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Leben aus Gottes Wort und Gottes Güte   

Gregor Brazerol zum Antwortpsalm (Psalm 33) am 5. Ostersonntag SKZ 14-15/2008

Am 5. Ostersonntag folgt auf die Lesung aus der Apostelgeschichte (Apg 6,1–7) der hymnische Psalm 33 als Antwort. Er nimmt in zweifacher Weise Bezug auf die Lesung. Einmal preist der Psalm die Wirkmacht des Wortes Gottes. Durch sein Wort hat Gott alles geschaffen und durch seinen Ratschluss lenkt er die Geschichte (vgl. Ps 33,6–12). Zum anderen rühmt der Psalm, wie sich Gott als Richter – und damit Retter der Armen – denen zuwendet, «die nach seiner Güte ausschaun» (Ps 33,18b). Ihnen schaff t und erhält er das Leben.

Somit lässt sich der Psalm hören und verstehen als Dank der armen Witwen, von denen wir in der Lesung erfahren. Sie versorgte Gott durch die Diakone mit dem täglichen Brot. Und der Psalm ist eine Meditation und ein Lobpreis des Gotteswortes, in dessen Dienst die Apostel stehen. Psalm 33 gilt als klassischer Hymnus. In den ersten drei Versen, dem sogenannten «Aufgesang», fordert er die Gerechten und Frommen auf, Gott mit Gesang und Musikinstrumenten zu loben und zu preisen. Wer ist hier angesprochen?

In seiner Auslegung zu Ps 33 sagt der heilige Augustinus zu «den Gerechten»: Auch wenn niemand von sich selber sagen kann, er sei im strengen Sinn «gerecht», so darf er doch nicht gering von sich selber denken: «Nolite vos abicere et desperare de vobis» – «Werft euch nicht weg und verzweifelt nicht an euch!» Nach Augustinus gilt hier, was Paulus in Röm 1,17 sagt: «Der aus dem Glauben lebt, ist gerecht». Die «Gerechten», die in Ps 33 zum Jubel vor dem Herrn aufgerufen werden, sind also die von ihm «Gerechtfertigten»! Auf dem Hintergrund der Lesung sind die «Gerechten» die, welche die Gerechtigkeit Gottes leibhaft an sich erfahren haben. Es sind die, welche Gott aus dem Tod entrissen und deren Leben er in der Hungersnot erhalten hat. Aber auch wer die apostolische Verkündigung annimmt und glaubt, «dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist» (Joh 14,11 = Evangelium; vgl. auch Apg 6,7), gehört zu den Gerechten. Als Glaubende sind sie vor Gott gerecht, weil sie sich ins rechte Verhältnis zu Gott setzen.

Was die Einheitsübersetzung mit «die Frommen» übersetzt, sind im Hebräischen eigentlich «die Geraden» oder «die Redlichen». Der Psalm wendet den gleichen Ausdruck in Vers 4 auf das Wort Gottes an (EÜ: «das Wort des Herrn ist wahrhaftig»). Das ist bedeutsam. Es werden Menschen zum Gotteslob aufgefordert, die durch und durch vom Wort Gottes geprägt sind. Sie haben sogar dessen Eigenschaft angenommen. Ihr Tun und Verhalten entspricht so sehr dem Wort und Willen Gottes, dass sie letztlich selber «das Werk Gottes» vollbringen.

Davon spricht Christus im Johannesevangelium, wenn er den Ausdruck «im Vater sein» (Joh 14,11) verwendet. Im eigentlichen Sinn kann das allerdings nur von Christus selbst ausgesagt werden. Er ist das verkörperte Wort Gottes. Er ist so sehr im Vater und der Vater in ihm, dass sich eine einmalige Handlungseinheit ergibt. Darum sagt Christus in der Darstellung des Johannesevangeliums von sich: «Der Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke» (Joh 14,10).

Jesus lädt aber seine Jünger – und damit uns – ein, an dieser Einheit teilzuhaben: «Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch grössere vollbringen» (Joh 14,12). Das sind nach der Sprechweise von Psalm 33 die «Geraden/Redlichen». Ihr Reden, Tun und Wirken ist gradlinig, ohne Schnörkel und Verkrümmung. Sie sind redlich, d. h. sie können jederzeit für ihr Handeln Rechenschaft ablegen. Sie leihen der Gerechtigkeit und dem Recht, die der Herr liebt (vgl. Ps 33,5a), Mund und Hände, indem sie das Werk Gottes weiterführen, «Tote erwecken» und «Hungrige speisen». Darum können sie mit demselben Eigenschaftswort bezeichnet werden wie das Wort des Herrn.

Die nachfolgend für den Antwortpsalm ausgewählten Verspaare 4/5 und 18/19 begründen nun, warum Gott gelobt werden soll. Es geht um seine Geradheit und Verlässlichkeit, seine Gerechtigkeit und Güte, seine Aufmerksamkeit und Rettung.

An Vers 4 lässt sich schön die Grundstruktur hebräischer Poesie beobachten, der sogenannte «Parallelismus membrorum». Ein Vers besteht zumeist aus zwei parallel laufenden Zeilen, die aufeinander bezogen sind und sich gegenseitig beleuchten und erklären. Der Grundgedanke wird so umkreist, erweitert und vertieft und oft auch fortgeführt. Das ist auch für die Interpretation bedeutsam. Auf Ps 33,4 angewendet bedeutet das, dass bei Gott Wort und Tun eine unlösbare Einheit bilden: «Das Wort des Herrn ist wahrhaftig [gerade/redlich], / all sein Tun ist verlässlich.» Das gibt auch im Bezug die vorausgegangene Lesung zu denken. Hat das Wachstum der jungen Gemeinde zur Arbeitsteilung der Dienste «am Wort» und «beim Tisch» geführt, so macht Vers 4 deutlich, dass beide Aspekte zuinnerst miteinander zusammenhängen. Wie bei Gott Wort und Werk, Tun und Reden eine Einheit bilden, so sind auch im kirchlichen Leben Verkündigung und sozial-karitative Tätigkeit eins und dürfen nicht getrennt oder gegeneinander ausgespielt werden.

Im liturgischen Zusammenhang ist ein näherer Blick auf Vers 5b interessant. Er zitiert Jes 6,3 (vgl. Sanctus) und interpretiert den Propheten neu. Während Jesaja in seiner Vision die Serafim rufen hört: «Von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt», sagt nun Ps 33,5b: «Die Erde ist erfüllt von der Huld des Herrn.» Die göttliche Herrlichkeit ist hier zur menschenfreundlichen und zugewandten Huld – oder besser Güte/Liebe (wie in Ps 33,18.22) – geworden. Die ganze Schöpfung ist getragen und durchdrungen von Gottes Gegenwart, die sich in der Erfahrung seiner Güte manifestiert. Darin liegt der tiefste Grund für das Gotteslob.

Nach dieser Güte halten die Gottesfürchtigen Ausschau. Auf die Lesung bezogen, deuten die Verse 18 und 19 das geschilderte Geschehen als österliches Ereignis. Wir finden im Psalm dicht gedrängt wesentliche Elemente der Exoduserzählungen wieder. Gott sieht und hört die Not seines Volkes. Er entreisst es dem Tod und führte es ins Gelobte Land. Der Gott, zu dessen Lob Ps 33 auffordert, ist der lebensschaffende und lebenserhaltende Gott, der auch Jesus dem Tod entriss.

Die Erfahrung der hellenistischen Witwen zeigt, wie sich diese österliche Erfahrung in der Zeit fortsetzt. Es geht um nichts Grossartiges oder Wunderbares, es geht «nur» um das tägliche Brot der Witwen. Gerade aber hier offenbart sich, dass Gott menschliche Not nicht übersieht, sondern auf die achtet, welche so leicht aus dem Blick geraten.

Psalm 33 kann anregen, selber die Augen zu öffnen für die grossen und kleinen Rettungserfahrungen des Alltags und diese dankbar ins Gebetswort zu bringen. Diese Erfahrungen sind immer wieder neu zu machen und deshalb drängen sie immer wieder zu einem neuen Ausdruck. «Singt dem Herrn ein neues Lied» (vgl. Ps 33,3a; im Antwortpsalm nicht enthalten). Psalm 33 macht es vor, wie Gottes mächtige Güte, seine Verlässlichkeit und Gerechtigkeit, gelobt, gepriesen und damit auch gepredigt werden kann.

P. Gregor Brazerol OSB, lic. iur et mag. theol., ist seit 1987 Mönch der Abtei Disentis. Nach Tätigkeiten an der Klosterschule Disentis und Dekan der Abtei sowie als Studienpräfekt am Theologischen Studienjahr der Abtei Dormitio in Jerusalem arbeitet er zurzeit an einer Dissertation über das theologische Konzept in der Psalmverteilung der Tagzeitenliturgie von P. Notker Füglister OSB (1931–1996).