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Wie erklärt man Weihnachten?   

Winfried Bader zur Lesung an Weihnachten am Tag: Hebr 1,1–6, SKZ 49/2012

 

Wenn man es Kindern erklären will, dann erzählt man vom Christkindlein und schmückt es aus mit einem der unzähligen Weihnachtsmärchen, in deren Zentrum meist ein armes Kind steht, das sich auf die Suche macht und durch das aufgefundene Christkind ein grosses Glück erfährt. Da die Szenen und Motive aus der Lebenswelt der Kinder stammen, können sie auf diese Weise etwas von Weihnachten verstehen. D ie biblischen Autoren machen es genauso: Lukas und Matthäus erzählen ebenfalls (je unterschiedliche) Geschichten, um Weihnachten zu erklären. Sie benutzen dazu Szenen aus der Lebens- und Erfahrungswelt ihrer damaligen Leserinnen und Leser. Vor allem aber greifen sie auf deren religiöse Erfahrung zurück, indem sie Motive aus deren heiligen Schriften verwenden. Sie erzählen ihre Geschichten in den Sprach- und Denkkategorien des Ersten Testaments. Nur so konnten ihre Leserinnen und Leser dies verstehen, wie unsere Kinder es heute tun, weil in ihrer Sprache geredet wird. Johannes macht es ähnlich: Sein Prolog greift auf das Sprachspiel der Schöpfungserzählung zurück. U nd wie versucht uns die Verfasserin des Hebräerbriefs Weihnachten zu erklären?

Was in den Schriften steht

Sie beginnt ihre theologische Predigt über das Christusereignis in der Sprach- und Gedankenwelt des Ersten Testaments. «Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten » (Hebr 1,1) greift explizit auf die religiöse Erfahrung des Gottesvolks zurück. Propheten sind bekannt. Welche Tragweite, die von ihnen getätigten Sprüche hatten, wissen die Leserinnen und Leser damals selbstverständlich. «In der Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn» (Hebr 1,2). Der Sohn wird in seiner Funktion den Propheten gleichgesetzt, das versteht man. Mit «Endzeit» wird eine Denkkategorie aus der Apokalyptik aufgenommen. Wie genau «Sohn» als neuer Titel zu verstehen ist, wird im weiteren Text geklärt. «Durch den Sohn hat er auch die Welt erschaffen» (Hebr 1,2). Dass Gott bei der Schöpfung mit jemandem zusammenarbeitete, ist ein Gedanke der Weisheitsliteratur. Die als Frau personifizierte Weisheit war die «Werkmeisterin» Gottes bei seiner Schöpfungstätigkeit: «YHWH zeugte mich (die Weisheit) als Erstling seines Waltens, als Uranfang seiner Werke von damals. Seit jeher bin ich geformt, seit Anbeginn, seit den Urzeiten der Erde. (…) Als er den Himmel festmachte, war ich dabei, als er den Horizont über den Urfluten abgrenzte, als er den Wolken droben Kraft verlieh, als die Quellen der Urflut mächtig wurden, als er dem Meer seine Grenze setzte, als er die Fundamente der Erde festlegte. Da war ich bei ihm als Werkmeisterin, ich war nichts als seine Wonne Tag für Tag, lachend und scherzend vor ihm die ganze Zeit» (Spr 8,22–31, Übersetzung Othmar Keel). In dieser Rolle soll jetzt der Sohn verstanden werden: Er ist ein gleichwertiges Gegenüber Gottes. «Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit, und das Abbild seines Wesens» (Hebr 1,3) fährt die Verfasserin mit der Beschreibung des Sohns fort. Sie verwendet dabei Gedanken des (fast) zeitgenössischen Buchs der Weisheit (im Zeitraum von 30 v. C hr. bis 50 n. C hr. wie der Hebräerbrief in Alexandrien entstanden): «In ihr (der Weisheit) ist ein Geist, gedankenvoll, heilig, einzigartig, mannigfaltig, zart, beweglich, durchdringend, unbefleckt, klar, unverletzlich, das Gute liebend, scharf, nicht zu hemmen, wohltätig, menschenfreundlich, fest, sicher, ohne Sorge, alles vermögend, alles überwachend und alle Geister durchdringend, die denkenden, reinen und zartesten. Denn die Weisheit ist beweglicher als alle Bewegung; in ihrer Reinheit durchdringt und erfüllt sie alles. Sie ist ein Hauch der Kraft Gottes und reiner Ausfluss der Herrlichkeit des Allherrschers; darum fällt kein Schatten auf sie. Sie ist der Widerschein des ewigen Lichts, der ungetrübte Spiegel von Gottes Kraft, das Bild seiner Vollkommenheit. Sie ist nur eine und vermag doch alles; ohne sich zu ändern, erneuert sie alles. Von Geschlecht zu Geschlecht tritt sie in heilige Seelen ein und schafft Freunde Gottes und Propheten» (Weish 7,22–27). «Der Sohn hat sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt» (Hebr 1,3) greift Psalm 110 auf: «So spricht YHWH zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten und ich lege dir deine Feinde als Schemel unter die Füsse» (Ps 110,1). Dieser Sohn wird damit als königlicher David erklärt. Die Erwähnung des «Namens» (Hebr 1,4) rückt ihn in die Nähe Gottes, dessen Namen so wichtig ist. In Hebr 1,5–13 folgen sieben direkte Zitate aus dem Ersten Testament. «Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt» (Hebr 1,5a = Ps 2,7). Der König wird bei seiner Amtseinsetzung zum Sohn Gottes, eine weit verbreitete altorientalische, vor allem ägyptische Vorstellung. Umgekehrt heisst das: Dieser Sohn ist König. «Ich will für ihn Vater sein, und er wird für mich Sohn sein» (Hebr 1,5b = 2 Sam 7,14), war die Weissagung Natans über den Davidssohn Salomon. Wer als Leserin oder Leser damals diesen Satz hört, denkt automatisch den Kontext mit: «Er wird für meinen Namen ein Haus bauen, und ich werde seinem Königsthron ewigen Bestand verleihen » (2. Sam 7,13). Es ist die berühmte Zusage des Fortbestandes der Davidsdynastie, die nach fast 600 Jahren Unterbruch nun in Jesus, dem Nachfolger auf dem Thron Davids, ihre Erfüllung finden soll – Betlehem lässt grüssen! «Alle Engel Gottes sollen sich vor ihm niederwerfen» (Hebr 1,6 = Dtn 32,43 LXX = Ps 97,7). Wurde in den Texten des Ersten Testaments Gott selbst von den Engeln verehrt, so ist es hier der Sohn, der verehrt wird. Er wird damit auf die Stufe Gottes gestellt. Die Engel – so dann auch die Argumentation des weiteren Texts – sind dem Sohn aber deutlich untergeordnet. Mit der Anknüpfung an die Vorstellungen des Ersten Testaments reagiert die Verfasserin damit auf Irrlehren in ihrer Zeit, wo Engel als Mittlerwesen galten, die über den Menschen Jesus von Nazaret gestellt wurden. In der Argumentation des Hebräerbriefs wird Jesus aber in die höchste Rolle des Gottessohns gehoben. Das ist ihre Erklärung von Weihnachten.

Heute im Gespräch über Weihnachten

Wie erklärt man nun heute Weihnachten, in einer Zeit, wo keiner mehr die Natansverheissung kennt und diese nicht mehr wichtig ist, die Vorstellung einer Partnerin Gottes beim Schöpfungsakt fremd ist und Königsvorstellungen keine Kraft mehr haben? Für die Kinder wurden (kitschig fromme) Sprachspiele gefunden. Aber welche Sprache verstehen die Erwachsenen heute? Kann man aus der Erfahrung mit Computern, iPhones und Internet eine verständliche S prache f ür Weihnachten fi nden? Eignen sich Wirtschaft, Politik oder der Sport für griffige Denkkategorien über Weihnachten? Oder hilft der alte Begriff weiter, der bis heute aktuell und in seiner Tiefe noch nicht erfasst ist: Weihnachten ist Liebe.