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Sakrileg-Dekoder VIII: Was hat es mit der so genannten «Logienquelle» Q auf sich?   

Dieter Bauer, forum vom 19.4.2007

Was hat es mit der so genannten «Logienquelle» Q auf sich?

Behauptung: Das «legendäre Q-Dokument», «dessen Existenz sogar von der katholischen Kirche offiziell eingeräumt wird», enthält die «reine Lehre» von Jesus, den seine frühen Anhänger (noch) «als durch und durch menschlichen Lehrer und Propheten verehrt haben».

Und das meint der Decoder dazu: Beim «legendären Q-Dokument», von der Bibelwissenschaft auch mit «Logienquelle» oder einfach nur mit dem Kürzel «Q» (= «Quelle») bezeichnet, handelt es sich tatsächlich um das älteste Dokument, das wir über Jesus von Nazaret haben. Nur: Es handelt sich nicht um einen konkreten Text, der sich in den ominösen vier Truhen des von Dan Brown erfundenen «Sangreal-Schatzes» finden liesse, sondern die Logienquelle ist in die Evangelien des Neuen Testaments bereits enthalten und muss aus diesen erst rekonstruiert werden. Wie das?

Die so genannte «Zwei-Quellen-Theorie»
Keine These zur Erklärung der Entstehung des Neuen Testaments war so wirkmächtig wie die so genannte «Zwei-Quellen-Theorie». Sie entstand aus der Beobachtung, dass die ersten drei Evangelien: Matthäus, Markus und Lukas, zwar im Prinzip sehr ähnlich von Jesus erzählen und eine Zusammenschau (griechisch: Synopse) bieten, andererseits aber voneinander abhängig sind. So schöpfen Matthäus und Lukas ihre Stoffe eindeutig aus dem Markusevangelium: Matthäus z. B. hat es fast vollständig übernommen. Andererseits bieten aber Matthäus und Lukas auch gemeinsame Jesusüberlieferungen, die Markus nicht kennt. Die naheliegendste Erklärung für dieses Phänomen ist die Annahme einer zweiten «Quelle», aus der Matthäus und Lukas gemeinsam (neben dem Markusevangelium) geschöpft haben. Weil diese (hypothetische) zweite Quelle vor allem Aussprüche (griechisch: Logien) enthält, die Jesus zugeschrieben werden, nannten sie die Bibelwissenschaftler «Logienquelle».

Entstehung und Inhalt der Logienquelle
Die Forschung nimmt an, dass die Logienquelle noch vor dem Markusevangelium entstand, das im Allgemeinen um das Jahr 70 n. Chr. datiert wird. Die Anfänge dieser Überlieferung dürften noch in die Tage des Wirkens Jesu in Galiläa reichen, was manche Autoren – nicht nur Dan Brown – zu dem Schluss verleitet hat, hier hätten wir noch so etwas wie den «Originalton Jesu» vor uns. Eine genauere Untersuchung des aus dem Matthäus- und Lukasevangelium rekonstruierten Textbestandes der Logienquelle zeigt aber, dass wir hier kein eigenes Evangelium vor uns haben: so fehlen ein Passionsbericht, Erscheinungen des Auferstandenen und auch der Christustitel. Trotzdem ist es auch nicht nur eine unzusammenhängende Sammlung von Jesusworten. Die Art der Zusammenstellung zeigt nämlich eine radikale Theologie, die wir aus Teilen der Bergpredigt kennen: dem Verbot des Sorgens, der Forderung der Feindesliebe, nach Verzicht auf Gewalt und überhaupt der Mitnahme jeder Ausrüstung bei der Mission. Wir finden hier ein Bild der Anfänge der Jesusbewegung, die sich in geschlechtlicher Gleichberechtigung radikal und charismatisch ohne jede finanzielle Absicherung wie Jesus ganz auf den Vater im Himmel verlassen hat. Dieses Wissen um die Anfänge wird wohl immer ein Stachel im Fleisch unseres etablierten Christentums bleiben.

Von Jesus selbst verfasst?
Wenn Dan Brown behauptet, die Logienquelle sei «möglicherweise sogar von Jesus selbst verfasst», so ist das natürlich Unsinn. Nach der Überlieferung der Evangelien hat Jesus nur ein einziges Mal etwas schriftlich hinterlassen: in den Sand (Johannes 8,8).

DIETER BAUER