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Begegnung   

Andrea Moresino-Zipper zum Evangelium am 4. Adventssonntag: Lk 1,39–45

in: SKZ 50/2009

Wir begegnen einander. Im Alltag. An Festen. Manchen Begegnungen schenken wir zu wenig Aufmerksamkeit, über andere freuen wir uns und empfinden sie manchmal sogar als heilsam. Sie tun uns gut. An Weihnachten begegnen wir Jesus. Nur an Weihnachten?

«...was in den Schriften geschrieben steht»

Zwei Frauen begegnen sich in Lk 1,39–45. Es sind zwei jüdische Frauen, unterschiedlichen Alters und verschiedener Lebensweisen. Elisabet und Maria sind gottesfürchtige Frauen und ihre Begegnung bedeutet Heil – nicht nur für sie, sondern auch für uns. Gott hat sie auserwählt und diese erniedrigten Frauen erhöht. Beide [Zacharias und Elisabet] lebten so, wie es in den Augen Gottes recht ist, und hielten sich in allem streng an die Gebote und Vorschriften des Herrn. Sie hatten keine Kinder, denn Elisabet war unfruchtbar und beide waren schon in vorgerücktem Alter (Lk 1,6–7).

Dieses Motiv findet sich auch im Ersten Testament in der Genesis. Sara ist unfruchtbar (Gen 11,30) und bereits in fortgeschrittenem Alter (Gen 17,17). Beide Frauen verbrachten einen grossen Teil ihres Lebens mit der Schande, keine Nachkommen in die Welt bringen zu können und ihnen ist die Begegnung einer Mutter mit ihrem Kind verwehrt geblieben. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Abraham die Verheissung durch Gott erfährt: Ich will sie segnen und dir auch von ihr einen Sohn geben. Ich segne sie, so dass Völker aus ihr hervorgehen: Könige über Völker sollen ihr entstammen (Gen 17,16). Sara schöpft Hoffnung, auch wenn ihre erste Reaktion das nicht ausdrückt und sie lacht. Über die Wahrnehmung der Elisabet nach der Verheissung an ihren Mann Zacharias berichtet Lukas nicht. Erst in der Mitte ihrer Schwangerschaft spricht sie von der Gnade Gottes und der Befreiung aus der Schande in den Augen ihrer Mitmenschen (Lk 1,25).

Im sechsten Monat begegnet sie Maria, die durch den Engel Gabriel von der Verheissung an sich selbst erfahren hat. Maria, verlobt, jedoch noch nicht verheiratet, spricht nicht von Schande, als ihr die Botschaft überbracht wird, sondern nimmt gläubig an und bringt dies im Lobgesang (Lk 1,46–55) zum Ausdruck. Das Vorbild für diesen Gesang findet sich in 1 Sam 2,1–10, mit dem Hanna betet. Ihre Geschichte hat aber Ähnlichkeit mit der von Elisabet. Der Schoss Hannas war verschlossen und sie betete inständig um einen männlichen Nachkommen (1 Sam 1,11), den sie Gott überlassen würde, wenn er diesen Wunsch erfüllt. Sie gebiert Samuel und noch 5 weitere Kinder (1 Sam 2,21). Mit dem Gesang dankte eine Frau nach der Geburt ihres ersten Kindes Gott, denn die Kinderlosigkeit hatte ein Ende und gleichzeitig bestand die Hoffnung auf eine soziale Veränderung bzw. Verbesserung.

Maria ist in Eile aufgebrochen, hat ihr Elternhaus verlassen, ebenso ihren Verlobten, und macht sich ohne weitere Begleitung auf zu Elisabet. Sie durchquert diesen nicht ungefährlichen Weg (vgl. Lk 10,30–37) in etwa drei bis vier Tagen. Der Aufbruch Marias erinnert an die Berufung der Jünger (vgl. Lk 5,11). Durch ihre Begegnung mit Jesus verlassen sie ihr Haus und ihre Familien, lassen alle Sicherheiten zurück und folgen ihm nach.

Maria begrüsst ihre Verwandte, und die Freude darüber spiegelt sich bei Elisabet in den Bewegungen ihres ungeborenen Kindes wieder. Das Kind hüpft in ihrem Leib, und sie wird gleichzeitig vom Heiligen Geist erfüllt. Diese Kindsbewegungen sind in diesem Stadium der Schwangerschaft nichts Ungewöhnliches, jedoch ist (der noch ungeborene) Johannes von Mutterleib an mit Heiligem Geist erfüllt (vgl. Lk 1,15) und äussert sich mit seinen Möglichkeiten – er bewegt sich, strampelt. Johannes ist ein Künder. Er kündigt Jesus an (Lk 3,16), und es scheint, dass er dies vom Mutterleib an tut. Dies würde einer jüdischen Anschauung entsprechen, nach der sich das Leben schon im Verhalten der ungeborenen Kinder abzeichnet (vgl. Gen 25,22 ff.). Diese – von Gott gegebene – Aufgabe, auf Jesus hinzuweisen, ist Johannes von Mutterleib an gesetzt. Die Preisung der Maria durch Elisabet, lässt sie zu einer Prophetin werden, die in Jubel ausbricht. In Ri 5,24 preisen Debora und Barak Jaël als die Gepriesene unter den Frauen im Zelt. Nach der Errettung des jüdischen Volkes durch Judit wird diese von Usija als mehr gesegnete als alle anderen Frauen auf der Erde gepriesen (Jdt 13,18). Durch die Frage der Elisabet unterbrochen, setzt diese ihre Preisung in V. 45 fort und hebt den Glauben Marias hervor. Elisabet weiss um die Botschaft an Maria – dies verrät die Frage – und stellt sie in Kontrast zur Botschaft an ihren Mann Zacharias, der nicht glauben konnte. In V. 44 erklärt Elisabet nochmals das Geschehene aus V. 41, und das Hören wird in den Mittelpunkt gestellt: Gott öffnet und verschliesst der Menschen Ohren, damit sie an ihn glauben oder nicht glauben können. In 1 Sam 9,15 werden die Ohren für das Offenbarungshandeln Gottes genannt, und nach Ijob 33,16 ist das Ohr der Sitz der Einsicht und der Erkenntnis.

Mit Lukas im Gespräch

Lukas knüpft im ersten Kapitel seines Evangeliums an Traditionen aus dem Ersten Testament an. Frauen, die mit der «Schande» der Kinderlosigkeit leben mussten, werden von Gott erwählt und erhöht. Sie begegnen Gott. Eine Erhöhung, die sich in einer sozialen Besserstellung ereignet, aber sie vor allem zu Müttern bedeutender Nachfahren macht. Die Begegnung der beiden Frauen Elisabet und Maria wird nur von Lukas erzählt. Ebenso lehnt sich die Begegnung des Zacharias mit dem Engel Gabriel (vgl. Lk 1,11–20) an die Erzählung Abrahams mit Gott an (vgl. Gen 15,1–21). Beide verbindet die Frage nach dem «Woran werde ich erkennen, dass dies wahr ist?».

Im Vergleich zu Matthäus (1,1–17), der die Herkunft Jesu mit seinem Stammbaum beginnt, erzählt Lukas am Beginn seines Evangeliums auch von der Ankündigung der Geburt des Johannes und verknüpft Johannes und Jesus schon vor deren Geburt miteinander. Nur Mk 1,9 und Mt 3,13 berichten von einem Zusammentreffen des Johannes mit Jesus anlässlich der Taufe Jesu. Lk 3,21a erzählt von der Taufe Jesu, lässt aber im Text offen, ob Johannes Jesus getauft hat: Zusammen mit dem ganzen Volk liess auch Jesus sich taufen. Von einem weiteren Zusammentreffen der beiden berichtet Lukas nicht.

Die Begegnung mit dem Heiligen Geist bestimmt die Vorgeschichte bei Lukas. Er erfüllt Johannes von Mutterleib an, wird Maria in Lk 1,35 verheissen und lässt Elisabet und Zacharias (Lk 1,67–79) von seinem Geist erfüllt, sprechen. In Lk 3,22 wird Jesus vom Heiligen Geist erfüllt, und sein Handeln ist davon bestimmt. Am Ende seines irdischen Lebens legt er eben diesen Geist wieder zurück in die Hände seines Vaters (Lk 23,46).

Verschiedene Begegnungen prägen den ersten Teil des Lukasevangeliums. Nach dieser Perikope der Begegnung von Elisabet und Maria am 4. Adventssonntag dürfen wir uns auf die bevorstehende Begegnung mit Jesus an Weihnachten freuen.

Andrea Moresino-Zipper ist Diplomassistentin am Departement für Biblische Studien im Fachbereich Neues Testament der Universität Freiburg und Mitglied des Zentralvorstands des Schweizerischen Katholischen Bibelwerkes.