämpfen
A – ckern
I – irdisch
N -eugierig

Das lässt sich noch bis zur kunstvollen Figur eines Akrostichons ausbauen, bei dem die ergänzten Worte einen Satz ergeben:

M – iteinander
A – ufbrechen
R – eisen
L – ernen
E – rleben
N – achdenken
e – rkennen

Oder indem mit den einzelnen Buchstaben auf kleinen Post-it-Zettelchen Anagramme gebildet wurden.
Oder gar (für Fortgeschrittene) indem – analog zum Hebräischen und Griechischen den Buchstaben Zahlenwerte gegeben und nach anderen Worten mit dem gleichen Zahlenwert gesucht wurde. Auslöser dafür war die Beobachtung der Höhenmeterangabe an einem Ort unterwegs: 666, wodurch die Zahlensymboli z.B. im Buch der Offenbarung an Johannes eingespielt wurde (Offb 13,18).

Die Pilgerwanderung endete für diesen Tag in Beckenried. von dort setzten wir mit dem Schiff nach Luzern über.
In Luzern stand ein Stadtrundgang auf den Spuren des Jakobsweges auf dem Programm. Sie führte uns in die Sentivorstadt, wo wir nach einem alten Stadtbild von 1597 (Martin Martini) den Standort des ehemaligen Pilgerspitals (Pilgerherberge) suchten und fanden und etwas über die Unterbringung und Verpflegung von Pilgerinnen und Pilger früherer Zeiten erfuhren – inklusive der Lektüre von Auszügen aus der «Ordnung des Jakobusspitals Luzern von 1514 bzw. 1591).
Die Informationen über «Jakobus und die Stadt» verdanken wir dem detailgenauen Buch des Luzerner Historikers Werner Göttler mit dem gleichnamigen Titel (Luzerner Historische Veröffentlichungen Band 35, Basel 2001).
Ausserdem führte uns der Stadtrundgang vor die Statuengruppe von Zebedäus, seiner Frau Salome und ihren Kindern Johannes und eben Jakobus. Nachdem wir zuerst das Bild dieser Familie auf uns wirken liessen und uns gegenseitig von unseren Wahrnehmkungen erzählten, wurden alle neutestamentlichen Texte, in denen diese Figuren vorkommen, vorgelesen (es sind insgesamt 15). Danach schauten wir die Figuren nocheinmal neu an und liessen die Texte auf unseren Blick einwirken. Schliesslich stellte sich jede und jeder zu der Figur, die sie am stärksten angesprochen hatte und brachte die Gründe für diese Wahl ins Wort.
Der Tag schloss damit, dass wir 12 historische Jakobspilgerinnen und Pilger kennenlernten, die aus Luzern oder der Umgebung stammten oder die ihr Weg in die Stadt geführt hatte. Jede und jeder von uns bekam einen kurzen Text über diese Person bzw. die Personengruppe (aus dem Buch von Göttler), versetzte sich in sie und erzählte in Ich-Form über seine/ihre Erfahrungen auf dem Jakobsweg. Vorausgesetzt wurde, dass nur solche Pilgererfahrungen aktenkundig wurden, die irgendwie aus dem Rahmen fielen (z.b. durch eine Anzeige und Gerichtsverhandlung). «Normale», unauffällige Pilgererfahrungen sind nicht erhalten geblieben. Ziehen Sie daraus Ihre eigenen Schlüsse!

Da wir ja – speziell mit dem Blick auf Seelsorgende als Zielgruppe – eine verkürzte Teilnahme von Montag bis Donnerstag angeboten hatten, stand in Luzern auch der erste Abschied von einer Teilnehmerin an.

Freitag, 6. Mai

Wir verzichteten auf die asphaltreiche Stadtetappe durch Luzern und Kriens und fuhren mit dem Bus nach Obernau.

Kurz bevor uns dort der Wald wie mit einem Portal in sich aufnahm, feierten wir eine Morgenandacht. Worte von Jacqueline Keune, die 2011 den Preis des religiösen Buches in der Schweiz entgegen nehmen konnte, liessen uns achtsamer an den Weg

«herantreten

Lass offenbaren uns
vom Maiglöckchen
den Liebreiz.

Lass lernen uns
vom Wetter
die Unbeständigkeit.

Lass zeigen uns
von den Spatzen
die Sorglosigkeit.

Lass abschauen uns
bei den Wolken
die Ziellosigkeit.

Lass einflüstern uns
vom Wind
die Veränderung.

...

Lass entfalten uns
vom Rosenduft
die Grosszügigkeit.»


Damit machten wir uns auf den Weg durch einen spektakulären Felsdurchbruch nach St. Jost, wo wir trotz der Renevierungsarbeiten in die Kapelle hineinschauen konnten und Pläne der Kapelle am Boden und an der Decke fanden:


Schliesslich kamen wir über Malters nach Werthenstein.
Impressionen

In Werthenstein angekommen, übernachteten Vier von uns in der kleinen, aber feinen Pilgerwohnung im ehemaligen Kloster, die anderen im Gasthaus Emme. Bei wunderschönem Wetter trafen wir uns auf einem Platz vor dem Pfarreisekretariat mit dem Pilgerladen zu einer weiteren gemeinsamen Bibelarbeit. Diesmal stand der Text von der Berufung des Mose am brennenden Dornbusch im Zentrum.

Der Text: Exodus 3,1-10

5 Orte aus diesem Text waren im Stuhlkreis besonders gestaltet worden und wurden benannt. Die ersten vier bildeten einen Kreis:
- der Ort der alltäglichen Mühe und Arbeit, unfrei, mühselig, aber gewohnt und vertraut
- der Ort der Verheissung, das Land wo Milch und Honig fliessen
- der Ort der Berufung und Ermächtigung
- der Ort der eigenen Zweifel und Widerstände
Der 5. Ort lag im Zentrum des kreises:
- der Ort des Dornbusches, der brennt, aber nicht verbrennt, Heiliger Boden

Alle waren eingeladen, die bisherigen Tage des Unterwegsseins mit ihrer biblischen Figur zu erinnern, ihnen nachzuspüren und dann den Ort aufzusuchen, der sie jetzt im Moment am Stärksten anspricht. Nachdem alle ihren Ort gefunden hatten, wurden sie eingeladen, eine Körperhaltung oder Geste zu finden, die dem eigenen Dasein an diesem Ort Ausdruck verleiht. Und schliesslich waren alle eingeladen, ein Wort in sich aufsteigen zu lassen oder dem Dasein an diesem Ort einen Namen zu geben und es auszusprechen, mitzuteilen, mit anderen zu teilen.

Daran anschliessend spielten wir ein Bibliodrama nach den Schritten der Wislikofer Schule für Bibliodrama und Seelsorge (www.bibliodramaundseelsorge.ch).

Nach dem Nachtessen schloss dann der Tag mit einer Feier in der Klosterkirche, die wir zuvor gemeinsam vorbereitet hatten.
Wir sangen die Lieder, die uns durch die Woche begleitet hatten. Wir erinnerten uns an wichtiger Erlebnisse und schrieben ein weiteres Mal auf einen Fuss aus Papier. Es ging um Schritte, die uns für den bevorstehenden Alltag wichtig geworden waren und die eir nicht vergessen wollten. Der beschriebene Fuss-Schritt wurde in ein Kuvert gesteckt, das jede und jeder an sich selbst adressierte und das 10 Tage nach der Pilgerwanderung dann zugeschickt wurde. Es gab Raum, um Dank zu sagen für das, was in der vergangenen Woche wichtig geworden war. Für jede Danksagung wurde eine Kerze angezündet. Es erklang nocheinmal der Jesajatext «Ich habe dich bei deinem Namen gerufen...»

Samstag, 7. Mai 2011

Den letzten Tag unserer Pilgerreise begannen wir mit einem weiteren Abschied und dem Pilgersegen, der auf unseren Pilgerpässen abgedruckt ist, auf den Weg.
Die Wanderung von Werthenstein nach Willisau (Impressionen)
wurde immer wieder unterbrochen von kleinen Pausen des Rückblicks:
- auf der ersten Krete zwischen Werthenstein und Buholz mit dem weiten Blick zurück und nach vorne wurde gefragt: welchen Weg bin ich in dieser Woche gegangen? Was habe ich hinter mit gelassen? Was liegt vor mit? Was ist die Perspektive meiner Sehnsucht? Nach einer kurzen Still sagen wir

«Wechselnde Pfade
Schatten und Licht
Alles ist Gnade (oder: Ist alles Gnade?)
Fürchte dich nicht!»

- in der Kapelle Buholz wurde gefragt: Welches waren Orte der Kraft, Rastplätze für die Seele unterwegs für dich? Wieder erklangen die wechselnden Pfade.

- am früheren Richtplatz, einem Ort klarer und auch schmerzhafter Entscheidungen wurde nach möglichen Entscheidungen gefragt, die ich diese Woche getroffen habe oder die die Woche klarer gemacht hat – wechselnde Pfade...

- und an einem schönen Wegstück unterwegs, das zu Gesprächen mit der/der neben mir Laufenden einlud, wurde gefragt, wer die wichtigen Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter für mich waren...




Eine besondere Station auf dem Weg war die Kirche St. Jakob in Geiss mit mehreren Jakobus-Statuen.

Das letzte Wegstück nach Willisau – Willisau de Compostela, dem Endpunkt unserer Pilgerreise – zog sich lange hin. Zum ersten Mal verpasste ein Teil der Gruppe den «rechten» Weg und musste sich über eine lange Asphaltstrecke in die Stadt schleppen. Schliesslich versammelten wir uns in der Katholischen Kirche Willisau und sangen das biblische Wort, das dem Ende unserer Wanderung und unseren Gefühlen an diesem Ort angemessen war: Hallelujah!!!
Wir blätterten in unseren Heften mit Bibeltexten, Deutungen unserer biblischen Pilgerfigur und eigenen Aufzeichnungen und lasen in einer art Texctcollage einzelne Sätze vor, die uns auf dem Weg wichtig geworden waren. Dazwischen erklang das Hallelujah. Wir folgten dem Wort: Wenn ihr wissen wollt, wie unser Gott ist, dann nehmt Brot und teilt es. Wenn ihr wissen wollt, wie unser Gott ist, dann nehmt Wein und teilt ihn miteinander. Wir teilten Brot und Wein am Ende unseres gemeinsamen Unterwegsseins. Und ganz am Schluss wählte sich jede und jeder von uns eine weitere, neue Wegbegleiterin bzw. einen Wegbegleiter – für die kommenden Wege.
An den Fenstern des Kirchenschiffes befinden sich links und recht je 14 Glasmosaike, die eine Heiligenfigur zeigen. Links 14 Frauen, rechts 14 Männer. Zu jeder Figur hatten wir – ähnlich wie zu Beginn zu den biblischen Pilgerfiguren – ein Wort ausgewählt, das sich aus der Heiligenlegende oder der bildlichen Darstellung speiste. Mit dem Bild und den beiden Worten entschied sich jede und jeder für eine der Figuren und stellte mit einem Satz die Auswahl vor. Danach erhielt jeder und jede ein kleines Farbbild der Figur und einen kleinen Text mit der Heiligenlegende – für das Wegheft.

Die Heiligen Frauen und Männer und ihre Worte

Danach gingen wir mit einem letzten Segenswort auseinander und auf neue Wege...