Wir beraten

Wie malen wir uns die Zukunft?   

Dr. Winfried Bader zur Lesung am 2. Adventssonntag SKZ 48/2007

Alttestamentliche Lesung: Jes 11,1–10
Evangelium: Mt 3,1–12

Jesaja malt uns mit seinem Text ein Bild. Wenn heutige Menschen die Zukunft malen, dann sieht das meist viel düsterer aus: Umweltverschmutzung, Dürre, Luftbelastung, Klimaerwärmung, Krieg, Atombomben, Überbevölkerung, Nord-Süd-Konfl ikt sind die gängigen Zukunftsthemen. Wir Menschen heute wissen mehr als irgendeine Generation vor uns; das Werden und Vergehen unseres Planeten und seiner Menschen ist erforscht. Grundsätze, die über Jahrhunderte als unbestreitbar galten, haben wir überholt. Wir sind aufgebrochen, sind unaufhaltsam unterwegs in eine immer rascher sich verändernde Zukunft. Doch kaum einer vermag eine Vision entwickeln, wohin es geht, nicht mal Eingeweihte trauen sich zu sagen, wie der Mensch der Zukunft aussieht. Ein wenig Hoffnung ist da auf den menschlichen Fortschritt hin zum Besseren. Aber die Angst überwiegt, die Angst vor den düsteren Katastrophen einer schrecklichen Zukunft.

Advent greift das Thema Zukunft auf als Warten auf die Ankunft, auf Seine Ankunft in Herrlichkeit – passt das zu uns?

Mit Israel lesen

Die eigene Situation, in der Jesaja im 8. Jahrhundert v. Chr. lebte, war miserabel. Krieg und Belagerung der Hauptstadt Jerusalem, der Untergang des Nordreiches, ein übermächtiger Feind im Norden und ein eigener König, der wider aller Vernunft unsichere Koalitionen einging. Und Jesaja schreibt diesen Text!

Die Zukunft, die Jesaja malt, hängt zuallererst an Menschen. Es ist ein Mensch ausgestattet mit den Gaben des Geistes: Weisheit und Einsicht, schenkt dieser Geist, Rat und Stärke, und dieser Geist bringt Erkenntnis und Gottesfurcht. Das sind die sechs Eigenschaften des Zukunftsmenschen, der sechs Handlungen ausführt: nicht nach Augenschein richten, nicht nach Hörensagen entscheiden, gerechtes Richten der Hilflosen, Partei ergreifen für die Armen, Befehlen gegen die Gewalttätigen und Urteilssprüche gegen Schuldige fällen. Der Zukunftsmensch, wie in Jesaja beschreibt, bringt also seine ausserordentlichen Eigenschaften, die er besitzt, in die Gemeinschaft ein, setzt sie ein, zum politischen Wohl der anderen. Damit kann Jesaja ihm sogar zwei göttliche Attribute, Gerechtigkeit und Treue, zuschreiben, die er trägt, wie einen Gurt. Das ist kein Gürtel in unserem heutigen Sinn, sondern eine Art Lendenschurz aus Leinen, den man ständig unter der Kleidung auf dem Unterleib trug. So nah und untrennbar sind mit ihm diese beiden göttlichen Eigenschaften verbunden.

Die Zukunft, die es dann für die Welt gibt, wenn in ihr solche Zukunftsmenschen wohnen, wird in einem grossen Naturbild beschrieben. Der Zustand des friedlichen Miteinanders von allerlei Tieren erinnert an das Paradies in Genesis 2. Keine neue Erfindung prägt die Zukunft, sondern das Zurück zu dem schon gekannten guten Zustand: Wolf und Lamm, Panther und Ziege, Kalb und Löwe, Kuh und Bärin, Löwe und Rind, Säugling und Natter, Kind und Schlange sind allesamt friedlich zusammen. Es ist wichtig zu sehen, dass die friedliche Zukunft nicht dadurch erreicht wird, dass man die Bösen austilgt. Es ist nicht eine farblose Welt der harmlosen Lämmer, Ziegen, Kälber, Kühe und Säuglinge. Die gefährlichen Wölfe, Panther, Löwen, Bären und Schlangen bleiben als bunte Tupfer erhalten. Aber sie werden umgeformt. Sie überwinden ihre bösen Triebe, setzen ihr Potential auf gute Weise ein, sodass eine friedlich paradiesische Welt entsteht. Die Dauerhaftigkeit dieser Verwandlung wird gewährt durch die Erkenntnis Gottes.

Setzt Jesaja nun seine Hoffnung auf König Hiskija (728–699 v. Chr.), der in einigen Situationen seines Wirkens zuversichtliche Ge danken aufkommen liess, oder muss man den Text später datieren und es ist der hochpriesterliche Statthalter Serubbabel (um 525 v. Chr.) gemeint. Diese Fragen muss man nicht historisch beantworten. Der Text spricht weder von einem König, noch von einem Messias. Es wird nicht die alte Hoffnung der Davidsverheissung geschürt. David wird übersprungen und auf einen Spross von Isai gewartet. Der vorkönigliche Zustand noch ohne Verderbnis ist es, wo Jesaja seine Hoffnung ansetzt und damit massiv die Davidsdynastie kritisiert. Weder ein König wie Hiskija, noch ein Gesalbter wie der Priester Serubbabel braucht die Welt, sondern einen neuen von Gott begeisterten und beseelten Zukunftsmenschen.

Mit der Kirche lesen

Mit der Gerichtspredigt des Johannes wird uns im Evangelium ein anderes Modell vorgeführt: Hier wird die Zukunft gewaltsam herbeigeholt. Von einem Paradies ist nichts mehr spürbar. Der gute Zukunftsmensch entsteht durch Selektion. Das Schlechte wird ausgerottet. Nicht Transformation, sondern Reduktion.

Finden wir heutigen Menschen darin unsere düsteren Zukunftsgedanken?

Das Bild des Johannes, vom Baum, der umgehauen wird, weil er keine Frucht bringt, und Jesajas Spross aus dem Baumstumpf, passen zusammen. Braucht also Jesaja auch diese Dezimierung, diese Verurteilung der Bösen, um aus dem Rest dann das zarte Reis wachsen zu lassen? Ist es das, worauf wir Resourcen verschwendenden Industrienationen angesichts der Überbevölkerung insgeheim warten?

Jesus hat es uns anders gezeigt. Der Advent erwartet sein Kommen in Herrlichkeit. Damit hoff en wir auf sein Reich, das am letzten Sonntag des Kirchenjahres, dem Fest Christus des Königs, in der Präfation so beschreiben wurde: Das Reich der Wahrheit und des Lebens, das Reich der Heiligkeit und der Gnade, das Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens. Das will auch der Zukunftsmensch aus Jesaja.

Historische und Biblische Informationen:

7 Gaben des Heiligen Geistes
Jes 11,2 nennt im hebräischen Text 6 Gaben des Geistes: Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis und Gottesfurcht. Der Geist des Herrn selbst – gleich zu Beginn genannt – gehört nicht dazu. Er ist keine Gabe, sondern die Quelle von allen andern, und bezeichnet die Energie, die sich auf verschiedene Weise auf diesen Spross von Isai legt. Seit den Kirchenvätern – und dies wird dann zum Bestandteil katholischer Frömmigkeit bis heute – spricht man von sieben Gaben des Geistes, dem griechischen Text der LXX folgend, die eine Doppelschreibung im Hebräischen mit zwei Synonymen übersetzt: Frömmigkeit und Gottesfurcht.

Sankt Justin sieht diese Gaben vollständig erfüllt bei der Taufe Jesu. Jesus ist der einzige, der alle sieben erhält, wogegen die grossen Vorbilder aus dem Alten Testament, wie Mose, Elija und Jesaja nur ein Teil der Gaben besässen. Seit Irenäus werden diese Gaben auch als die wichtigsten Eigenschaften der Seelen von Gerechten zugeschrieben. Origenes zählt für Jesus 10 Gaben des Geistes, wobei er Kraft, Liebe und Vorsicht hinzunimmt. Für Ambrosius und Augustinus dagegen bezeichnet die Siebenzahl die Fülle der Gaben.

Paulus zählt in seinen Briefen verschiedene Listen mit Gaben des Geistes auf, in Anzahl und Qualität von den jesajanischen abweichen (Röm 12,6–8.28–31; 1 Kor 12,8–10; Eph 4,7.11 f.; 1 Petr 4,9–11). Die reformierte Tradition seit Luther zählt andere Gaben des Geistes, mehr aus theoretischen Überlegungen als auf Grund eines biblischen Befunds.