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Zefanja 3   

3. Adventssonntag: Zefanja 3,14-17 (Lk 3,10-18)

Mit Brüchen leben – ein Grund zum Jubeln

Was macht es uns Menschen möglich zu handeln und unser Leben zu gestalten? Für die Philosophin Hannah Arendt sind es zwei Fähigkeiten: verzeihen und versprechen zu können. Verzeihen befreit davon, auf die vergangenen Taten festgelegt zu bleiben; Versprechen zu machen und zu halten, macht es möglich, sich halbwegs sicher der unabsehbaren Zukunft zu stellen. Für beides sind wir auf Andere angewiesen. Verzeihen und Versprechen ermöglichen es, das Leben verbindlich zu gestalten, auch über unausweichliche Brüche hinweg. Wenn das gelingt, ist es ein Grund zu grosser Freude.

Mit Israel lesen

Der Lesungstext ruft das Volk Israel zur Freude auf. Es wird im Bild der Stadt Jerusalem als Frau angesprochen, als Tochter Zion. Der Aufruf – eine wahre Fülle davon – gründet in einer Zusage: Gott freut sich an den Menschen, jubelt über sie und erneuert seine Liebe. Der Text steht im dritten Kapitel des Buches Zefanja. Die ersten beiden Kapitel sind von ganz anderen Gefühlen geprägt. Im Zentrum steht hier nicht der Tag der Freude, sondern der Tag des Zorns. Die Unterschiede, ja Brüche im Buch Zefanja haben damit zu tun unter welchen Umständen die Texte entstanden sind. Das Buch selbst datiert das Wirken des Propheten in die Zeit Joschijas als König von Juda (640-609 vgl. Zef 1,1). Sie gilt als letzte Phase der Stärke und Blüte Judas. Zefanja sieht das anders. Er beklagt Gewalt, Ausbeutung und die Anpassung an fremde Kulte. Er klagt alle in Jerusalem an, besonders aber die, die Macht haben in Religion, Politik und Wirtschaft (1,4-13). Zefanja ruft zur Umkehr, erfolglos. Schliesslich verändert sich die politische Lage zu Ungunsten Judas. Zefanja liest die Zeichen der Zeit und folgert für die Zukunft Schreckliches: den Tag Gottes als Tag des Zorns – «ein Tag der Not und der Bedrängnis, ein Tag des Krachens und Berstens» (Zef 1,15) – in der Eroberung und Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier und der Deportation der Oberschicht ins Exil werden diese Tage Wirklichkeit. – Im Exil werden die Worte Zefanjas erinnert, vielleicht von Schülerinnen und Schülern. Sie helfen – wenn auch schonungslos und schmerzhaft – das, was geschehen ist, zu deuten. Mit Hilfe Zefanjas stellen sich Menschen ihrer Vergangenheit und ihrer Mitverantwortung für das Geschehene. Sie sehen Zeichen der Umkehr, mindestens bei einem «Rest von Israel» (3,13). Und schliesslich beginnen sie wieder an eine Zukunft zu glauben. Sie entwerfen diese Zukunft und nehmen das Bild vom Tag Gottes wieder auf, jetzt als Tag der Freude, als Festtag. Sie schreiben Texte, die Gottes Verzeihung und seine erneuerte Liebe zu den Menschen verkünden und fügen diese Texte an die ersten beiden Kapitel des Buches an. Sie schreiben keinen Anti-Zefanja, schreiben nicht unter einem anderen Namen, sie sprechen nicht im Namen eines anderen Gottes. Im Gegenteil: Sie schreiben den bestehenden Text weiter. Das Neue hebt das Frühere nicht auf, sondern setzt es fort. Als Einheit legt der Text Zeugnis ab von der einen, ununterbrochenen Geschichte Gottes mit den Menschen – ohne die Brüche darin zu verschweigen oder klein zu reden. Die Brüche und der heftige Streit sind Teil dieser Geschichte, genauso wie die Liebe. Die Zuversicht, dass die Liebe nicht zu Ende ist, sondern sich erneuern kann, gründet für die Zefanja-Schule darin, dass Gott in der Mitte des Volkes ist. Zweimal wird dieser Satz wiederholt (3,15 und 3,17). Er ist Zusage und Versprechen für die Zukunft. Gott ist gegenwärtig in allen Teilen des Zefanja-Buches, über alle Brüche hinweg. Im Jubel und im Zorn bleibt Gott in Beziehung – leidenschaftlich. Das ist manchmal kaum auszuhalten – für das Buch Zefanja aber ein Grund zum Jubeln und die Grundlage von neuem Leben. Wie dieses neue Leben gestaltet wird, im Alltag nach dem grossen Fest, das wird nur angedeutet: «Der Rest von Israel wird kein Unrecht mehr tun», heisst es in Zef 3,13. Was das konkret heisst, muss zu jeder Zeit neu gefragt werden. So wie es im Evangelium passiert.

Mit der Kirche lesen

Das Evangelium setzt genau hier ein. «Was sollen wir also tun?» fragen die Leute. Sie fragen Johannes den Täufer, der genau wie Zefanja einen leidenschaftlichen Gott verkündet, der den Menschen nahe kommt, beängstigend nahe. Johannes wendet sich wie Zefanja an Menschen, die aufgrund ihres Besitzes oder ihrer Macht besondere Verantwortung tragen: Menschen, die mehr als das Lebensnotwendige besitzen, Zöllner, Soldaten. Seine Aufforderungen liegen auf der Linie aller alttestamentlichen Lesungstexte im Advent. Sie richten sich an Menschen, die über Macht verfügen – mit der Überzeugung, dass Unrecht verhindert und Gerechtigkeit gefördert wird, wenn Menschen ihr Machtpotential zügeln und zum Segen für andere einsetzen. So kommen Nächsten- und Gottesliebe zusammen, denn im Verhalten gegenüber den Nächsten – und besonders gegenüber den Schwachen – zeigt sich Gott bei den Menschen, ist Gott mitten unter uns.
In den Anweisungen des Johannes wird aber auch ein Blick auf die christlichen Gemeinden möglich, in denen das Lukasevangelium entsteht. Sie sind in der Realität des römischen Reiches angekommen. Zu ihnen gehören jetzt auch Wohlhabende und Soldaten. «Was also sollen wir tun in der Nachfolge Jesu?» lautet ihre Frage. Im Lukasevangelium finden sich dazu verschiedene Positionen im Streit miteinander. Auch das Evangelium ist ganz und gar nicht frei von Brüchen. An unserer Stelle wird Begrenzung im Interesse der Armen und Machtlosen gefordert. Damit sind aber nicht alle Fragen beantwortet: Ist das dann schon die messianische Zeit? Das Reich Gottes? Entsprechen wir so dem leidenschaftlichen Gott in unserer Mitte? Heiliger Geist und Feuer verweisen die Menschen damals und uns heute auf mehr. Wenn Gott mitten unter uns ist, ist uns mehr versprochen, ist alles möglich, ein nicht endender Festtag der Gerechtigkeit und grenzenloses Jubeln.

Peter Zürn

Tochter Jerusalem
In der Umwelt Israels wurden Städte oftmals als Frauen stilisiert und je nach Situation gelobt, beklagt oder beschimpft. Die Städte gehörten Stadtgottheiten. Der religiöse Kult versorgte die Gottheit und bewirkte so Segen. Die Verbindung Gottes mit Jerusalem/Zion wird in vielen biblischen Texten ausgedrückt (Ps 46; Ps 48; Jes 4; Jer 14; Hos 11, Joel 2; Sach 2). Die Zerstörung einer Stadt, die Deportation der Bewohnerinnen und Bewohner galt als Fluch Gottes. Auch das bezeugt die Bibel (Lev 26,33; Dtn 28,52), Eine solche Stadt ist von Gott verlassen, sie wird zur Ruine (Zef 2,7.13f.). In der Stadt für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen, ist Aufgabe des Königs. In Israel – vor allem nach dem Ende des Königtums im Exil – wird die Sorge für Recht und Gerechtigkeit immer stärker als Sache jedes Einzelnen, jeder Gerechten betrachtet, die oder der in den Augen Gottes, des einzigen Königs, Gnade finden will. (vgl. Thomas Staubli: Gott unsere Gerechtigkeit. Begleiter zu den Sonntagslesungen aus dem Ersten Testament – Lesejahr C. Luzern 2000)