Wir beraten

«Vergesst die Gastfreundschaft nicht, denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.» (Hebr 13,2)»   

«Die Silberhochzeit von Ben und Alma begann als ein schöner Abend mit gutem Essen unter alten Freunden ... Acht Freunde waren eingeladen, und sie kannten sich ale seit vielen Jahren, sassen um Bens und Almas grossen Kirschholztisch herum und erzählten und tranken und lachten und stritten sich bis in die Morgenstunden, und dann gab es zwei Trennungen und einen, der vielleicht bald sterben musste.»
So beginnt Elke Heidenreich ihre Erzählung «Silberhochzeit» . Um Gastfreundschaft geht es darin, ja klar, aber wie ist das mit den Trennungen und dem, der vielleicht stirbt und was hat das alles mit der Bibel zu tun. Haben Sie bitte etwas Geduld. Möchten Sie es sich nicht bequem machen und mich ein wenig erzählen lassen?

Zu Gast bei Ben und Alma

Der Abend bei Ben und Alma beginnt. Der Tisch ist wunderbar gedeckt, dafür hat Alma ein Händchen. Die Gäste treffen ein, Christian und Gabor, ein schwules Paar, Leo und Getrud, deren Beziehung kriselt, weil Leo ein Verhältnis hat, aber auch wegen Gertruds allzu grenzenloser Begeisterung für Yoga und Gelassenheit. Heinz, der erfolgreiche Versicherungsagent und Vivien, seine zweite Frau. Und dann noch Anita, Almas älteste Freundin, die immer allein gelebt hatte, obwohl Männer ohne Zahl durch ihr Leben gegangen waren und die es jetzt immer mehr vermied, in Spiegel zu schauen. Und schliesslich Jonathan, ebenfalls alleinlebend und zwar in einer unvorstellbaren Unordnung aus der heraus er doch alle paar Jahre ein Buch produzierte, das sich auch noch gut verkaufte. Es gab Almas berühmte Kartoffel-Möhren-Sahne-Suppe und Filet im Blätterteig, dazu Glückwünsche für die 25 gemeinsamen Jahre – «kaum zu glauben».

Raum für wahre Geschichten

Zum Dessert, einer Himbeer-Rotwein-Creme will Ben – gegen Almas Widerstand – eine Rede halten. Er erzählt von einem Erlebnis im letzten Sommer. Er und Alma waren nach Frankreich gefahren, dorthin wo sie in den ersten Jahren ihrer Ehe so oft waren. Sie hatten sich erinnert, wie sie hier Picknick gemacht, sich da auf den Wiesen geliebt hatten, aber sie hatten sich jeder für sich erinnert, während sie stumm nebeneinander im Auto sassen. Das gemeinsame Glück war vergangen und verloren. Und dann waren sie einem jungen Mann begegnet, der sie auf der Strasse erkannte, in Tränen ausbrach und sie umarmte, küsste, in die Luft warf und immer wieder ihre Namen rief. Es war Yannick, den sie als 10jährigen kennengelernt hatten. Sie hatten ihm Schwimmen beigebracht, er durfte mit ihrem 2CV über die Felder fahren und sie hatten seinen Vater dazu gebracht, dass er ihn nicht mehr schlug. «Wir haben ihn geliebt, er war einen Sommer lang wie unser Kind», sagt Alma. «Und dann sind wir abgefahren und haben ihn einfach vergessen ... Und jetzt ist er Metrofahrer in Paris, hat zwei Kinder und stellt euch vor, er hat seine Kinder nach uns benannt, Alma und Ben.» – Diese Geschichte schafft Raum für weitere Wahrheiten. Christian erzählt, dass Gabor Aids hat und bricht in Tränen aus. Gudrun verlässt die Runde, um zu meditieren, Vivien schliesst sich ihr an. Und als sie weg ist, bekennt Heinz, dass sie kurz vor der Trennung stehen. Niemand antwortet, alle haben sich das bereits gedacht. Aber als Alma und Anita alleine in der Küche beim Aufräumen sind und Alma sagt «Ich werde mich von Ben trennen», da ist das für beide eine Überraschung. Vor dem Schlafengehen denkt Alma: «Ich werde nach Paris fahren ... Ich werde Yannick und die Kinder besuchen und dann werden wir schon irgendwie weitersehen».

Zu Gast bei Abraham und Sara

Kommen wir jetzt zurück zu Ihrer Frage: Was hat diese Geschichte mit Gastfreundschaft und der Bibel zu tun. Auch die Bibel erzählt eine Geschichte, in der ein Paar, das seit vielen Jahren verheiratet ist, Besuch bekommt. Die alten Leute heissen Abraham und Sara und ihre Gäste sind drei Fremde. Die Geschichte steht im Buch Genesis, Kapitel 18. Abraham gibt sich mindestens so viel Mühe wie Alma, seine Gäste zu bewirten. Er bringt ihnen Wasser, damit sie sich die staubigen Füsse waschen können, er tischt auf, was Haus und Stall zu bieten haben. Auch hier entsteht ein Gespräch und auch hier wird plötzlich und unerwartet von etwas gesprochen, was das Leben von Abraham und Sara ganz wesentlich betrifft, von einer Wahrheit ihres Lebens, ihrem unerfüllten Kinderwunsch. Ihr Leben lang haben sie sich Kinder gewünscht, alles haben sie versucht. Sie haben sogar ihre Sklavin Hagar zur Leihmutter gemacht. Die unerwarteten Folgen davon sind im Buch Genesis, Kapitel 16 zu lesen (vgl. Zeichen der Liebe 1/2006). Jetzt sind sie alt. «Mir geht es längst nicht mehr, wie es Frauen zu ergehen pflegt», bringt Sara es auf den Punkt. Aber einer der Fremden sagt mit grosser Gewissheit: «In einem Jahr komme ich wieder, dann wird Sara einen Sohn haben». Das löst bei Sara einiges aus. «Sara lachte still in sich hinein und dachte: Ich bin doch schon alt und verbraucht und soll noch das Glück der Liebe erfahren? Auch ist mein Herr doch schon ein alter Mann». Saras Reaktion hat es in sich. Gerade erschien es ihr noch zum Lachen in ihrem Alter schwanger zu werden, aber schon keimt die Hoffnung auch in ihrem Alter noch das Glück der Liebe zu erfahren. Die Einheitsübersetzung, die ich hier zitiere, ist etwas verschämt im Ausdruck. Im Hebräischen wird deutlich, dass Sara an Lust und Sex denkt. Aber dann tritt wieder die Realität in den Vordergrund. Allerdings jetzt ist es nicht mehr sie selbst, die alt und verbraucht ist, jetzt betrachtet sie ihren Mann Sara kann sich vorstellen, dass es noch nicht zu spät ist für eine Veränderung, dass in ihrer Beziehung zu Abraham die Lust aneinander wieder eine Rolle spielen kann, dass neues Leben, ein anderes Leben möglich ist. Aber ob Abraham zu einer solchen Veränderung, zu einem solchen Neuanfang bereit ist?

«Ist bei Gott etwas unmöglich?» (Gen 18,14)

Viele Beziehungen zerbrechen, wenn ein Teil – meistens ist es die Frau – sich verändert, sich nicht mehr zufrieden gibt mit dem gewohnten Alltag und den eingespielten Rollen. Wenn eine etwas verändert, noch einmal etwas wagt, Raum schafft für neues Leben und der andere davon überfordert ist. Die Beziehung von Alma und Ben ist dafür wohl ein Beispiel. Alma zieht die Konsequenzen und bricht alleine auf. Die Bibel erzählt, dass es Sara und Abraham miteinander gelingt. Beides ist zu achten und in beidem steckt – neben der Trauer um die zerbrochene Beziehung – viel Grund zur Freude, zum Lachen über neue Lebendigkeit und neues Leben. Beide Veränderungen sind ausgelöst worden durch Gastfreundschaft und Gäste. Voraussetzung war, dass die Gespräche nicht bei Small-talk stehen blieben, sondern die echten, persönlichen Lebensgeschichten berührten, auch wenn das schmerzhaft war. So können Gäste zu Botinnen und Boten werden, die spüren lassen, wofür die Zeit reif ist und dass noch vieles möglich ist. Gäste können Botinnen und Boten Gottes, also Engel, sein. «Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt» (Hebr 13,2). Gäste, die Schritte zu neuem Leben auslösen, sind Engel. Vergessen Sie die Gastfreundschaft nicht!

Peter Zürn