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Wer hat das Lukasevangelium geschrieben? Und für wen?   

Wer das Buch geschrieben hat, ist unbekannt. Gegen Ende des 2. Jahrhunderts hat ein Kirchenlehrer, Irenäus von Lyon, behauptet, dass ein gewisser Lukas der Autor sei. Der Name Lukas findet sich im Brief des apostels Paulus an Philemon, in dem Paulus ihn mitanderen zusammen seinen Mitarbeiter nennt. Auch im Brief an die Gemeinde in Kolossä (Kolosserbrief Kol 4.14) wird Lukas erwähnt – wiederum als Mitarbeiter des Paulus. Hier wird er auch «der geliebte Arzt» genannt. Im zweiten Brief des Paulus an Timotheus (2 Tim 4,9) heisst es, dass Lukas allein bei Paulus geblieben sei. Dieser Lukas war also ein Mitarbeiter und Begleiter des Paulus. Es könnte also sein, dass zumindest hinter den Stücken der Apostelgeschichte, die von den Reisen des Paulus berichten und die in Wir-Form geschrieben sind, Lukas als Autor steht. Und die Apostelgeschichte und das Lukasevangelium stammen ja vom gleichen Autor, wie ein Vergleich der beiden Vorworte deutlich macht (beide wenden sich an Theophilus, im zweiten Vorwort (Apg 1,1) wird das erste Buch erwähnt). Aber ob es sich wirklich um eben jenen Lukas handelt, wissen wir nicht.

Der Name Lukas

Aufschlussreich ist aber sein Name trotzdem. Lukas ist die griechische Kurzform des lateinischen Namens Lucius, der Leuchtende, der im Hellen Geborene. Dieser Name verweist auf einen jüdischen Hintergrund. Er kann die Übersetzung des gebräuchlichen hebräischen Namens Meir, der Leuchtende, Helle, sein. In der Diaspora war es üblich, dass Jüdinnen und Juden sich griechische oder lateinische Namen zulegten, die entweder einen Anklang an ihre hebräischen Namen hatten oder Übersetzungen dieser Namen waren. Vermutlich steht also hinter «Lukas» ein jüdischer Autor.

Lukas und Paulus

Wer auch immer er war, er muss in engem Kontakt zu Paulus gestanden haben und von dessen Programm überzeugt gewesen sein. Er hatte, wie viele andere auch, das Scheitern des Aufstandes in Judäa gegen Rom im Jahr 70 erlebt. Und er machte sich daran, es zu verarbeiten. Denn mit dem Sieg der Römer waren im Grunde alle messianischen Programm gescheitert. Also Programm, die daran glaubten, dass Gott den Messias in unsere Welt schickt, der auf einen Schlag die herrschende Weltordnung überwindet und grundlegend verändert. Auch die messianische Vorstellung des Paulus und seiner Gemeinden, in deren Zentrum das Zusammenleben von Juden und Heiden in einem erweiterten Bund Gottes stand, ein Zusammenleben das das Leben nach den Weisungen Gottes zur Grundlage der ganzen Welt machen würde, hatte sich nicht erfüllt. Die Heiden hatten sich nicht dem Bund Gottes mit Israel angeschlossen, sondern sein Zentrum, Jerusalem und den Tempel zerstört.
Und doch gab es Gruppen und Einzelne, die den Messianismus nicht für erledigt hielten. Sie versuchten ihn in einer völlig veränderten Situation neu und anders zu definieren, ohne das ursprüngliche Ziel aufzugeben. Dazu gehört der Autor der Apostelgeschichte und des Evangeliums, ein Jude aus der Diaspora, einer mit dem nötigen Durchblick für den weiteren Weg der messianischen Ekklesia (Gemeinschaft, Kirche), ein Lukas eben, ein Leuchtender, ein Heller. In der Situation nach dem Jahr 70 liess sich dem, was Paulus wollte, nur die Treue halten, indem mit Entschlossenheit ein anderer Weg beschritten wurde.

Für wen?

Viel wichtiger als die Frage nach dem Autor ist jedoch die nach dem Adressaten des Evangeliums. Die ist wenigstens dem Äusseren nach eindeutig beantwortet. Das Buch ist einem gewissen Theophilos gewidmet (Lk 1,3). Sonst findet sich der Name Theophilos in unserer Literatur an keiner anderen Stelle.
Wer war Theophilos? Die wörtliche Übersetzung von Theophilos lautet: Freund Gottes. Es ist ein im hellenistischen Bereich durchaus gebäruchlicher Name. Theophilos würde sich ebenfalsl gut als Name für einen Juden eignen, der in der Diaspora lebt. Auffallend ist aber, dass der Name im Kontext des Neuen Testamentes sehr selten ist. Das könnte heissen, dass er ein Konstrukt ist. Die Übersetzung «Freund» für «philos» ist etwas zu schwach. Im Hebräischen steht dahinter wohl das Wort rea, das den zum eigenen Volk Gehörenden, einen Volksgenossen meint. Lukas verwendet den Ausdruck philos in seinem Evangelium sehr häufig (15x von insgesamt 28 Stellen im Neuen Testament). In Lk 14,12 und 21,16 steht philos in einer Reihe mit Brüdern, Verwandten, Nachbarn. Ein philos ist also einer, der zu jemandem einen engen Kontakt hat, der Genosse einer gemeinsamen Sache ist. Ein Theo-philos ist also jemand, der zusammen mit anderen in einem engen Verhältnis zu Gott udn zwar zum Gott Israels steht.
Es ist anzunehmen, dass Lukas damit die Nichtjuden meint, die dem Volk Israel nahestehen. Er verwendet diesen Namen um diese Gruppe von Menschen anzusprechen, die zur messianischen Ekklesia gehörenden Nichtjuden. Sie sollen «die Zuverlässigkeit der Worte erkennen, über die sie unterrichtet worden sind» wie es in Lk 1.4 heisst. Sie haben also die Überlieferungen Israels gelernt, haben von der Schöpfung und vom Exodus gehört, von den 10 Geboten und den Propheten mit ihrer Kritik und ihrern Visionen. Jetzt sollen sie erkennen, dass diese Überlieferung zuverlässig war und weiter geht und weiter wirkt: in der Geschichte von Jesus, die Lukas jetzt erzählt.

(Grundlage dieses Beitrags: Gerhard Jankowski, «und sie werden hören». Apostelgeschichte 1,1-9,31 in: Texte und Kontexte. Exegetische Zeitschrift Nr. 91/92 3-4/2001)