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Älter werden mit Weisheit   

Es gibt biblische Schriften, da stelle ich mir die Autorinnen oder Autoren eher jung und dynamisch vor. Und es gibt andere, die kann ich mir nicht anders als schon ziemlich alt vorstellen. Zu ihnen gehört Kohelet, oder wie er früher hiess: der Prediger Salomo.
Kohelet ist ein Denker. Er möchte alles genau wissen. Und er hat im Laufe seines Lebens schon vieles ausprobiert. Aber vor allem hat er immer versucht, seine Überlegungen zu Ende zu denken. Das Ergebis seines Nachdenkens ist allerdings sehr ernüchternd: «Alles ist Windhauch». Neununddreissigmal wiederholt er das in seinem Büchlein: «Alles ist Windhauch.»

Alles ist Windhauch?
Jetzt kann man natürlich sagen: Das ist ja etwas wenig als Resumee eines langen und erfüllten Lebens. Aber da hätten wir Kohelet missverstanden. Für ihn gibt es durchaus etwas, was kein Windhauch ist: der Genuss des Augenblicks, die Freude, die Gott uns schenkt: «Iss freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein; denn das, was du tust, hat Gott längst so festgelegt, wie es ihm gefiel. Trag jederzeit frische Kleider und nie fehle duftendes Öl auf deinem Haupt. Mit einer Frau, die du liebst, geniess das Leben alle Tage deines Lebens voll Windhauch, die er dir unter der Sonne geschenkt hat, alle deine Tage voll Windhauch. Denn das ist dein Anteil am Leben und an dem Besitz, für den du dich unter der Sonne anstrengst. Alles, was deine Hand, solange du Kraft hast, zu tun vorfindet, das tu! Denn es gibt weder Tun noch Rechnen noch Können noch Wissen in der Unterwelt, zu der du unterwegs bist.» (Koh 9,7-10)
Natürlich hat man Kohelet unterstellt, dass es ihm nur um das Vergnügen zu tun ist. Und viele haben ganz und gar nicht verstanden, was denn ein solches Buch in der Bibel zu suchen hat. Aber Kohelet ist alles andere als vergnügungssüchtig. Er ist eher abgeklärt. Er unterschiedet fein säuberlich zwischen den Dingen, über die wir verfügen können, und denen, die wir einfach zugeteilt erhalten: im Guten wie im Schlechten. Das, was für unser Leben wirklich wichtig ist, das, was uns wirklich glücklich macht – davon ist Kohelet überzeugt – können wir uns nämlich nicht kaufen. Er hat es selber ausprobiert und ist in die Rolle des Königs Salomo geschlüpft: Er hat sich alles geleistet, was ein Mensch sich nur leisten kann, und hat gemerkt: «Das alles ist Windhauch und Luftgespinst» (Koh 1,14).
Alles Geld und jede Macht, ja nicht einmal sein einmaliges Wissen konnten ihn wirklich glücklich machen. Und er schliesst daraus: Wer nicht beizeiten lernt, das, was Gott ihm an Glück zugeteilt hat, auch anzunehmen und – ohne schlechtes Gewissen und Rechnen und viel Überlegen – zu geniessen, der hat sein Leben verfehlt.

Geniessen, so lange es noch geht
Sehr eindringlich weist Kohelet darauf im Schlusskapitel seines Buches hin:
«Freu dich, junger Mann, in deiner Jugend,
sei heiteren Herzens in deinen frühen Jahren!
Geh auf den Wegen, die dein Herz dir sagt,
zu dem, was deine Augen vor sich sehen.
Halte deinen Sinn von Ärger frei
und schütz deinen Leib vor Krankheit;
denn die Jugend und das dunkle Haar sind Windhauch.
Denk an deinen Schöpfer in deinen frühen Jahren, /
ehe die Tage der Krankheit kommen und die Jahre dich erreichen,
von denen du sagen wirst: Ich mag sie nicht!» (Koh 11,9 – 12,1)
Kohelet weiss offensichtlich aus eigener Erfahrung, wie das ist, wenn man älter wird, wenn der Körper nicht mehr so will, wie man selber es gerne hätte. In seinem Schlussgedicht vergleicht wunderschön poetisch den menschlichen Körper und das Nachlassen seiner Fähigkeiten im Alter mit einem Haus. Das hört sich dann so an:
«Am Tag, da die Wächter des Hauses zittern,
die starken Männer sich krümmen,
die Müllerinnen ihre Arbeit einstellen, weil sie zu wenige sind,
es dunkel wird bei den Frauen, die aus den Fenstern blicken,
und das Tor zur Strasse verschlossen wird;
wenn das Geräusch der Mühle verstummt,
steht man auf beim Zwitschern der Vögel,
doch die Töne des Lieds verklingen;
selbst vor der Anhöhe fürchtet man sich und vor den Schrecken am Weg.»
(Koh 12,3-5)
Die Arme (»Wächter des Hauses») und Beine (»starke Männer») machen nicht mehr mit. Und die Zähne (»Müllerinnen») werden auch immer weniger. Die Augen (»Frauen, die aus den Fenstern blicken») werden schlechter und die Ohren auch. Auch der Schlaf ist nicht mehr so wie er schon war (man «steht man auf beim Zwitschern der Vögel») und jeder noch so kleine Ausflug kann zur Mühsal werden. Ganz nüchtern sieht Kohelet angesichts einer blühenden und von Leben strotzenden Welt für sich, den Alten, langsam aber sicher das Ende kommen:
«Der Mandelbaum blüht,
die Heuschrecke schleppt sich dahin,
die Frucht der Kaper platzt,
doch ein Mensch geht zu seinem ewigen Haus
und die Klagenden ziehen durch die Strassen -
ja, ehe die silberne Schnur zerreisst,
die goldene Schale bricht,
der Krug an der Quelle zerschmettert wird,
das Rad zerbrochen in die Grube fällt,
der Staub auf die Erde zurückfällt als das, was er war,
und der Atem zu Gott zurückkehrt,
der ihn gegeben hat.»
(Koh 12,5-7)

Ein Tipp für die «Jüngeren»
Vielleicht erschrecken manche jetzt doch über die Klarheit, mit der Kohelet trotz aller Poesie die Mühsal des Älterwerdens betrachtet. Für Kohelet aber ist dieses Wissen um das Altern und seine Schattenseiten kein Grund Trübsal zu blasen, sondern im Gegenteil: Er ruft auf zur Lebensfreude! Dankbar sollen wir alles das annehmen, das Gott uns an Freude schenkt. Seine Erfahrung hat ihn gelehrt, nichts aufzuschieben. Das möchte er den Jüngeren weitergeben. Man sollte dieses kleine Büchlein in der Bibel rechtzeitig lesen.

Dieter Bauer