Wir beraten

Der Frieden, der nicht billig ist, sondern in Gott wurzelt   

Ursula Rapp zum Evangelium an Pfingsten: Joh 20,19–23, SKZ 19/2012

Die Erzählung spielt nicht zu Pfingsten, wie wir es feiern, zum jüdischen Wochenfest, fünfzig Tage nach Ostern, sondern am Ostersonntagabend. Der Abend des Ostersonntags ist für uns eine Zeit, wo wir längst in österlicher Freude und Zuversicht zusammensitzen, uns freuen, dass Gott Tod und Finsternis besiegt hat. Die Jüngerinnen und Jünger durchleben eine ganz andere Situation. Sie haben zunächst Angst, sind noch ganz geprägt von den schrecklichen Ereignissen und dem Mord an Jesus. Erst als Jesus in all seiner Kraft vor ihnen steht, freuen sie sich, schöpfen auch Mut. Aber nicht, um sich selbst zu beruhigen, sondern um für die Menschen die frohe Botschaft von der Vergebung der Sünden spürbar und erfahrbar zu machen.

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Zu Beginn steht eine markante Zeitangabe: Es ist Abend dieses ersten Tages nach dem Sabbat, also Sonntagabend. Das ist nach der Zeitrechnung des Evangelisten Johannes der Sonntag, an dem Maria aus Magdala das leere Grab vorgefunden hat und Jesus ihr erschienen ist. Maria ging dann zu den anderen Jüngerinnen und Jüngern und erzählte ihnen, dass sie «den Herrn» gesehen hatte. Wenn Maria sagt, sie hat den Herrn gesehen, dann heisst das, sie hat Jesus in seiner Vollmacht, in all seiner Kraft und Ausstrahlung, wie er lebendig ist, gesehen. Nicht einfach eine Erscheinung, sondern das, was er ihr bedeutet: Herr, Meister.

So sitzen sie an diesem Abend zusammen, haben sich eingeschlossen und haben Angst. Sie kennen sich nicht aus. Abend oder Nacht ist in der Bibel die Zeit besonderer Ereignisse. In der Septuaginta geschieht um diese Zeit nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Ermordung des babylonischen Generals Holofernes durch Judit (Jdt 13,1). Bei Mk, Mt und Joh ist es die Zeit der Vollmacht Jesu (Heilungen in Mk 1,32; Mt 8,16, Speisung vieler in Mt 14,15 und die Beruhigung des Seesturmes in Mk 4,35; 6,46; Joh 6,16). Wenn Jesus um diese Zeit kommt, ist das nicht zufällig. Es ist die Zeit seiner Vollmacht.

Die geschlossenen Türen dagegen ein Zeichen von Sicherheitsbedürfnis und Angst (Neh 6,10, 7,3; Koh 12,4; Dan 13,17.20). In diese Situation tritt Jesus ein und grüsst mit dem Friedensgruss. Friede, hebräisch Schalom, bedeutet mehr als nur das Gegenteil von Streit und Krieg. Es beinhaltet die Aspekte von Friede, Sicherheit, Wohlbefinden, wohlbehalten sein; sicher, unversehrt sein. So ist es auch bis heute ein üblicher Gruss (1 Sam 25,5 f.), ein Wunsch des Wohlergehens und zugleich die Nachfrage danach. So sagt Jesus nicht einfach nur Friede, sondern gerade in diese Situation der Angst wahrscheinlich vor allem «Sicherheit und Unversehrtheit sei mit euch»; was für ein Zuspruch für diese Menschen, die noch verwirrt, trauernd und voll Angst sind.

«Friede» steht innerhalb des Neuen Testaments immer im Kontext der «pax romana», dem «Frieden» des brutal durchgreifenden Unterdrückungsregimes. Die Jüngerinnen und Jünger kennen diese nun aus der Festnahem und Ermordung Jesu. Hier steht nun aber im griechischen Text, dass die Jüngerinnen und Jünger vor den «ioudaioi», «den jüdischen Menschen» Angst hatten. Wer waren diese angesichts dessen, dass sie selbst zu diesen zählten? Auch Josef von Arimatäa war aus Angst vor diesen «jüdischen Menschen» ein geheimer Jünger und kommt deshalb abends daher. Der Begriff kommt im Johannesevamgelium ganz besonders häufig vor, auch im Buch Ester ist das so. Bei Ester sind «die Juden» jene Gemeinschaft, die von einem Pogrom bedroht ist und gerettet wird. Bei Johannes ist das nicht so eine genau abgegrenzte Gruppe. In Kap. 18–19 sind es diejenigen, die Jesu Tod wünschen. Die Angst der Jüngerinnen und Jünger besteht zweifellos vor dieser Gruppe, die für Jesu Tod verantwortlich ist. Zu ihnen zählt die jüdische religiöse Obrigkeit, die für die Jüngerinnen und Jünger ebenso eine Bedrohung darstellt wie das Regime der Pax Romana. Sie sind doppelt gefährdet, und nun kommt Jesus und sagt diesen Frieden hinein in die Situation der Angst und der verschlossenen Türen, und er zeigt dazu seine Seiten, d. h. seine Wunden. Diesen Frieden also, kein sanftes Ruhekissen, sondern einen Weg mit Gott, der an der Gewalt und Brutalität der Obrigkeit nicht vorbeiführt. Die Angst der Jüngerinnen und Jünger vor der Obrigkeit ist also berechtigt. Aber sie hat nicht das letzte Wort. Sie soll nicht bei den verschlossenen Türen enden, sondern so, wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich jetzt euch. «Vater» sagt Jesus. Wieso? Denkt er denn schon trinitarisch? Das wissen wir nicht. «Vater» als Gottesbezeichnung spricht die sorgende, nährende Erfahrung von Gott an. Gott sorgt für Euch, sorgt Euch also nicht selbst. Ich bin gegangen in dieser Zuversicht, in der sollt auch ihr gehen. Ich sende euch, heisst, ich, der das Leiden, die Folter, den Tod überstanden und auch überlebt habe, lebendig vor euch stehe (sie sahen Jesus, den Lebendigen, V. 20). Der Vater gibt einen Frieden im Sinn des Wohlergehens und der Fülle. Der Schalom einer Gemeinschaft oder einer Stadt ist ihre Sicherheit und ihre Versorgung mit Nahrung (Ps 147,14; Jer 29,7).

Jesus bläst die Versammelten mit Geistkraft an. Das ist eine Lebensgabe. Gott bläst dem Menschen in Gen 2,7 Leben in die Nase. Der Geist ist Leben und löst aus der Lähmung der Angst, ähnlich werden auch tote Gebeine in Ez 37 mit Geistkraft zu Leben erweckt (Ez 37,9).

Mit Johannes im Gespräch

Kein Wort steht hier zufällig. Johannes erzählt von einer Bewegung, nämlich von der Angst vor der religiösen und gesellschaftlichen Obrigkeit zur Freude über Jesu machtvolles Dasein auch nach dem Tod. Johannes, du kennst wohl diese Angst vor den vermeintlichen Mächten und die Freude über den, der wirklich Macht hat. Diese Wandlung gibst du uns mit als Kirchengründungsprozess.

Jesus geht durch die Verschlossenheit der Türen auf seine Jüngerinnen und Jünger zu und sendet sie. Johannes erzählt das Kirchengründungsfest als Erfahrung, uns von Jesus aufbrechen zu lassen und hinauszugehen.

Jesus wünscht Frieden in die Angst hinein, Wohlergehen, aber nicht platt und oberflächlich, denn da sind ja seine Seiten, sein Leid. Johannes kennt wohl auch diesen unbequemen Frieden Jesu. Zu ihm gehören auch Leid und Kampf, aber er ist stärker als diese. Das ist ein Leben aus der Ostererfahrung.

Es ist aber auch ein Leben aus der Geistbegabung heraus. Jesus bläst Geistkraft zu und sendet «wie der Vater». Der Friede ist auch Sorglosigkeit in Gottes Fürsorge. Johannes, du erzählst uns das Kirchengründungsfest als Fest der Sorglosigkeit und des uneingeschränkten Vertrauens in Gottes Sorge. Geistgabe ist Lebensgabe. Erst in dieser Haltung sind diese Männer und Frauen wieder lebendig, voll Leben.

Das Fest der Kirchengründung ist ein Fest des Friedens Jesu, der nicht das billige Wohlergehen einiger weniger Rechtgläubiger meint, sondern die Haltung der Zuversicht, dass Gott sorgt und deshalb nicht hinter den Türen geschwiegen werden muss. Es ist das Fest der Begabung vieler Menschen, die sich auf Jesus einlassen.

Der Sendungsauftrag ist ein Vergebungsauftrag mit Einschränkung: Wem ihr sie nicht vergebt, dem sind die Sünden nicht vergeben. Ich frage mich, Johannes, welche Sünden können wir einander nicht vergeben? Was wiegt wirklich so schwer, dass unsere zwischenmenschliche Einfühlsamkeit nicht ausreicht, um Gottes Barmherzigkeit erfahrbar zu machen?