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Gott und dem Heiligen Geist nicht im Wege stehen   

Detlef Hecking zum Fest Taufe des Herrn (13. Januar): Apg 10,34–38

 

Apg 10,34–38 ist der dritte aufeinanderfolgende Sonntags-Lesungstext, der ähnliche Aspekte frühchristlicher Identitätsfindung thematisiert. Es lohnt sich deshalb, alle drei Lesungen (Gal 2, Eph 3 und Apg 10) nebeneinander zu lesen und – auch mit Hilfe der Kommentare in dieser SKZ -Ausgabe – den Ähnlichkeiten und je spezifischen Akzenten der einzelnen Texte nachzugehen. Die Lesung, der Anfang einer Petrusrede, ist ein kurzer Ausschnitt aus einer langen Erzählung in Apg 10,1–11,18, die einen Wendepunkt der frühchristlichen Missionspraxis narrativ darstellt. Hauptfigur ist, neben Petrus und einem Engel, ein heidnischer Hauptmann namens Kornelius, «fromm und gottesfürchtig mit seinem ganzen Haus, der dem [jüdischen] Volk viele Almosen gab und allezeit zu Gott [= dem Gott Israels] betete » (10,2). Kornelius sieht in einer Vision einen Engel, der ihn auffordert, Petrus zu sich zu bitten. Petrus seinerseits sieht noch vor der Begegnung mit Kornelius in einer Vision «den Himmel geöffnet und ein Gefäss (…) herabkommen (…); darin waren allerlei vierfüssige und kriechende Tiere der Erde und Vögel des Himmels. Und eine Stimme erging an ihn: Steh auf, Petrus, schlachte und iss!» (Apg 10,11–13). Petrus ist entsetzt, denn diese Tiere sind nach den jüdischen Speisegesetzen allesamt unrein, dürfen also nicht gegessen werden (vgl. Lev 11). Doch die Stimme bleibt hartnäckig. Insgesamt drei Mal hört Petrus: «Was Gott gereinigt hat, mach du nicht gemein!» (Apg 10,15). Als Kornelius dem Petrus später von seiner eigenen Engelsvision erzählt, versteht Petrus den tieferen Sinn seiner eigenen Vision. Hier setzt unsere Lesung mit der Reaktion des Petrus ein: «In Wahrheit begreife ich, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in jeder Nation ist, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit wirkt, ihm angenehm» (10,34 f.). Noch während der Rede «fiel der Heilige Geist auf alle, die das Wort hörten» (10,44). Petrus ordnet deshalb die Taufe des Kornelius und seiner Leute an (10,48) – ohne vorgängige Beschneidung. Diese Entscheidung verteidigt Petrus später auch vor der entsetzten judenchristlichen Jerusalemer Gemeinde mit dem Argument: «Wenn nun Gott ihnen die gleiche Gabe [= den Heiligen Geist] gegeben hat wie auch uns, die wir an den Herrn Jesus Christus geglaubt haben, wer war ich, dass ich hätte Gott wehren können?» (Apg 11,17).

Apg 10 f. im jüdischen Kontext

Die Kornelius-Episode ist damit von der Frage geprägt, welche Position(en) die vielfältigen Strömungen des Frühjudentums im 1. Jhdt. n. Chr. gegenüber Menschen aus den «Völkern», also Nichtjuden mit polytheistischer Religion, einnahmen. Dabei gab es vier Varianten «universalistischer» Tendenzen.

1) Sympathie: Es gab vielfältige Formen aktiver Sympathie von Menschen aus den «Völkern» gegenüber dem Judentum. Diese Formen reichten von einer persönlichen Verehrung des Gottes Israels (und damit der Abkehr von heidnischen Kulten) über die Teilnahme an Synagogengottesdiensten bis zur partiellen Einhaltung der Tora (v. a. Sabbatobservanz, Verzicht auf Schweinefleisch) und zur Verrichtung von Gebeten und Opfern im Jerusalemer Tempel. In der Apostelgeschichte werden solche Menschen über ihr Verhalten beschrieben und/oder als «Gottesfürchtige » bezeichnet (10,2;13,16.26). Von jüdischer Seite wurden solche Annäherungen meist nicht aktiv gefördert. Wenn das Interesse von Menschen aus den «Völkern» selbst ausging, wurde es aber positiv aufgenommen und durch religiösen Unterricht (vgl. Mt 23,15!) unterstützt.

2) Konversion: Ein Teil solcher «Sympathisantinnen und Sympathisanten» trat offiziell zum Judentum über und wurde dadurch zu sog. Proselyten. Damit war für Männer in der Regel auch die Beschneidung verbunden.

 3) Ethischer Monotheismus: Viele frühjüdische Schriften sehen enge Parallelen zwischen der Tora und ihren Geboten sowie philosophischen Entwürfen und religiösen Konzepten – durchaus ähnlich, wie das Zweite Vatikanische Konzil festgehalten hat, dass alle Religionen «nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet» (Nostra Aetate 2). Im Frühjudentum wurden dabei häufig die allgemeineren Gebote (Montheismus, Ethik usw.) hervorgehoben, ethnisch-partikulare Gebote wie z. B. die Speisegesetze dagegen relativiert.

4) Teilhabe an der eschatologischen Rettung: In den prophetischen Schriften der Bibel gibt es zahlreiche Visionen vom endzeitlichen Heil für alle Völker. Die Wege im Einzelnen sind unterschiedlich – Anerkennung des Gottes Israels, Völkerwallfahrt zum Zion usw. – und häufig auch in endzeitliche Völkerkämpfe eingebettet, doch grundsätzlich ist klar, dass der Gott Israels existenzielles Interesse an allen Völkern hat. Diesen universalistischen Konzepten im Frühjudentum ist gemeinsam, dass Menschen aus den «Völkern», die ihr Leben auf einem der beschriebenen Wege gestalten, vor Gott gerechtfertigt sein können, auch wenn sie nicht zum Judentum übertreten. Der Glaube an die Erwählung Israels begründet somit keinen Anspruch auf einen exklusiven Heilsweg in der Tora, sondern auf eine besondere Aufgabe Israels in der (und für die) Welt. Unsere Lesung aus Apg 10 erzählt nun exemplarisch, wie Petrus, Paulus und andere Missionarinnen und Missionare in dieses vielschichtige System eingreifen. Die frühchristliche Mission wendet sich Menschen aus den «Völkern» zu. Damit tut sie nichts anderes als das Mehrheitsjudentum (mit Ausnahme von Qumran, das grundsätzlich auf Abgrenzungen besteht): Kornelius ist ja gerade ein besonders aktiver «Sympathisant» jüdischen Glaubens. Doch indem die frühchristliche Mission solche Menschen durch die Taufe in die jesusmessianischen Gruppen integriert, sie als gleichwertige «Teilhaberinnen und Teilhaber» an der Gotteskindschaft Israels anerkennt und in volle Lebens- und Mahlgemeinschaft aufnimmt, sprengt sie den mehrheitsjüdischen Konsens, wonach für diesen Schritt die Einhaltung der ganzen Tora nötig war. Spirituelle Grundlage für diese Entscheidung war die Erfahrung, dass diese Menschen faktisch bereits dazugehören (vgl. Apg 10 f.): Sie haben den Heiligen Geist empfangen, obwohl sie die traditionellen Kriterien der Zugehörigkeit nicht erfüllen. In diesem Sinne zeigt sich Christus als «Herr aller» (10,36).

Heute mit Apg 10–11 im Gespräch

Die Frage, wer «wirklich dazugehört» und wer nicht, wer – beispielsweise – am eucharistischen Mahl teilnehmen darf und welche Bedingungen er/sie dafür erfüllen muss, findet innerkirchlich wieder grössere Aufmerksamkeit. Mit Blick auf Apg 10 f. ist auffällig, welche Zumutungen der Heilige Geist für Petrus bereithält. Es gehörte offenbar zu den wesentlichen Erfahrungen des Frühchristentums, dass der Geist Gottes grundlegende Selbstverständlichkeiten in Frage stellt, verwandelt und dabei fast keine Grenzen des «religiösen guten Geschmacks» kennt. Was empfinden wir heute – in unserer Gesellschaft, in unserer Kirche – als religiösspirituelle Zumutungen, die uns die Haare zu Berge stehen lassen? In welchen von diesen Zumutungen könnte sich – vielleicht – die Stimme Gottes, das Wirken des Heiligen Geistes für heute artikulieren? Wo und wie lernen und praktizieren wir heute die «Unterscheidung der Geister», die klassische Form persönlich-gemeinschaftlicher, geistlicher Entscheidungsfindung?

 

Vgl. Terence L. Donaldson: Judaism and the Gentiles. Jewish Patterns of Universalism (to 135 CE ). Waco 2007.