Wir beraten

Wenn ihr das wisst – selig seid ihr, wenn ihr es tut   

Hanspeter Ernst zum Evangelium am Hohen Donnerstag: Joh 13,1–(15)17, SKZ 11/2012

 

Was Krimileserinnen und -leser ganz selbstverständlich tun, ist auch Bibelleserinnen und -lesern zu raten: Es ist wichtig, weiterzulesen und sich das Ende nicht einfach zu denken, das man ja ohnehin schon zu wissen glaubt – denn es könnte ganz anders sein. Bei der vorliegenden Perikope lohnt es sich, mindestens zwei Verse mehr zu lesen als von der Leseordnung vorgeschrieben, dann endet der Text nicht mit «damit auch ihr so handelt, wie ich gehandelt habe», sondern mit «wenn ihr das wisst – selig seid ihr, wenn ihr es tut». Wollen wir uns diese Verheissung vorenthalten?

Die vorliegende Perikope ist bekannt: Jesus wäscht den Seinen die Füsse. Er tut das, was üblicherweise die Aufgabe eines Sklaven ist. Das ist im Text unterstrichen dadurch, dass Jesus sein Obergewand ablegt und so wie ein Sklave bekleidet ist. Was Jesus hier vorlebt, was er tut, soll Beispiel dafür sein, ebenso zu handeln wie er. Das meint nicht, dass wir landauf, landab einander die Füsse waschen sollten im wörtlichen Sinne, sondern dass Verhältnisse zu schaffen sind, in denen dieser Dienst nicht Sklavendienst, sondern Menschendienst ist, es gilt also nicht mehr oben und unten, sondern gleiche Augenhöhe.

Vielerorts ist es üblich geworden, am Hohen Donnerstag Jesu letztes Mahl in Anlehnung an das Pessachmahl zu gestalten. Es ist aber festzuhalten, dass Johannes – anders als die Synoptiker – nicht von einem Pessachmahl berichtet. Es ist ein Abendessen vor dem Pessach. Im Folgenden möchte ich auf diesen Aspekt besonders eingehen.1

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Die Perikope wird eröffnet mit der Zeitangabe: «Es war vor dem Pessachfest und Jesus wusste, dass für ihn die Stunde gekommen war …» (Joh 13,1). Es handelt sich also um das Fest, das die Israeliten in Erinnerung an ihre Befreiung aus Ägypten feiern sollen (Ex 12; 13,3–10). Pessach ist aber auch das Fest, das die Konstituierung des Volkes Israel feiert. So wird zum Beispiel im Buche Josua berichtet, wie die Israeliten den Jordan überschritten hatten, und nachdem alle Männer beschnitten worden waren, feierte man Pessach in Gilgal (Jos 5,10 f.). Es geht um die Neu- bzw. Wiederkonstitution Israels (vgl. ferner 2 Kön 23,21–23; Esr 6,19–21; 2 Chron 30; 35,1–19). Wie das Fest selbst gefeiert wurde, wissen wir nicht. Festgehalten ist einzig, dass die Lämmer am Vorabend geschlachtet worden sind und dann sieben Tage ungesäuertes Brot gegessen wurde. (Auf jeden Fall lässt sich die Art und Weise, wie Juden heute Pessach feiern, nicht als biblische Vorlage nehmen.)

Auffällig ist ferner, wie als Voraussetzung für die Feier des Pessach der Gedanke der Reinheit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Bei Flavius Josephus ist zu lesen: «Da nun gerade das sogenannte Pessachfest begann, an dem von der neunten bis zur elften Stunde geopfert wird – um jedes Opfer sind nicht weniger als zehn Männer wie eine Bruderschaft versammelt, denn einer allein darf nicht essen, oft versammeln sich auch zwanzig – und so zählte man 255 600 Opfertiere. Das macht, um nur zehn für jedes Opfer anzusetzen, 2 700 000 Teilnehmer, alles reine und geweihte Personen; denn Aussätzige, Samenflüssige, in der monatlichen Reinigung befindliche Frauen sowie anderweitig Unreine durften nicht an diesem Opfer teilnehmen, ebensowenig Nichtjuden, die sich zum Gottesdienst eingefunden hatten» (Bell 6,423–427). Um Pessach feiern zu können, musste man sich verschiedenen Reinigungsriten unterzogen haben. Ist es vor diesem Hintergrund Zufall, dass Jesus den Seinen die Füsse wäscht? Könnte das nicht so verstanden werden, dass Jesus die Seinen reinigt, damit sie Pessach feiern können?

Ich denke, dass diese Vorstellung einen weiteren Rückhalt im Text selbst findet: «Während des Mahls, als der Teufel dem Judas Iskariot, dem Sohn des Simon, schon eingegeben hatte, ihn auszuliefern» (Joh 13,2). Jesus reinigt die Seinen – und doch bleibt einer unrein. Es ist Judas. Aber warum der Satan? Seine Rolle lässt sich erhellen durch den Namen des Pessach: Pessach wird abgeleitet von pascha, will heissen «überspringen, hüpfen». Üblicherweise überträgt die Septuaginta Festbezeichnungen nicht. Sie übersetzt aber das in Ex 12,13.27 gebrauchte Verb p-s-ch mit skepazo, was mit schützen und bewahren wiedergegeben werden kann. Dieser Befund findet sich wieder in den Targumim und in späteren Midraschim. So wird im Anschluss an Ex 12,23 ein Gleichnis erzählt, wonach ein Schächter seine Schafe mit roter Farbe kennzeichnet, um zu wissen, welche er töten und welche er leben lassen soll. «So: ‹Wenn er das Blut sieht› (Ex 12,23). Wenn es zu sagen erlaubt ist: Er steht vor der Tür und stösst den Vernichter zurück, damit er die Israeliten nicht schlage» (ShemR 18,7). Es ist Gott, der die Israeliten bewahrt und der sie beschützt. In diesem Sinne ist Pessach auch ein Schutzfest. Bereits im Jubiläenbuch wird berichtet, dass der Dämonenbeherrscher Mastema, der auf Seiten der Ägypter die Israeliten bekämpft, gebunden wird (Jub 48,15). Johannes spricht anstelle von Mastema vom Satan, der dem Judas den Gedanken eingibt. Und dieser Satan wird durch die Feier des Pessach gebunden werden. Sein Schicksal ist besiegelt.

Mit Johannes im Gespräch

Das Herrenmahl Jesu ist bei Johannes kein Pessachmahl. Es wird als Mahl verstanden, das zur Vorbereitung des Pessachfestes dient. Die Vorbereitungen zeigen, dass es sich um ein ganz besonderes Pessach handelt. «Jesus wusste, dass für ihn die Stunde gekommen war» (Joh 13,1). Es ist eine Stunde des Übergangs. Ähnlich wie Philo von Alexandrien, der das Pessach als eine Art von Opfer versteht, das beim Überschreiten eines Flusses oder einer Grenze dargebracht wird, damit der Übergang gelingt, versteht Johannes dieses Pessach: Jesus selbst ist das Pessachlamm, das geschlachtet wird. Darauf deutet nicht nur hin, dass ausgerechnet bei der Szene vor Pilatus, wo Jesus bekennt, König zu sein, als explizite Zeitangabe das Pessach und die Stunde erwähnt werden – und das ist die Zeit, während der die Pessachlämmer geschlachtet wurden (vgl. das Zitat von Josephus oben). Darauf deutet auch hin, dass von ihm «kein Knochen gebrochen werden soll» (Joh 19,36). Das dürfte eine Anspielung auf Num 9,12 sein, wo vom Pessachlamm dasselbe gesagt wird. Wer Pessach feiert, tut dies im Zustand der Reinheit. Wenn Johannes von Pessach redet in seinem Evangelium, und das tut er oft, dann weist er eigens auf diese Reinheit hin. Deshalb ist es weiter nicht erstaunlich, dass der Reinigungsritus einen so breiten Platz einnimmt – erstaunlich ist die Art und Weise, wie das geschieht. Es geht nicht um kultische Reinheit. Die Reinheit ist die Umsetzung des Beispiels Jesu. Weder Herr noch Knecht, weil alle einander dienen. Die Reinheit besteht im Dienst, in der Art und Weise des Umgangs miteinander. Teilhaben an diesem Pessach heisst auch teilhaben an der Verheissung, dass der Satan gebunden ist, dass die Gemeinschaft geschützt ist und dass sie sich neu konstituiert, will heissen, sich als das vergewissert, was durch den Dienst aneinander möglich wird. Wenn Johannes Jesus als Pessachlamm darstellt, dann sollte das ernst genommen werden. Das Pessachlamm dient nicht der Sündenvergebung und hat keine sühnende oder gar stellvertretende Wirkung. Dafür gibt es andere Quellen, und wir tun gut daran, dies nicht zu vermischen.