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Gott lässt sich suchen   

Josef-Anton Willa zum Antwortpsalm (Psalm 27) am 7. Ostersonntag SKZ 17/2008

Der Eröffnungsvers der Messe ist ein in der Praxis eher selten beachtetes liturgisches Element. Er steht programmatisch über der ganzen Feier und weist auf das Festgeheimnis bzw. auf den Leitgedanken des Gottesdienstes hin. Das Anfangswort des Introitus, des lateinischen Gesangs zur Eröffnung, gab früher dem Sonntag Name und Charakter, wie wir es heute noch beim Gaudete-Sonntag (3. Sonntag im Advent) oder beim Laetare-Sonntag (4. Sonntag der Fastenzeit) kennen. Das Messbuch empfiehlt, den Eröffnungsvers, wenn er nicht gesungen wird, in eine allfällige kurze Einführung in den Gottesdienst einzubeziehen.

Am 7. Sonntag der Osterzeit ist der Eröffnungsvers Psalm 27 entnommen, demselben Psalm also, der im Lesejahr A als Antwortpsalm nach der 1. Lesung vorgesehen ist. Eine solche Verbindung zwischen Introitus und Antwortpsalm kommt nicht sehr häufig vor. Bleiben wir darum zuerst einen Moment bei dem Eröffnungvers.

Zwischenzeit

«Exaudi, Domine, vocem meam, qua clamavi ad te.» – «Vernimm, o Herr, mein lautes Rufen!», so beginnt der Vers. In den evangelischen Kirchen heisst der Sonntag vor Pfingsten heute noch «Exaudi-Sonntag.» Nicht österlicher Jubel und Lobpreis Gottes stehen am Beginn der Feier, wie wir es für die Osterzeit erwarten würden. Gott scheint fern zu sein, sein Angesicht ist verborgen. Man muss laut zu ihm rufen und ihn suchen. Die Notsituation, die aus diesem Vers spricht, kontrastiert mit dem abschliessenden österlichen Halleluja- Ruf. Damit drückt sich die Spannung aus, in der sich die Jüngerinnen und Jünger Jesu in der Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten befinden. In die Freude über den Auferstandenen mischt sich der Schmerz des Abschieds und die Ungewissheit des Kommenden. Es ist auch die Spannung des «Schon und Noch-Nicht», die unser christliches Dasein grundsätzlich prägt: Die Ostererfahrung wird von den Alltagssorgen überlagert, die Gegenwart des Auferstandenen bleibt häufig verborgen. Darum beten wir im Tagesgebet: «Lass uns erfahren, dass er (Christus) alle Tage bis zum Ende der Welt bei uns bleibt, wie er uns verheissen hat.» In dieser «Zwischenzeit» sind Hoffnung, Vertrauen und Beharrlichkeit gefragt, wie sie im Psalm 27 zum Ausdruck kommen.

Bekenntnis und Gebet

Der Psalm gliedert sich deutlich in zwei, ursprünglich wohl unabhängige Teile, die vom letzten Vers zusammengefasst werden. Der erste Teil (V. 1–6) schildert in drastischen kriegerischen Bildern eine Situation von Not und Bedrängnis. Der Psalmist spricht sich Mut zu im Kampf gegen die übergrossen Mächte, die ihm nach dem Leben trachten, indem er sich hartnäckig zu seinem Gott bekennt. Der Herr ist Licht und Kraft (wörtlich: Schutzburg) seines Lebens (V. 1), bergendes Haus und Zelt. Er sehnt sich danach, im Tempel vor das «Angesicht Gottes» zu treten, das heisst: die Nähe Gottes zu erfahren. Wer sich im Bereich des Tempels aufhält, geniesst Rechtsschutz, eine Vorstellung, die uns im Kirchenasyl wieder begegnet. Im Tempel fühlt sich der Psalmist sicher; hier kann er Gott preisen und ihm danken für den Sieg über die «Feinde» (V. 4–6).

Gott aber zeigt sich nicht, er lässt sich weiterhin suchen. Im zweiten Teil des Psalms (V. 7–13) wendet sich der Beter darum direkt an ihn und fleht inständig: «Verbirg nicht dein Gesicht vor mir!» – «Verstoss mich nicht, verlass mich nicht!» (V. 9). Er fühlt sich in einem Rechtsstreit von allen im Stich gelassen und bangt sogar um die Nähe Gottes. Dabei anerkennt er indirekt auch eine Mitschuld an der Situation, die sein Verhältnis zu Gott trübt. Doch auch wenn es scheint, Gott habe sich im Zorn von ihm abgewandt und das Feld den feindlichen Mächten überlassen: Der Beter lässt nicht von ihm ab und vertraut darauf, dass der Herr ihn nicht zurückweist, sondern ihm wieder den rechten Weg weist (V. 11). Er nimmt ihn beim Wort: Du hast selber gesagt, wir sollten Dich suchen (V. 8).

Bekenntnis und Gebet geben dem Psalmsänger die Kraft und die Gewissheit, die Krisensituation durchstehen zu können bis zum endgültigen Erscheinen der Güte (wörtlich auch: Schönheit) Gottes (V. 13). So endet der Psalm mit einem Zeugnis vor den Anwesenden und dem Aufruf an sie, die Hoffnung nicht aufzugeben (V. 14). Heutzutage ist der Glaube an einen Gott wieder in Mode gekommen. Eine Mehrheit unserer Zeitgenossen bezeichnet sich als religiös. Doch an welchen Gott glauben wir? Der Gott, den der Psalmist anruft, lässt sich nicht für eigene Bedürfnisse und zur Legitimation eigener Verhaltensweisen vereinnahmen. Er eignet sich nicht als letzte Absicherung eines bequem eingerichteten Lebens. Der Gott der Bibel ist ein lebendiges, herausforderndes Gegenüber. Er bleibt der Verborgene, der im Menschen das Verlangen weckt, ihn zu suchen.

In Erwartung des Kommenden

Nur vier Verse aus Psalm 27 bilden den Antwortpsalm des 7. Ostersonntags. Die Dramatik des Geschehens wird dadurch zwar abgeschwächt, doch bleibt die zweiteilige Struktur mit Bekenntnis und Gebet erhalten. Anders sieht es bei der Versauswahl im Cantionale Nr. 017 aus: Hier fällt das Bittgebet vollständig weg; entsprechend fehlt auch der Bezug zum Eröffnungsvers der Messe und zum Charakter des Sonntags. Darum bietet sich neben KG 320 mit dem vollständigen Psalm eher die Vorsängerpsalmodie Nr. 037 im Cantionale an.

Der Antwortpsalm, wie ihn die Messordnung vorsieht, nimmt die Haltung der Apostel und Frauen aus der 1. Lesung (Apg 1,12–14) auf, die sich im Obergemach in Jerusalem, also gewissermassen im «Haus des Herrn», versammelt haben und während der ganzen «Zwischenzeit» im Gebet verharren und auf das Kommen des Geistes warten. Das gemeinsame Gebet wird ihnen auch Kraft geben, die künftigen Leiden im Namen Christi zu ertragen (vgl. 2. Lesung: 1 Petr 4,13–16).

Die Kirche schliesst sich zwischen Himmelfahrt und Pfingsten der betenden Urgemeinde an. Am Exaudi-Sonntag, den man auch als «Adventssonntag vor Pfi ngsten» bezeichnen könnte, erwartet sie wieder den Verborgenen, der stets aufs Neue kommt und sie aus dem «Schlaf der Sicherheit» wecken will (KG 509,2). Das Gebet gibt ihr in dieser «Zwischenzeit» die Zuversicht, dorthin unterwegs zu sein, wo Christus ihr vorausgegangen ist.

Dr. theol. Josef-Anton Willa ist Mitarbeiter am Liturgischen Institut der deutschsprachigen Schweiz in Freiburg.