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Miteinander auseinander   

Miteinander etwas unternehmen zu können ist etwas Schönes. Miteinander durchs Leben zu gehen auch. Mit Freunden beisammen sein, die einem wertvoll sind, einen Partner, eine Partnerin zu haben, der ich vertrauen kann und die mich nicht im Stich lässt.
Viele Geschichten gäbe es in der Bibel, die von solchem Miteinander erzählen. Aber die Bibel weiss auch um die andere Seite: wenn ein solches Miteinander auseinander geht. Auch das gehört zum Leben: Dass etwas nicht glückt. Dass bei allem guten Willen ein Miteinander irgendwann vielleicht nicht mehr möglich ist. Dass Menschen sich im Laufe des Lebens so auseinander entwickeln, dass sie nicht mehr miteinander können. Diese Erfahrung gibt es nicht nur unter Freunden, das gibt es auch im Betrieb, oder noch tragischer: in einer Ehe.

Wenn es miteinander nicht mehr geht

Was tun, wenn man feststellt, dass es miteinander nicht mehr weitergehen kann? Dass das «Miteinander» nicht mehr lebensfördernd ist, sondern beide nur noch im Leben behindert? Das ist eine äusserst heikle Frage, vor allem auch, wenn man in einer Tradition aufgewachsen ist, die das «Bis dass der Tod euch scheidet» sehr ernst nimmt.
Trotzdem möchte ich auf Spurensuche in der Bibel gehen, ob sie nicht auch für solche tragischen Beziehungsgeschichten Erfahrungen bereit hält, wie zwei Menschen in Anstand und Würde auseinander gehen können – selbst nach vielen Jahren des Miteinanders.
Ich möchte im Folgenden eine Geschichte aus dem Alten Testament anschauen: die Geschichte des Auseinandergehens von Abraham und Lot (Genesis 13). Ich halte diese Geschichte nämlich für durchaus übertragbar auf andere Beziehungen.
Sehr bekannt ist ja die Erzählung vom Ruf Gottes an Abraham, er solle wegziehen aus seinem Land, seiner Verwandtschaft und seinem Vaterhaus in ein Land, das Gott ihm zeigen werde. Meist stellt man sich bei diesem Aufbruch Abraham sehr einsam vor, vielleicht noch von seiner Frau und seinen Kindern begleitet. Doch es wird erzählt, dass er auch seinen Neffen Lot mitgenommen habe und dessen Familie. Gemeinsam sind sie miteinander aufgebrochen nach Kanaan. Als es dann zu einer Hungersnot kommt, weichen sie aus nach Ägypten. Im 13. Kapitel des Buches Genesis schliesslich wird erzählt, dass sie den ganzen Weg auch miteinander wieder zurück nach Kanaan gegangen seien. Doch: Heimgekehrt in das Land Kanaan merken sie plötzlich, dass es so nicht miteinander weitergehen kann. Was war jetzt anders?
Damals, als sie aus dem Land Kanaan weggezogen waren, waren sie hungrig und ver¬zweifelt gewesen. Sie hatten allein aus der Hoffnung gelebt, in Ägypten als Fremde gastfreundliche Aufnahme zu finden. Jetzt aber waren sie satt und zufrieden und mit den Schätzen des Ori¬ents beladen, «Schafe und Ziegen, Rinder und Esel, Knechte und Mägde, Eselinnen und Kamele» (Gen 12,16), «Silber und Gold» (13,2), zwei «gemachte Männer».
Doch: Gerade dieser sagenhafte Reichtum, mit dem sie gesegnet sind, erweist sich für die beiden als tückisch: Die Fruchtbarkeit von Mensch und Tier führt dazu, dass die beiden Sippen und die Herden immer grösser werden. Die Wanderung wird mühsamer, die Beziehungen unübersichtlicher, das Weideland knapper und das Wasser immer rarer. Und «Silber und Gold» kann das Vieh schliesslich nicht fressen. «Das Land ertrug nicht, dass sie zusammen wohnten», heisst es lapidar und noch einmal dasselbe auf der Beziehungsebe¬ne: «sie vermochten nicht zusammen zu wohnen, denn ihr Besitz war überaus gross.»
Und prompt kommt es auch zum Konflikt: Die Hirten der beiden streiten sich um die Weideplätze und das Wasser. Das Problem ist nicht mehr zu übersehen. Jetzt muss etwas geschehen, sonst wird der Streit tödlich enden. Wer im Streit um das Wasser unterliegt, dessen Vieh verdurstet und dessen Sippe verhungert am Ende. Man könnte es darauf ankommen lassen. Aber: Muss es erst so weit kommen, dass «der Tod die beiden scheidet»? Abraham scheint die Folgen eines weiteren Zuwartens zu ahnen. Er ergreift die Initiative zu einer friedlichen Beilegung des Streits. Auch sie bedeutet im Endeffekt Trennung, aber unter ganz anderen Bedingungen!

Wir sind doch «Brüder»

Abraham schaut, als der Streit ausbricht, nicht erst lange nach hinten. Er fragt nicht, wie es so weit kommen konnte, sondern er schaut nach vorne: Wie man am besten aus der verfahrenen Situation herauskommt. Was geschehen ist, ist geschehen. Und wenn man sich schon trennen muss, dann soll es in Anstand und Würde vor sich gehen. Das ist aber nur möglich, wenn die Beziehung und der Partner ernst genommen wird.
Abraham schaut nach seinem Partner und sagt: «Nicht doch, kein Streit sei zwischen mir und dir und zwischen meinen Hirten und zwischen deinen Hirten, denn Männer, Brüder sind wir.» Dass sie beide «Brüder» sind, das ist Abrahams Ausgangspunkt. Wenn wir das beim Streiten auch so machten, wieviel böses Blut liesse sich da vermeiden?! Und: Erst nachdem Abraham ihre Beziehung auf diese Grundlage gestellt hat, sagt er: «Trenne dich doch von mir!»
Diese Worte klingen hart. Aber die Dinge, die mit einer Trennung zusammenhängen, sollten auch nicht verharmlost werden. Niemandem fällt eine solche Entscheidung leicht. Schliesslich ist man ein ganz schönes Stück Weges miteinander gegangen. Und selbst, wenn sich nun eher das Trennende in den Vordergrund schiebt, so stand da doch lange genug das Verbindende. Davon nun Abschied zu nehmen, ist das Ergebnis eines langen und schwierigen Prozesses.

Zukunft für beide

Doch, so schwer es sein mag: Manchmal kann es trotzdem notwendig sein, sich zu trennen, damit sich neue Räume auftun können. In unserer Geschichte öffnet Abraham seinem «Bruder» Lot dafür die Augen:
«Hast du nicht das ganze Land vor dir?» Und Lot sieht: Die ganze fruchtbare Jordangegend liegt ihm zu Füssen, das «Paradies». Er muss es nur ergreifen. Und Abraham lässt ihm sogar den Vortritt. Und Lot greift zu. Bekommt Abraham deshalb weniger? Ganz und gar nicht! Er erhält das Land Kanaan, wie ihm verheissen war. Und beide haben wieder eine Zukunft.

Dieter Bauer