Wir beraten

Wenn Männer sich beschenken lassen   

Bekommen Sie gerne Geschenke? Können Sie sich beschenken lassen? Ich nicht. Mir fällt es sehr schwer, mich beschenken zu lassen. Und ich vermute, es geht vielen Männern ähnlich wie mir.

Gerechter Lohn für harte Arbeit
Mit einer Gruppe Männer habe ich das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg aus dem Matthäusevangelium gelesen. Da wird von einem Gutsbesitzer erzählt, der Tagelöhner für die Arbeit in seinem Weinberg sucht. Mit den Arbeitern, die er früh am Morgen einstellt, vereinbart er einen Denar als Tageslohn. Ein Denar war damals die Summe, die eine Familie jeden Tag für das Lebensnotwendige brauchte. Auch später am Tag findet der Gutsbesitzer immer wieder Männer, die Arbeit suchen. Die letzten arbeiten nur noch eine Stunde. Als er den Lohn auszahlt, bekommen die, die nur eine Stunde gearbeitet haben, einen Denar. Die, die 12 Stunden in der Hitze geschafft haben, erhoffen sich jetzt einen grösseren Lohn, aber auch sie erhalten den abgemachten Denar. Wie es weitergeht? Lesen Sie nach bei Matthäus im Kapitel 20.

Wir haben uns 3 Rollen aus dieser Geschichte vorgestellt: ein Arbeiter, der 12 Stunden gearbeitet hat, einer, der den vollen Lohn für eine Stunde Arbeit bekommen hat und den Gutsbesitzer. Wir haben überlegt, wer wir von den dreien am liebsten wären. Es zog uns ganz stark zu dem, der den ganzen Tag geschuftet hat. Denn er hat das, was er an Lohn bekommt, wirklich im Schweisse seines Angesichts verdient. Nur eine Stunde zu arbeiten und dafür den vollen Tageslohn zu bekommen, uns also quasi schenken zu lassen, was wir zum Leben brauchen, das machte uns Mühe. Das wollten wir lieber nicht. Ich vermute, es geht vielen Männern so wie uns.

Ein Mann begegnet einem Kind
Ich habe in der Bibel einen Mann entdeckt, der sich beschenken lassen kann. Er heisst Simeon und von ihm erzählt das Lukasevangelium (Lk 2,25-35). Von ihm heisst es, dass er gerecht und fromm war und auf die Rettung seines Volkes wartete. Damals gab es das offensichtlich, dass ein Mann in hohem Ansehen stand, der wartet; von dem keine besonderen Leistungen und schweisstreibenden Anstrengungen berichtet werden. Er wartet darauf, dass sich etwas ereignet, das seine Möglichkeiten und Kräfte übersteigt. Er wartet auf etwas, das er sich nicht durch Leistungen verdienen kann. Auf etwas, das geschenkt wird.
Simeon wartet offensichtlich schon sehr lange und die Geschichte beschreibt ihn dabei als hellwach und sehr aktiv. Sie nennt das: der Heilige Geist ruht auf ihm. Diese wache Geistkraft lässt ihn zur rechten Zeit am rechten Ort sein und dem begegnen, worauf er wartet. Wer oder was ist es? Es ist ein neugeborenes Kind.
Ist das alles, werden Sie vielleicht fragen? Soll das die langerwartete Rettung sein?

In einem Kind begegne ich mir selbst, begegne der Weise, wie ich in die Welt eingetreten bin – genau wie alle anderen Menschen. Angewiesen auf Andere, auf ihr Ja zu mir, angewiesen darauf von ihnen genährt, gefördert und herausgefordert zu werden. Ich begegne einer wesentlichen Erkenntnis: Ich habe mich nicht selbst gemacht, keine und keiner hat sich selbst gemacht. Das Leben wird uns geschenkt. Wer sich beschenken lässt, kann dabei dem Kind in sich begegnen, dem Kind, das lebt, ohne es sich verdient zu haben. Ich glaube, dass das nicht nur für Kinder gilt, sondern auch für Erwachsene, sogar für Männer. Denn das was wir Wesentlich zum Leben brauchen, können wir uns nicht durch Leistung verdienen. Vieles von dem, was lebensnotwendig ist, kann ich nicht herstellen und nicht machen, ich kann nur aktiv darauf warten und es mir schenken lassen: echte Anerkennung zum Beispiel oder tragfähige Beziehungen.

Brauche ich Rettung?
Simeon wartet auf die Rettung und erkennt sie in dem Kind, das ihm begegnet. Wer auf Rettung wartet, spürt, dass es so nicht weitergehen kann. Dass etwas ganz grundlegend nicht in Ordnung ist; dass sich etwas ändern muss. Wer auf Rettung wartet, wartet auf die Geburt von neuen Lebensmöglichkeiten. Wir müssen etwas dafür tun, wenn wir in unserem Leben etwas ändern wollen. Aber wir können es letztlich nicht machen. Was wir tun können, ist uns eingestehen, dass wir sehnsüchtig sind nach mehr Leben, dass wir mitunter leiden an der Art wie wir leben, dass wir Rettung brauchen. Wer die Sensucht in sich spürt nach etwas, das sich nicht machen und verdienen lässt, der ist offen dafür, sich beschenken zu lassen. Simeon, der Mann in der Bibel, erkennt in dem neugeborenen Kind das Heil. Die Gegenwart Gottes unter uns Menschen. Die Verheissung des Lebens in Fülle und die Erfahrung, dass die Verheissung mir gilt, mir zugesagt ist. Ohne, dass ich sie verdienen muss, als Geschenk.

«Ein Zeichen, dem widersprochen wird»

Dieser Simeon spricht merkwürdige Worte über das neugeborene Kind: «Dieser ist dazu bestimmt, dass viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.» Was ändert sich in unserem Leben, wenn wir – und damit meine ich wiederum besonders uns Männer – unsere Fähigkeit uns beschenken zu lassen genauso stark entwickeln wie unsere Leistungsfähigkeit? Wenn wir uns Zeit und Raum nehmen, Kindern zu begegnen – auch dem Kind, dem kleinen Jungen in uns? Wenn wir Beziehungen wach und aktiv leben und unsere Sehnsucht darauf ausrichten, dass uns mehr Leben, das Leben in Fülle verheissen ist?. Wenn wir uns diese Veränderung wünschen und anfangen, die ersten Schritte zu tun, wird unseren Wünschen widersprochen werden. Ich denke z.B. an einen Mann, der seine Erwerbsarbeit so weit reduzieren möchte, dass er Zeit für Beziehungen, Kinder und sich selbst hat. Dagegen wird sich Widerstand erheben, bei der Arbeit genauso wie im Privaten. Dann wird einiges von dem zu Fall kommen, was uns bisher als Mann ausgemacht hat. Das wird auch schmerzhaft sein. Dann werden wir aber auch spüren, wie sich viel Verbogenes in uns aufrichtet und zum Leben kommt.

Peter Zürn