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50 Jahre Umgang mit der Bibel   

Ein Blick in die Wirkungsgeschichte der Bibel im Schweizerischen Katholischen Bibelwerk 1935-1985

Auch Bücher haben ihre Geschichte, ihre Konjunktur, ihre Nachfrage und ihr Vergessenwerden. Die Bibel ist davon nicht ausgenommen. Und Bücher wirken nicht nur durch das, was darin steht, sondern auch dadurch, wie sie verbreitet und ins Leben umgesetzt werden.
Als Buch der Kirche hat die Bibel durch all die Jahrhunderte hindurch einen kräftigen Vermittler zur Seite gehabt: die Kirche selbst. In dieser Kirche erstand in der Schweiz vor 50 Jahren eine besondere Vermittlungshilfe: das Schweizerische Katholische Bibelwerk (SKB), das sich bis in die sechziger Jahre «Bibelbewegung» nannte. Im Jubiläumsjahr ist es interessant und vielleicht auch hilfreich, der Frage nachzugehen, wie das SKB diese Vermittlungsaufgabe gelöst hat, wie man im SKB in diesen 50 Jahren mit der Bibel umgegangen ist, was ideell beabsichtigt und was tatsächlich auch verwirklicht wurde. Die Absichten sind fassbar in den Zweckartikeln der Statuten, und die Verwirklichungen zeigen sich in dem, was getan wurde an Veröffentlichungen, Vorträgen, Tagungen, Impulsen.

Die Bibel verbreiten
Ein erstes Ziel der Gründungszeit 1935 war die Verbreitung von Bibeln. So heisst es im ersten Aufruf zur Gründung der Katholischen Bibelbewegung: «Unsere Losung muss also sein: Keine katholische Familie ohne die Heilige Schrift, wenigstens nicht ohne Neues Testament» (20. November 1934). Der damalige St. Galler Bischof Aloisius Scheiwiler empfahl «diese zeitgemässe, ja zeitnotwendige Bewegung, die immer grössere Verbreitung der Heiligen Schrift», aufs Wärmste. Dabei ging es nicht etwa um neue Bibelausgaben, sondern um die «nachdrückliche Verbreitung der von kirchlicher Seite besonders empfohlenen schon vorhandenen Bibelübersetzungen in deutscher Sprache und von sonstigem Bibelschrifttum».
Die «Schweizerische Bibelbewegung» will «die Stuttgarter Zeitschrift ´Katholische Bibelbewegung´ ihren Mitgliedern vermitteln, Bibeln besorgen für Sanatorien und katholische Arbeitslager, Kurse für Leiter von Bibelabenden veranstalten, Bibeltagungen und Einführungskurse durchführen» (1935).

Biblisch predigen
Ein Kurs für Leiter von Bibelabenden hat im April 1936 in Zürich den Gedanken der Bibelarbeit und Bibelpropaganda in weite Priesterkreise hineingetragen. Es ging darum, die Priester (Pfarrer, Vikare) zu ermutigen und zu befähigen, mit Bibelabenden ans Volk heranzutreten. Diese Vorträge wurden daraufhin publiziert unter dem Titel: «Katholische Bibelabende». Eine zweite Publikation, hervorgegangen aus der Schönbrunner Bibeltagung 1938, war ebenfalls den Priestern zugedacht und ganz spezifisch auf sie ausgerichtet: «Priester und Bibel» lautete das Thema. Die Priester sollten an eine biblische Spiritualität herangeführt werden. Ziel war, die Bibel kanzelfähig zu machen, und zwar nicht nur als Zitatensammlung, sondern als Buch, als gesamte Schrift und auch durch die biblischen Gestalten. Die Priester sollten biblischer predigen.
In der zweiten Phase, 1939-1945, wird das, was an einigen Orten mit biblischen Predigten versucht wurde und auch gelang, durch die «Biblischen Skizzen» vielen Seelsorgern zugänglich gemacht. Die Bibel wird jetzt homiletisch auf breiterer Basis fruchtbar gemacht. Die Themen sind ausgewählt entsprechend dem Zielpublikum oder den Anlässen, an denen gepredigt werden soll. Für Frauen und Mütter und für Maiandachten die Themen «Judith, die HeIdin von Bethulia», «Frauengestalten aus der Apostelgeschichte», «Sorgenvolle Mütter aus dem Alten Testament». Dann für die Männervereine: «Männergestalten aus der Urkirche im Kampf um Glaube und Heimat», «Judas Makkabäus» und «Männer um Christus». Zum Eidgenössischen Bettag 1945 wurde «Der Christ und der Staat» herausgegeben. Fünf Skizzen unter dem Obertitel «lnitium Sancti Evangelii» waren für die Adventszeit gedacht. Gedanken zum Markusevangelium, Erklärungen zur Offenbarung des Johannes und sechs Predigtskizzen «Betende Menschen der Bibel» wollten den gehetzten Seelsorgern, wie es heisst, das Suchen nach Stoff in der Bibel erleichtern und andeuten, in welcher Richtung dieser Stoff ausgewertet werden kann.

. . . mit dem Alten Testament
1943 erscheint das erste Heft der «Biblischen Beiträge»; es bringt ein damals blutig aktuelles Thema: «Ist das Alte Testament unchristlich?» Sehr vorsichtig wird versucht, das Alte Testament für das Christentum zu retten, ohne aber für das konkrete, so angeschuldigte und leidende Judentum von damals einzutreten. Nachdem die Geschichte 1945 die unerhörte Grausamkeit und Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus voll enthüllt hatte, war das Thema «Altes Testament und Judentum» immer wieder Gegenstand der Besinnung, der Busse, der Umkehr. Noch heute schmerzt es, feststellen zu müssen, wie die Katholische Bibelbewegung nicht den Mut aufbrachte, für das bedrängte und grausam verfolgte Volk der Bibel, die Juden, einzustehen.

Die Bibelwissenschaften ernst nehmen
Ab 1944 zeigt sich ein neues Moment im Umgang mit der Bibel. Die Enzyklika «Divino afflante spiritu» von Pius XII. ermöglicht endlich auch den katholischen Exegeten eine kritische, wissenschaftliche Bibelauslegung und ermuntert alle Gläubigen, sich der Bibel zuzuwenden. Allmählich, jedoch unverkennbar, verlagert sich das Interesse vom rein spirituellen Bibelauslegen auf das wissenschaftliche Forschen und Erkennen. Publikationen wie «Probleme der biblischen Urgeschichte» von Pater Theodor Schwegler, Einsiedeln, stehen dafür.

Hilfen für den Bibelunterricht
In der Nachkriegszeit tritt neben das geschriebene Wort auch das Bild. Die Heilige Schrift und die biblische Umwelt sollen dem Volk mit modernen Mitteln erschlossen werden. Biblische Lichtbilder und Fotobücher sind gefragt. Dabei kommen sowohl Realien wie auch Kunstbilder zum Zuge; der Bibeltext erfährt eine Dramatisierung und Aktualisierung durch Hörspiele. Damit hat man den engeren Adressatenkreis der Priester überstiegen und direkt auch Laien angesprochen. 1960 kann in diesem Sinne der Zentralpräsident festhalten: «Die Schweizerische Katholische Bibelbewegung betrachtet es als ihre Aufgabe, das Interesse für die biblischen Bücher und für biblisches Studium bei Klerus und Laien zu wecken und dem biblischen Gedankengut vermehrte Ausstrahlungskraft zu geben.» Der biblische Impuls wird nun stark in Lehrerkreise hineingetragen; das sind die vorzüglich angesprochenen Laien, sowohl bei Tagungen als auch in Publikationen.
Die Stuttgarter Zeitschrift «Bibel und Kirche» wird ab 1965 neu konzipiert und mit der volksnäheren, bebilderten Zeitschrift «Bibel heute» ergänzt. Diese Hefte werden nun auch zum Organ der Schweizerischen Bibelbewegung. Vor allem durch «Bibel heute» werden bibeltheologische und exegetische Erkenntnisse den Laien zugänglich gemacht. Hier wird der Laie ernst genommen; ihm werden neue theologische Erkenntnisse zugemutet, die jedoch durch die Wahl der Sprache und die graphische Gestaltung verdaubar sind. Man merkt das Wehen des Konzilsgeistes. Alte Begriffe werden entstaubt und im Lichte der Bibelwissenschaft neu erlebt. Ein Bibelfrühling ist angebrochen.

Neue Wege und Methoden
Neue Wege und Methoden biblischer Arbeit wurden ab 1974 mit der Gründung der Bibelpastoralen Arbeitsstelle (BP A) des SKB in Zürich entwickelt. Zunächst richtete sich der Blick auf die Multiplikatoren: bei den Predigern, ErwachsenenbildnerInnen und KatechetInnen will die BP A durch Teilnahme an deren Fortbildung ein sachgemässes Verständnis der Bibel und ihrer Auslegung fördern. Das breitere Publikum von biblisch interessierten Laien soll durch die BP A gute Bibelübersetzungen erhalten und auf aktuelle biblische Literatur hingewiesen werden. Neu tritt nun die Sensibilisierung für die Anliegen auf dem Gebiete der biblischen Pastoral in anderen Ländern hinzu, besonders in der Dritten Welt. Bibelarbeit hat also auch etwas zu tun mit weltweiter Solidarität, sowohl im geistigen wie im materiellen Bereich.
Durch die Tätigkeiten des Ökumenischen Arbeitskreises für Bibelarbeit in der Deutschschweiz, an dessen Gründung die Bibelpastorale Arbeitsstelle massgeblich beteiligt war, wurde in den siebzig er Jahren eine neue Art von Bibelarbeit initiiert. Diese Art Bibelarbeit spricht besonders Laien an, kirchennahe wie auch kirchenferne. Die Arbeit in Kursen und Tagungen wird nicht mehr im Alleingang eines Einzelnen vollzogen, sondern im Team, gebildet von ErwachsenenbildnerInnen, SozialarbeiterInnen, LehrerInnen und TheologInnen. Es wird in zwei Schritten vorgegangen: In ausgedehnten Kursen werden KursleiterInnen herangebildet, die in den Gemeinden selbstständig eine Vorbereitungsgruppe anregen und leiten. Wiewohl eine saubere exegetische Arbeit in der Vorbereitungsgruppe eine wichtige Rolle spielt, ist diese Art, an die Bibel heranzugehen, von der einseitigen Kopflastigkeit entlastet. Der ganze Mensch, der Mensch mit seinem Gefühl und Gemüt, seiner Geschichte und seinem Verstand, soll der biblischen Botschaft begegnen. Und der ganze Mensch, mit all seiner Kreativität und Phantasie, soll in den Prozess des Verwirklichens miteinbezogen werden. Das verstandesmässige Erkennen wird erweitert und damit auch relativiert durch das Tun – Lernen im Tun; schon im Kurs solllebensmässige Verwirklichung beginnen. Zu diesem Prozess sind die Arbeitsbücher des Ökumenischen Arbeitskreises «Bibelarbeit in der Gemeinde» ein gutes und geschätztes Hilfsmittel, sowohl in methodischer wie auch in theologischer Hinsicht.

Selbstständiger Umgang mit der Bibel in Gemeindegruppen
Die Erfahrungen mit solcher lebensorientierter Bibelarbeit haben sich niedergeschlagen in der Eingabe des SKB für das Interdiözesane Pastoralforum 1981 in Lugano zum Thema «Lebendige und missionarische Gemeinde – ihre Dienste und Ämter». Darin heisst es unter anderem: «Wir sind überzeugt, dass es nicht genügt, wenn die Bibel in Verkündigung und Unterricht von Theologen und kirchlich beauftragten Katecheten ausgelegt wird. Die Lebenssituationen sind zu komplex, die Fragen zu vielfältig, als dass auf diese Weise die durch die Texte Angesprochenen ins Spiel kommen und die Bibel ihre ganze Lebenskraft zur Entfaltung bringt. Den Laien ist deshalb ein Zugang zu biblischen Texten zu eröffnen, wo sie selbstständig, aufgrund ihrer eigenen Erfahrung, Gottes Anrede für sich, ihren Lebenskreis und ihre Gemeinde entdecken können.» Und weiter werden daraus folgende Impulse an die Verantwortlichen gegeben: «Die Gemeindeleiter und die, welche für die Gemeinde mitverantwortlich sind, sollen einladend und ermutigend dazu beitragen, dass in den Gemeinden Kreise entstehen, in denen an der Bibel gearbeitet wird. Die Leitung solcher Gruppen soll vertrauensvoll Laien übertragen werden. Die Ausbildung von Animatoren solcher Gruppen ist zu fördern, ... Dies alles könnte bestimmt dazu beitragen, dass die Gemeinden im Wesentlichen lebendiger und dazu auch missionarischer würden.»

Weiter auf dem Weg
Seit der Jubiläumsdelegiertenversammlung 1985 in Luzern zeichnet sich ein weiterer Schritt ab: ein Umgang mit der Bibel, der unsere Lebenssituation noch stärker in den Blick nimmt; die nahe und die ferne Verflochtenheit mit Strukturen der Unterdrückung und Befreiung soll noch bewusster in die Auseinandersetzung mit der biblischen Botschaft einfliessen. Bibelarbeit soll zur Basisarbeit werden, verflochten mit dem konkreten Leben hier und heute. Aber hier sind wir wiederum, wie früher bei anderen Ansätzen, erneut erst an einem Anfang.
Um was geht es letztlich in all diesen bibelpastoralen Bemühungen? Es geht nicht einfach um eine «Rückkehr zur Bibel». Es geht um die Wiederaufnahme bibelechten, ganzheitlichen Lebens mit unserem ganzen zeitverflochtenen Wesen. Es gilt, in bibeltreuer Glaubensaufgeschlossenheit unseren heutigen Situationen dialogisch verantwortend standzuhalten (Martin Buber). Es geht darum, dass Gottes heilender Anruf in unserer Zeit und unserer Welt gehört wird.

Hans Schwegler

(aus: Rita Egger / Toni Steiner / Hermann-Josef Venetz (Hrsg.), Die Bibel lebt. 21 Erfahrungsberichte aus der Schweiz. Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks, Zürich 1986, S. 11-18)