Wir beraten

Lukas war voll Erwartung   

Peter Zürn zum Evangelium am Fest Taufe des Herrn: Lk 3,15-16.21-22

in: SKZ 51-53/2009

«was in den Schriften geschrieben steht…»

1. Die Vorgeschichte
«Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes … und er zog in die Gegend am Jordan» (Lk 3,2-3). Geografie ist in der Bibel oftmals Theologie. Hier wird die Geschichte Israels eingespielt: In der Wüste hört das Volk das Wort Gottes, am Jordan betritt es das verheissene Land. Johannes inszeniert gleichsam geografisch einen Neustart und sagt: «Gehen wir noch einmal zurück zum Jordan. In der Wüste haben wir die Weisungen für ein solidarisches Miteinander empfangen, uns auf sie verpflichtet und das Leben nach diesen Weisungen erprobt. Im verheissenen Land gilt es nun, das Erprobte und Erlernte umzusetzen. Ein Blick auf unsere Geschichte zeigt, wie oft das Zusammenleben in Freiheit und Solidarität misslungen ist. Aber wir sind nicht dazu verdammt, die Geschichte zu wiederholen. Sie ist zukunftsoffen. Wir können noch einmal neu beginnen. Jede Generation betritt das verheissene Land aufs Neue.» Das Lukasevangelium gestaltet sozusagen mit Johannes ein Bibliodrama. Es schafft bei seinen Leserinnen und Lesern Raum für die biblische Geschichte. Menschen werden eingeladen, in diesen Raum hineinzugehen und die biblische Geschichte mit ihrer Lebensgeschichte zu verbinden.

2. Ein roter Faden durchs Evangelium
«Das Volk war voll Erwartung» (Lk 3,15). Erwartung ist ein zentrales Motiv der ersten Kapitel des Lukasevangeliums. Bis zur Predigt des Johannes wird sie immer mehr gesteigert. Da ist die Rede von der erwartungsvollen Haltung des Volkes vor dem Tempel (1,21), da ist Simeon, der auf die Rettung Israels wartet (2,25) und da ist Hanna, die zu allen spricht, die auf die Erlösung Jerusalems warten (2,38). In 3,15 gebraucht Lukas das griechische Wort prosdokan, das er schon in 1,21 verwendet hatte. Später wird er so die Menschenmenge beschreiben, zu der Jairus gehört, der Synagogenvorsteher, dessen 12jährige Tochter im Sterben liegt (8,40). In 12,46 gebraucht er das Wort, wenn er ein Gleichnis von Knechten erzählt, die auf die Rückkehr ihres Herrn warten (12,35-48). Ein Knecht, der die Abwesenheit des Herrn ausnutzt, um die anderen Knechte und Mägde zu schlagen, den wird die unerwartete Rückkehr des Herrn ins Verderben stürzen. Bei all diesen Texten geht es um die Erwartung des Volkes Israel auf Rettung und Befreiung. Die messianische Hoffnung ist das grosse jüdische Thema dieser Zeit. Das katastrophale Scheitern des militärischen Kampfes um Befreiung im Jahr 70 hat alle messianischen Überzeugungen in eine tiefe Krise gestürzt. Was ist die Rede vom Messias Jesus wert, angesichts der Leichenberge in Jerusalem? Es treibt die verantwortlichen Kreise im Judentum, die «Synagogenvorsteher» um, dass die, für die sie verantwortlich sind, ihre Tochter, die Tochter Zion, das jüdische Volk, im Sterben liegt. Was bedeutet die Rede vom gekreuzigten Messias für das gekreuzigte Volk Israel? Im Gleichnis von den Knechten und Mägden zieht Lukas gleichsam die Lehre aus dem innerjüdischen Bürgerkrieg, den der Krieg gegen die Römer in den Jahren 66 bis 70 auch war: Auf keinen Fall dürfen sich die Knechte und Mägde Gottes untereinander entzweien, sich gegenseitig schlagen . Sonst stürzen sie ins Verderben. Die Zukunft liegt in der Solidarität der verschiedenen jüdischen Gruppen untereinander. Die Verbundenheit mit dem Judentum aufzulösen ist eine der grossen Versuchungen der Gruppen, die Jesus als Messias bekennen. Lukas ist voll Erwartung, dass das nicht geschieht – leider wird er enttäuscht.

3. Synoptischer Vergleich
«Zusammen mit dem ganzen Volk liess auch Jesus sich taufen» (Lk 3,21). Nur Lukas bindet in der Taufszene Jesus ausdrücklich ins Volk Israel ein (anders als Mk 1,10 und Mt 3,16). Und nur Lukas macht das Geschehen zu einem ganz und gar öffentlichen: Der Heilige Geist kommt «sichtbar» (Lk 3,22) auf Jesus herab (in Mk 1,11 und Mt 3,17 sieht und hört nur Jesus, wie das Geschehen am Jordan mit dem Himmel verbunden wird). Das stellt auch das kombinierte Zitat aus Psalm 2,7 und Jes 42,1 in ein besonderes Licht: «Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden» (Lk 3,22). Ps 2 nennt den gesalbten König Sohn Gottes. Der König steht stellvertretend für das ganze Volk. Jes 42 spricht vom Gottesknecht und meint damit ebenfalls das Volk Israel. Das Volk Gottes ist der Sohn Gottes. Das gilt auch für Jesus als Teil dieses Volkes und das wird in Lk 3 in aller Deutlichkeit und Öffentlichkeit herausgestellt. Moses Mayordomo findet dafür ein wunderschönes Bild: «Der Gottessohntitel spannt sich somit wie ein Schirm über Israel und Jesus» .
Lukas schliesst an die Taufe Jesu seinen Stammbaum an und zählt Söhne Gottes bis zurück zu Adam auf. Er ruft so in kürzest möglicher Form die gesamte Geschichte Israels in Erinnerung. Schade, dass die Frauen aus dieser Aufzählung völlig herausfallen. Wer jedoch die gesamte Geschichte des Volkes Israel erinnert, erinnert auch die Frauen.

Mit Lukas im Gespräch

Nur bei Lukas öffnet sich der Himmel, während Jesus betet (Lk 3,21). Das verknüpft die Taufe Jesu mit dem Geschehen an Pfingsten. Dort verharren die Anhängerinnen und Anhänger Jesu «einmütig im Gebet» (Apg 2,14) bis vom Himmel her Sturm und Feuerzungen erscheinen und sie mit Heiligem Geist erfüllt werden (Apg 2,1-4). Apg 2 ist die erzählerische Einlösung der in Lk 3,16 von Johannes angekündigten Taufe mit Heiligem Geist und Feuer. Sie steht in Lk 3 im Kontext einer Gerichtsankündigung. Wie verhalten sich das Feuer der Taufe und das Feuer, in dem die Spreu verbrannt wird (Lk 3,17), zueinander? Keineswegs so, wie es in der abendländischen Geschichte des Christentums immer wieder auf entsetzliche Weise praktiziert wurde, indem jüdische Menschen vor die «Wahl» gestellt wurden, sich taufen zu lassen oder im Feuer ermordet zu werden. Die Taufe des Johannes ist eine Taufe zur Umkehr auf den ursprünglichen Weg Israels mit Gott. Mit dieser Taufe lässt auch Jesus sich taufen – gemeinsam mit dem ganzen Volk. Die Taufe im Heiligen Geist und Feuer ist stärker als diese Wassertaufe. Stärker, aber nicht anders!! Auch sie ist eine Taufe auf Umkehr zum Weg Israels: aus der Unterdrückung in die Wüste, wo freie Menschen die Weisungen Gottes zum Leben erhalten, sie lernen und sich auf sie verpflichten. Die Anhängerinnen und Anhänger Jesu kürzen die 40 Jahre in der Wüste auf 40 Tage ab. So lange bleiben sie in Jerusalem zusammen, erhalten Weisungen und lernen sie zu verstehen (Apg 1,1-3). An Pfingsten und am Jordan ist die Zeit des Lernens vorüber. Jetzt steht der Übergang ins verheissene Land an. Dort gilt es, das in der Wüste Erlernte in die Praxis des gemeinsamen Lebens umzusetzen. Das verheissene Land der Apostelgeschichte ist die ganze Welt. Das steht schon in der Vorgeschichte der Taufe Jesu. In der Taufe durch Johannes erfüllt sich das Wort Gottes, das durch den Propheten Jesaja verkündet worden war: «Alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt». Vom Gott Israels.