Wir beraten

Anerkennung unter den Menschen und Lohn Gottes   

Ursula Rapp zum Evangelium am Aschermittwoch: Mt 6,1–6.16–18, SKZ 5/2012

 

Einleitung

Das Evangelium am Aschermittwoch leitet die Zeit des Fastens vor Ostern ein. Jesus warnt davor, die eigenen Taten des Glaubens (die eigene Gerechtigkeit) weiterzuerzählen und öffentlich zu machen. Heute stellen wir vielleicht nicht unsere Werke der Barmherzigkeit zur Schau, aber anderes, das uns Anerkennung bringt. Anerkennung brauchen wir, oft so dringend genau dort, wo wir sie nicht bekommen. Deshalb ist die Frage wichtig: Von wem will ich Anerkennung und wofür? Matthäus beantwortet sie radikal und ganz klar.

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Das Evangelium steht mitten in der Bergpredigt (Matthäus 5–7), direkt nach den «Antithesen». Man ist also schon eingestimmt darauf, dass Jesus hier intensiv an der Auslegung der Tora als ihrer Erfüllung (5,17) arbeitet. Er aktualisiert, lehrt, worum es geht, zeigt Irrungen und lebensfeindliche Praxen auf, die das Gottesverhältnis zermürben. Das zeigt sich auch deutlich daran, dass bei jedem Aspekt des Evangeliums so eindringlich auf den Lohn bei Gott, die Gottesbeziehung, hingewiesen wird.

In Kapitel sechs beginnt ein Abschnitt, den Jesus übertitelt mit dem Ruf: «Achtet auf euch, eure Gerechtigkeit nicht zur Schau zu stellen!» Seid also achtsam mit eurer «Gerechtigkeit». «Gerechtigkeit» ist ein sehr weiter Begriff, den das NT aus der hebräischen Bibel übernimmt. Ganz grundsätzlich entsteht die menschliche Gerechtigkeit aus der Nachahmung Gottes bzw. der Nachahmung der göttlichen gerechten Barmherzigkeit und Güte Gottes (Levitikus 19,2; Matthäus 5,48). Es ist das Einhalten der Tora um der ganzen Schöpfung, um aller Menschen Rettung willen, das Wollen und Streben, dass alle Menschen zu einem erfüllten Leben, zu ihrem Besten gelangen, so wie Gott in seiner elterlichen Güte genau dafür Sorge trägt.

Matthäus spricht in den drei Aussagen über das Almosen Geben, Beten und Fasten davon, es nicht zu tun wie die «Heuchler». Das griechische Wort, das Matthäus für «Heuchler» verwendet, lautet «hypokrites» und meint einen scheinheiligen, vortäuschenden Menschen. In der Septuaginta wird dieses Wort nur zweimal verwendet, nämlich in Hiob 34,30 und 36,13. In beiden Fällen wird damit ein Mensch bezeichnet, der sich von Gott entfernt hat, dem Gott fremd, eigentlich profan, entheiligt (chanef) ist. Legt man diese Begrifflichkeit auf den Kontext der hellenistisch geprägten Kultur um, in der die Septuaginta und das Matthäusevangelium entstanden sind, dann ist anzunehmen, dass auf Menschen verwiesen wird, die sich von der jüdischen Religion und Lebensweise abgewendet haben und sich der damals reizvollen, Anerkennung bringenden Kultur des Hellenismus angeschlossen haben. Für fromme jüdische Menschen war es unmöglich, die hellenistische Lebensweise zu übernehmen, da sie fundamental der jüdischen Religion, ihrem Gottesbild, ihrer geschichtlich verbindlichen Beziehung zu Gott und ihrer sozialen und gerechten Lebensordnung widersprach. Wenn also diese «scheinheiligen» Menschen im Evangelium regelmässig erwähnt werden, dann sollten wir im Kopf haben, dass Jesus Barmherzigkeit, Beten und Fasten ablehnt, wenn es Menschen tun, die Gott profanisiert, entheiligt, sich Gott entfremdet haben. Denn wer sich der gängigen Kultur und Lebensweise angeschlossen hat, hat Israels Gott schon vergessen.

Übersetzt man den Begriff «Almosen geben», dann bedeutet er das «Tun von Barmherzigkeit» und kann in zwei Richtungen gedeutet werden. Zum einen übersetzt die Septuaginta an einigen Stellen das Wort «Gerechtigkeit» mit «Barmherzigkeit» oder «Tun der Barmherzigkeit» (z. B. Deuteronomium 6,25, das Halten der Gebote Gottes ist Barmherzigkeit). Dann aber, besonders in den späteren Schriften des Alten Testaments, meint das Tun der Barmherzigkeit sehr gezielt die Sorge um die, die nicht oder nur teilweise für sich selbst sorgen können, also die «Armen», «Bedürftigen» und Notleidenden. Barmherzigkeit (und auch Gerechtigkeit) ist ein Leitwort des Buches Tobit. So erklärt der fromme Mann seinem Sohn Tobias, dass das Helfen aus Barmherzigkeit eine Gabe an Gott ist und aus dem Tod und der Finsternis führt (Tobit 4,10–11). Auch der Weise Jesus Sirach redet seinen Lesern zu, dass ihr barmherziges Tun nicht vergebens ist, dass es einen Lohn von Gott gibt und Gott auch das Verborgene sieht (Jesus Sirach 16,13–17). Auch Sirach scheint vor einer ähnlichen Lebenshaltung zu stehen wie Jesus zwei Jahrhunderte später. Das Tun des Guten birgt scheinbar eine hohe Frustration in sich, weil man sich fragt, was man davon hat, welche Anerkennung man bekommt. Das aber ist nach Sirach und nach Matthäus schon die falsche Frage: Gutes Tun ist etwas Göttliches und bringt nicht etwas unter den Menschen. Es ist Nachahmung Gottes, nicht der Menschen.

Wenn ein von Gott abgekehrter Mensch betet, um von denen gesehen zu werden, die ihm nützen können, dann lehnt Jesus das ab. Ein Mensch, der Gott entheiligt hat, soll nicht beten.

Fasten ist im Alten Testament eine gebräuchliche Sitte, um sich auf besondere Zeiten und Feste vorzubereiten, oder auch um besondere Taten zu vollbringen. Ester (Ester 4,16) und Judit (4,13) fasten gemeinsam mit ihrem Volk, um sich auf ihre Begegnung mit dem fremden Tyrannen vorzubereiten. Fasten ist dabei eine Verbindung zu ihrem eigenen Volk, also eine Frage der Identität, wie etwa auch für Daniel, der die Speise des Königs verschmäht (Dan 1,10).

Die Trias Almosen, Beten Fasten wird hier im Kontext einer hellenistisch geprägten Ethik angesprochen, also einer Ethik, die auch stark von der Maxime der Ehre, der öffentlichen Anerkennung, geprägt war. Das Ansehen (besonders eines Mannes) innerhalb der Gesellschaft, das sich an sozialen Kontakten (mit wem verkehrt man, soziale Stellung), an der ökonomischen Situation und auch und besonders an der Ehre der Ehefrau mass, stand an erster Stelle der Lebensziele eines Mannes: ein ehrenvoller, angesehener Mensch zu sein! Jesus nun zerbricht diese Haltung, indem er ganz scharf darauf hinweist, dass es nicht um die Ehre unter den Menschen geht, nicht darum, dass die Menschen sehen, wie «gut» und ehrenwert man ist, sondern darum, im Sinne der Tora an einer guten Schöpfung mitzuwirken. Damit geht es um viel mehr, eigentlich etwas ganz anderes als nur die eigene Eitelkeit, die darin besteht, dass die anderen sehen, was man für ein guter Mensch ist. Jesus zeigt, dass es der Tora widerspricht, wenn man sich dem gesellschaftlichen Ideal anpasst und dass dies im Gegensatz zur Gottesbeziehung steht. Nicht das gesellschaftlich anerkannte Ideal der Ehre ist dasjenige, welches der Tora entspricht, sondern das Ansehen in Gottes Augen ist das, was zählt. Gerechtigkeit ist eine Nachahmung Gottes, nicht eine Nachahmung anerkannter Menschen.

Mit Matthäus im Gespräch

Matthäus ist völlig kompromisslos. Auf den Lohn bei Gott statt bei den Menschen zu achten, ist keine Vertröstung ins Jenseits. Gottes Lohn ist nicht einfach ein himmlischer, der oft belächelte «Gotteslohn», sondern das Ringen um ein gutes Leben, um eine Welt, die als Gottes Schöpfung «gut» ist. Diese gute Welt ist dann der Lohn, die immer wiederholte Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten, das immer wieder zugesagte Leben im Land, wo Milch und Honig fliessen. Wenn wir nach Gottes Weisung leben, werden wir das als Gotteslohn erben.