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Miterben biblischer Verheissungen   

Detlef Hecking zur Lesung am Fest Erscheinung des Herrn (6. Januar): Eph 3,2–3a.5–6

 

Die Lesung beginnt mit einer direkten Anrede in der 2. Person Plural: «Ihr habt doch gehört…» (Eph 3,2). Wer hier angesprochen ist, klärt sich, wenn man im Epheserbrief einige Sätze zurückblättert, wo die religiöse Herkunft der Adressatinnen und Adressaten benannt wird: «Deshalb denkt daran, dass ihr, einst aus den Nationen dem Fleisch nach – ‹Unbeschnittene› genannt von der sogenannten Beschneidung, die im Fleisch mit Händen geschieht – zu jener Zeit ohne Christus wart, ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels und Fremdlinge hinsichtlich der Bündnisse der Verheissung; und ihr hattet keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt» (2,11 f.). Der Autor, der in der Tradition des Paulus steht und sich den Namen des Apostels «ausleiht », aber gut eine Generation später, um ca. 85–95 n. C hr., lebt und schreibt, wendet sich also an Heidenchristinnen und -christen. Für sie, die ursprünglich aus den nichtjüdischen «Völkern» stammen, ist durch ihr Christusbekenntnis alles anders geworden. Sie sind jetzt «Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen» (2,19), «Miterben und Miteinverleibte und Mitteilhaber der Verheissung in Christus Jesus durch das Evangelium» (3,6). Ja, Christus hat für den Autor des Briefes sogar «aus beiden [Juden und Heiden] eins gemacht und die Zwischenwand der Umzäunung, die Feindschaft, in seinem Fleisch abgebrochen. Er hat das Gesetz der Gebote in Satzungen beseitigt, um die zwei – Frieden stiftend – in sich selbst zu einem neuen Menschen zu schaffen …» (2,14 f.). So weit, so gut – und so beglückend für die Heidenchristen. Doch was ist mit den anderen, den «Heiligen», den ursprünglichen Bürgern und Hausgenossen Gottes? Wurden sie dazu befragt, wer da plötzlich zur «Untermiete » einzieht? Wie stabil, zukunftsträchtig und friedensfähig ist eine Hausgemeinschaft, wenn die zuvor bestehende Hausordnung der seit jeher dort beheimateten, jüdischen Wohnpartei – das «Gesetz der Gebote in Satzungen», also die Tora – leichthin als «beseitigt » erklärt wird? Und: Bestand zuvor tatsächlich «Feindschaft» zwischen Juden und Heiden?

Eph 3 im jüdischen Kontext

Es ist unsicher, aber durchaus relevant, ob der Autor des Epheserbriefes ein Judenoder Heidenchrist ist. Im ersten Fall, der in der Forschung mehrheitlich vertreten wird, würde er quasi das Beste seines eigenen, jüdischen Glaubens in den gemeinsamen, jesusmessianischen «Leib» (3,6; vgl. 1 Kor 12) bzw. die «Wohngemeinschaft» aus Juden- und Heidenchristen einbringen. Er stünde dann für die zunehmend kleiner werdende Gruppe von jesus-messianischen Juden, die sich in der entstehenden Kirche gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. noch zu Hause fühlen, und hat eine dementsprechend wichtige Erinnerungs- und Brückenfunktion, damit die jüdischen Wurzeln des Christentums nicht verloren gehen. Dabei spielt er öfters auf die heiligen Schriften Israels an, zitiert sie aber nicht direkt. D ass jene, die einst «fern» waren, nun in die Nähe gekommen sind (2,13), lässt beispielsweise Jes 57,19 anklingen («Friede, Friede den Fernen und den Nahen, spricht der Ewige, ich werde sie heilen»). Und manche der in Eph 2 verwendeten Bilder und Vergleiche stammen aus dem Jerusalemer Tempelkult. Die «Zwischenwand der Umzäunung» (2,14) könnte z. B. für die Abschrankungen stehen, die im Tempel die Vorhöfe der Israelitinnen und Israeliten von den Vorhöfen der Heiden voneinander trennten und deren Überschreitung Nichtjuden bei Todesstrafe verboten war. T rotz dieses Lebens aus den heiligen Schriften Israels hätte sich dieser judenchristliche Verfasser allerdings schon viel weiter als Paulus (vgl. die Auslegung zu Gal 3 in dieser SKZ ) von der vollständigen Einhaltung der Tora entfernt (Eph 2,15). Falls der Autor jedoch Heidenchrist ist, müsste man die Vorstellung einer gemischten Kirche aus Juden und Heiden wohl als Vision betrachten, die in der Realität schon damals nur noch sehr eingeschränkt erreicht wurde. So oder so muss man die Darstellung der jüdisch-heidnischen Beziehungen vor dem «Christusereignis» durch den Autor des Epheserbriefes wohl als tendenziell einseitig bezeichnen. Jüdische Menschen lebten im 1. Jhdt. n. C hr. nicht nur in Israel als Mehrheitsbevölkerung, sondern auch als Minderheit in nahezu allen mittleren und grösseren Städten des Römischen Reiches. Von Seiten Roms war das Judentum als «religio licita», als erlaubte Religion, anerkannt und genoss deshalb gewisse Privilegien, die eine relativ freie Religionsausübung gewährleisteten. Vielerorts mussten Juden beispielsweise am Sabbat nicht vor Gericht erscheinen und durften auch nicht zum Militärdienst zwangsrekrutiert werden, weil sie in der römischen Armee ihre Speisegesetze nicht einhalten konnten. Zudem durften die jüdischen Gemeinden eine Steuer für den Tempel einziehen und nach Jerusalem bringen. D iese Sonderrechte waren stabil und labil zugleich: Sie wurden von hellenistischen und römischen Herrschern in der Antike immer wieder bestätigt und galten deshalb im 1. Jhdt. n. C hr. als Gewohnheitsrecht. Sie waren aber auch lokalen Einschränkungen und Repressionen unterworfen, wenn es zu Spannungen zwischen der Mehrheitsbevölkerung und der jüdischen Minderheit kam. Jüdisch-heidnische Beziehungen waren aber insgesamt auch in religiöser Hinsicht vielfältig und nicht durchgängig abgrenzend-negativ (vgl. auch die Auslegung von Apg 10 in dieser SKZ ). Die Behauptung der Hoffnungsund Gottlosigkeit nichtjüdischer Menschen (Eph 2,12), ja einer «Feindschaft» zwischen jüdischen Menschen und Menschen aus den «Völkern» (2,14) ist jedenfalls ausgesprochen pointiert: Sie kann allzu negativen konkreten Erfahrungen geschuldet sein – der erste jüdisch-römische Krieg liegt zur Abfassungszeit des Epheserbriefes nur ca. 15–25 Jahre zurück –, aber auch eine rhetorische Zuspitzung sein, vor der das «Christusereignis» umso heller leuchten soll.

Heute mit Eph 3 im Gespräch

Auffällig ist die dreimalige Wiederholung der Vorsilbe «mit-» in Eph 3,6. Menschen aus den nichtjüdischen «Völkern» – also auch wir heute! – sind durch Christus «Mit-Erben und Mit-Eingeleibte und Mit-Teilhaber der Zusage in Christus Jesus», wie es wörtlich übersetzt heisst. Was für den Verfasser des Epheserbriefes (und eine Generation zuvor auch für Paulus in seinem berühmten Ölbaum-Gleichnis, Röm 11) ganz und gar selbstverständlich ist, hat für die meisten Christinnen und Christen heute jegliche Relevanz verloren: Wir, die «Untermieter», haben uns zu «Hauseigentümern » aufgeschwungen. Johannes Paul II. hat in seiner Begegnung mit der jüdischen Gemeinde von Rom im Jahr 1980 die Verhältnisse wieder (etwas) zurechtgerückt, indem er von jüdischen Menschen in geistlicher Hinsicht als «unseren älteren Brüdern» (und Schwestern) gesprochen hat. In dieser Formulierung liegt bis heute unschätzbares Potenzial: Zunächst für unser eigenes, bescheidene(re)s christliches Selbstverständnis im Angesicht des Judentums – und im zweiten Schritt auch für ein weiter erneuertes und vertieftes christlichjüdisches Gespräch.

 

Hinweise für Liturginnen und Liturgen: Ein Einführungstext zur Lesung sowie Hinweise für den Vortrag im Gottesdienst können beim Katholischen Bibelwerk Stuttgart unter https://www.bibelwerk.de/home/sonntagslesungen heruntergeladen werden.