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Der Heilige Geist und das «Standing» der Christen   

Gunda Brüske zur Pfingstsequenz «Veni, sancte Spiritus» SKZ 18/2008

Pfingsten ist nicht das Fest einer Person der Trinität, denn die Liturgie feiert die göttlichen Personen nicht getrennt voneinander. Pfingsten ist die Vollendung von Ostern: Der im Grab gelegen hat, wird aufgerichtet zu neuem, endgültigem Leben. Der nicht nur aufrecht steht, sondern noch weiter emporsteigt in die himmlische Vorbehaltenheit Gottes, der sendet den Heiligen Geist, die österliche Gabe. Der dynamische Zug nach oben dauert seit Pfingsten an: die Kraft zum geraden, aufrechten Stehen der Christen ist Gabe des Heiligen Geistes. Das «Standing» des Christen umschreibt Paulus so: «Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Steht also fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!» (Gal 5,1). Die Pfingstsequenz meditiert diese Gaben des Geistes und ihren Geber.

Die Berühmtheit der Sequenz «Veni, sancte Spiritus» (KG 483 und 493) und unser Wissen um ihren Ursprung divergieren stark: Berühmt ist sie schon im Mittelalter, wo sie den Ehrennamen «goldene Sequenz» erhält (Erläuterungen zu «Sequenz» siehe SKZ 176 [2008], Nr. 11, 175). Sie wird als eine von nur vier Sequenzen ins Messbuch Pius V. aufgenommen und ist bis heute für Pfingsten vorgesehen. Schon früh war sie eine Inspiration für Komponisten und Dichter. Wer aber hat sie gedichtet? Entstanden ist sie um 1200 oder, wie jüngst behauptet, schon vor 1160. Für die Entstehung um 1200 wird meist der Theologe und Erzbischof Stephan Langton benannt, manchmal auch Papst Innozenz III. Beides ist unsicher. Und wenn die Sequenz doch ein paar Jahrzehnte älter ist, kommt keiner von beiden in Frage, und wir kennen den Dichter einfach nicht.

Ein Wasserzeichen: die sieben Gaben des Geistes
Soviel aber wissen wir: es war ein Könner! Die Strophen der lateinischen Sequenz sind so kunstvoll gebaut, dass keine deutsche Übersetzung daran heranreicht. Sie zeigen etwas von der Intention des unbekannten Schöpfers sowohl im Gesamtaufbau und in den einzelnen Zeilen: Jede einzelne der dreissig Zeilen hat sieben Silben – jede ist damit eine Homage an die sieben Gaben des Heiligen Geistes. In der vorletzten, der 9. Strophe, wird der Heilige Geist angerufen, die heilige siebenfältige Gabe zu schenken – nach Jes 11,2 f. ist das der Geist der Weisheit und der Einsicht, des Rates, der Stärke, der Erkenntnis, der Frömmigkeit und der Gottesfurcht. Der Dichter zählt die Gaben jedoch nicht auf, sondern legt sie wie ein Wasserzeichen mit dem Siebener-Rhythmus unter seine Zeilen. Ohne dass er davon reden muss, sind sie da. Zehn Strophen mit jeweils drei Zeilen fügt unser Anonymus zueinander. Davon gehören immer zwei Strophen zusammen. Die ersten beiden rufen viermal um sein Kommen (veni!), die letzten beiden rufen viermal nach seinen Gaben (da!). Ein Rahmen bildet sich auf diese Weise, der Anfang und Schluss der Dichtung umrundet. Wie ein Passepartout schliessen sich nach innen wieder je zwei Strophen an: Die dritte und vierte Strophe nennen sechs Eigenschaften des Heiligen Geistes – die siebte und achte Strophe rufen sechsmal sein Wirken herbei.

Alle diese Strophen bezeugen das lebendige Wirken des Heiligen Geistes. Der Geist wird angerufen als Vater der Armen, Geber der Gaben, Licht der Herzen (2. Strophe), als bester Tröster, süsser Seelengast, sogar als süsse Erfrischung (3. Strophe). Worin sein tröstendes und erfrischendes Wirken besteht, sagt die 4. Strophe mit drei Gegensätzen: in der Arbeit ist er Ruhe, in der Gluthitze milde Wärme, im Weinen Trost. Sein Wirken ereignet sich nicht fern von den Menschen, vielmehr tritt er in die Situationen von Arbeit, Hitze und Traurigkeit als milde, lindernde Gabe ein: «Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf» (Röm 8,26).

Die Sequenz bezeichnet mit Adjektiven die widrige Situation, aus der heraus der Geist angerufen wird: schmutzig, dürrmager- dürftig (aridus), verwundet, verhärtet, kalt-matt-schlaff (frigidus), fern vom Wege einsam lebend (Strophe 7 und 8). Nichts ist beschönigt, aber alles ist getragen von der Zuversicht in den herbeigerufenen Geist.

Aufrichtende Lichtkraft

Von Rahmen (Strophen 1/2 und 9/10) und Passepartout (Strophen 3/4 und 7/8) umgeben erklingen im Zentrum die Strophen 5 und 6. Zusätzlich zum konzentrischen Aufbau weckt das «O» am Anfang der fünften Strophe die Aufmerksamkeit für die höchste Höhe der lux beatissima einerseits und das Nichtige menschlicher Existenz anderseits. Sie lauten (in wörtlicher Übersetzung):

O glückseligstes Licht / erfülle das Herzinnere / deiner Gläubigen.
Ohne dein (göttlich) Walten / nichts besteht im Menschen / nichts ist unbeschädigt.

Ohne das Wirken des Heiligen Geistes sähe das Standing des Christen also ganz anders aus. Nicht, weil die biblische Verkündigung eine Drohbotschaft ist oder weil Christen so wehleidige Gestalten sind, sondern weil der nüchterne Blick in die Welt wie auch die ehrliche Auseinandersetzung mit sich selbst zeigen, dass die eigenen Kräfte und Fähigkeiten begrenzt sind, dass sie glückliche Umstände brauchen, um sich entfalten zu können, was oft nicht in unserer eigenen Hand liegt. Nichts im Menschen bliebe unbeschädigt ohne das Wehen des Gottesgeistes.

Aber: Die Kraft dieses glückseligen Lichtes richtet auf. Gleich in der 1. Strophe rufen die Singenden dem Geist zu, dass er von oben den Strahl seines Lichtes senden möge. In der 2. Strophe wird der Geist «Licht der Herzen» genannt, in der 5. eben «glückseligstes Licht». Eine Lichterscheinung von oben sind auch die pfingstlichen Feuerzungen, die über die Apostel kommen. Der Geist hebt die Apostel über sich hinaus. Das Charisma von Pfingsten bestimmt ihr Standing.

Die Sequenz wurde in der Liturgie des Pfingstsonntags nach dem Pfingstbericht der Apostelgeschichte gelesen und vor dem Evangelium, das bis zum II. Vatikanum die Verheissung des Geistes als eines Trösters war (Joh 14,23–31). Etwa 500 Jahre erklang die Sequenz an dieser Stelle zwischen dem Pfingstfeuer und dem Tröster-Geist. Licht und Trost durchdringen und bestimmen auch die Dichtung der Sequenz. Der Ruf nach dem Kommen des Geistes, der in vielen Zeilen der Dichtung die Dringlichkeit des Erbetenen unterstreicht, ist liturgisch eingebettet in die Proklamation seines Gekommenseins (Apg 2,1–11) und die Zusage seiner Sendung vom Vater und vom Sohn (heute als Zusage des Friedens und des Heiligen Geistes an Ostern nach Joh 20,19–23). In der Verkündigung des Pfingstfestes ist – wie damals den Erst zeugen so heute uns – die österliche Gabe des Geistes zugesprochen. Das Rufen ist liturgisch vom Zuspruch umfangen. Wer stehen kann, aufgerichtet vom Geist, kann auch dem drohenden Nichts ins Auge sehen – ohne davon gebeugt zu werden, ohne sich davor zu beugen. Denn es gilt mit Paulus und Martin Luther: «Inzwischen hilft aber doch der Hl. Geist unseren Schwachheiten auf, tritt für uns mit unaussprechlichem Seufzen ein und gibt unserem Geist das Zeugnis, dass wir Gottes Kinder sind. Auf diese Weise wird mitten in den Schrecken unser Geist aufgerichtet, so dass er zu unserem Heiland und Hohenpriester seufzt, die Schwachheit des Fleisches über windet und wieder Trost empfängt und spricht: Abba, lieber Vater» (Martin Luther, Auslegung zu Gal 4,6).

Dr. Gunda Brüske ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Liturgischen Institut der deutschsprachigen Schweiz in Freiburg.