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Vorurteilen oder dulden?   

Winfried Bader zum Evangelium am 16. Sonntag im Jahreskreis: Mt 13,24–43 SKZ 27-28/2011

Jeder kennt sie, die hilfreichen Medikamente mit ihren lästigen Nebenwirkungen. Offensichtlich können die Wirkstoffe bei ihrer Arbeit im Körper nicht treffsicher unterscheiden, was böse und was gute Zellen, Viren oder Bakterien sind. Sie machen dann zu viel und rotten nicht nur das Störende aus, sondern beschädigen auch das Gesunde.

Was hat dieses Bild mit Ihrer Sonntagspredigt zu tun? Homöopathen arbeiten anders, mit mehr Geduld!

Jesus verwendet auch Bilder, um seine Botschaft zu verkünden. «Mit dem Himmelreich ist es wie …» und danach folgt ein Bild, das wie das Bild oben einfach zu greifen, aber nur schwer auf das Himmelreich zu interpretieren ist. Die Leseordnung des 16. Sonntags mutet uns gleich drei solcher Gleichnisse zu, die ganz unterschiedliche Bilder verwenden und zu ganz verschiedenen Aussagen über das Himmelreich führen. Eines davon wird gedeutet, eine Reflexion über den Sinn von Gleichnissen noch eingeschoben – ein bisschen viel. Ich möchte mich auf das erste Gleichnis (Mt 13,34-30) mit seiner Deutung (Mt 13,36-43) beschränken.1

«Was in den Schriften geschrieben steht»

Die Parabel vom «Unkraut auf dem Acker» – so nennt Matthäus selbst diesen Abschnitt (Mt 13,36) – wird durch die Oppositionen säen und ernten (Mt 13,24.30), wachsen und getrennt werden (Mt 13,26.30) zusammengehalten. Übers Kreuz werden dann noch Weizen, der zuerst gesät wird, und Unkraut, das zuerst geerntet wird, hinzugefügt. Ausgangslage sind die beiden verschiedenen Samensorten auf dem Acker, der Weizen und das Unkraut (Mt 13,24–25). Von den Sklaven des Ackerbesitzers wird die Situation angesprochen: Woher kommt das Unkraut? (Mt 13,27). Da gibt es einen Gegenspieler zum Hausherrn, der das Unkraut sät.

Der zweite Redegang wird durch die Sklaven eröffnet mit dem Vorschlag, das Unkraut auszureissen (Mt 13,28), den der Hausherr aber ablehnt. Dem Hausherrn ist der Weizen zu wertvoll, und er will keinerlei Gefahr eingehen, dass dieser gefährdet wird. Er bringt nun eine Zeitspanne des Duldens ins Spiel. Der kairos – der gute Moment des Erntens – muss abgewartet werden. Das ist die gute Zeit, um zu unterscheiden zwischen Unkraut und Weizen.

Das Bild, das Matthäus hier verwendet, entspricht durchaus der Realität damals. Unreines Saatgut war ein echtes Problem, und der Fall, dass ein Feind vorsätzlich Saatgut verunreinigt oder aussät, wird sogar im römischen Recht verhandelt. Sind Samen ausgebracht, kann man sie nicht mehr unterscheiden – vorher geht das natürlich, denn man reinigt das Saatgut z. B. durch Sieben. Der Midrasch überlegt: «Man weiss erst, was der Same ist, bis das Wasser herabströmt und kundtut, ob sie vom Eigentümer des Feldes ausgesät sind, oder was andere gesät haben.» Hier ist schon die Interpretation angesprochen, die in dieser Parabel liegt. Geduld zu haben, um nichts Gutes zu gefährden.

Matthäus legt Jesus eine Deutung der Parabel in den Mund. Zunächst kommt ein kleiner Katalog, welche Dinge aus dem Bild allegorisch mit einer Sache gleichzusetzen sind (Mt 13,37–39). Abgeschlossen wird die Deutung durch eine kleine Apokalypse, was am Ende der Zeit sein wird (Mt 13,40–43).

Botanisch ist dieses Unkraut der Taumellolch, ein giftiges Gras. Die Blätter der spriessenden Pflanze lassen sich nur schwer vom Weizen unterscheiden. Erst wenn die Ähren entwickelt sind, kann man den Unterschied klar erkennen. Beim Ernten ist das wichtig, denn würden die Lolchsamen in den Weizen kommen und zu Mehl verarbeitet werden, wäre das Mehl giftig und würde Schwindelgefühle auslösen. Der Lolch wird daher getrennt geerntet und als Hühnerfutter verwendet.

Matthäus nimmt sein Bild aber nicht nur aus der Beobachtung der Landwirtschaft, sondern Züge finden sich auch im Ersten Testament. Die Vorstellung, dass die Menschen selbst von Gott gesät werden, um auf der Erde zu wirken, findet sich schon in den Psalmen: «Von Jahr zu Jahr säst du die Menschen aus; sie gleichen dem sprossenden Gras. Am Morgen grünt es und blüht, am Abend wird es geschnitten und welkt» (Ps 90,5–6). Das Aussäen der Menschen durch Gott, unter fremde Völker, also mit der Gefahr, durch Unkraut erstickt zu werden, findet sich bei Sacharja: «Ich habe sie unter die Völker gesät; doch in der Ferne werden sie an mich denken. Sie werden mit ihren Kindern am Leben bleiben und heimkehren» (Sach 10,9).

Nach einer erfolgten Umkehr werden die Menschen zur Belohnung im eigenen Land ausgesät: «Ich säe sie aus in meinem Land. Ich habe Erbarmen mit Lo-Ruhama, und zu Lo-Ammi sage ich: Du bist mein Volk!, und er wird sagen: Mein Gott!» (Hos 2,25). Das Bild von Weizen und Unkraut kennt auch Ijob: «Es sollen Dornen wachsen statt Weizen, statt Gerste stinkendes Kraut» (Ijob 31,40).

Auffällig ist an der Deutung durch Jesus, dass die Sklavinnen und Sklaven, die in der Parabel vorkommen, nicht erklärt werden. Vielleicht sollen sich hier die Leserinnen und Leser erkennen, die mit Übereifer andere vorverurteilen und dabei auch die Falschen erwischen. Die Sklavinnen und Sklaven spielen sicherlich auch auf die Propheten an, denn diese werden ja oft als Sklaven YHWHs bezeichnet, z. B. bei Jeremia. «Von dem Tag an, als eure Väter aus Ägypten auszogen, bis auf den heutigen Tag sandte ich zu euch immer wieder alle meine Knechte, die Propheten» (Jer 7,25). So übernehmen sie im Texte diese Funktion, den Grund für Fehlverhalten zu untersuchen, wie damals die Propheten, und Gegenmassnahmen einzuleiten, so wie sie es mit dem Ausreissen des Unkrauts gerne tun möchten.

Das Bild der Ernte als Gericht ist vom Propheten Jesaja übernommen: «Dann wird es sein, wie wenn ein Schnitter die Halme packt und mit seinem Arm die Ähren abmäht» (Jes 17,5).

Es gibt eine rabbinische Parabel vom Baum mit Lebenssaft (= Jakob = Israel) und vom Baum mit Todessaft (= Esau = Weltvölker). Zwar ist dies ein anderes Bild, von der Idee aber der matthäischen Parabel sehr ähnlich. Auch hier geht es darum, ob man die Bäume mit Lebenssaft und Todessaft zusammen wachsen lassen kann. Die biblische Geschichte zeigt, das Gott die beiden, Jakob und Esau, zusammen aufwachsen lies, ohne einen davon auszurotten, und sie zusammen zu Israel und den Weltvölkern in einem guten Miteinander heranwachsen liess.

Mit Matthäus im Gespräch

«Lasst beides zusammen wachsen bis zur Ernte» (Mt 13,30) ist der Höhepunkt des Gleichnisses. Das Gleichnis will nicht nur mit seiner kleinen Apokalypse vor dem Gericht warnen. Es geht vor allem darum, den Weizen zu schützen – selbst wenn sich an der jungen Pflanze noch nicht mit Sicherheit erkennen lässt, ob es Weizen oder Lolch ist – der potentielle Weizen ist schützenswert.

Dahinter steckt die optimistische Erwartung, dass der Weizen ohne weiteres Zutun auch von selbst gedeihen kann. Das ist ein Vertrauen in das Gute in einer grossartigen Gelassenheit, die das Himmelreich hier auf Erden ausmacht.

Es ist eine Vision einer toleranten und gnädigen Kirche, die das Gute schützt und fördert und das Schlechte bis zur Ernte, die nicht mehr unsere Aufgabe ist, duldet.

1 Vgl. Zur Auslegung dieses Gleichnisses auch: Petra von Gemünden: Ausreissen oder wachsen lassen?, in: Ruben Zimmermann (Hrsg.): Kompendium der Gleichnisse Jesu. Gütersloh 2007.