Wir beraten

Wenn der Wunsch nach Wurst nicht Wurst ist …   

6. Sonntag im Jahreskreis: Mk 1,40–45

 

«Ich möchte eine Wurst essen können» – so brachte es eine behinderte Person auf den Punkt, als sie mit ihrer Zahnärztin über die Behandlung ihres alles andere als einfachen Gebisses sprach. Ich kann diesen Wunsch gut verstehen, nicht nur, weil ich selbst ein grosser Liebhaber von – guten – Würsten bin, sondern weil der Wunsch wesentlich mehr ist, als sein Wortlaut verrät: Es geht um gesellschaftliche Zugehörigkeit. Das mag übertrieben tönen. Wenn man sich jedoch an die Staatsaffäre rund um die Haut der Cervelat erinnert, wird es ersichtlich. Es ist traurig, wenn man über das Gebiss nur schon von der Möglichkeit ausgeschlossen wird von der grossen Gemeinschaft Wurst essender Eidgenossen. Womit im Grunde genommen gesagt ist, dass unser Mund, die Zahnstellung, nicht nur ein intimer und privater Bereich ist, sondern zugleich auch gesellschaftliche Symbolik widerspiegelt. Denn jeder, jede, erfährt die Gesellschaft, zu der sie, zu der er gehört, am eigenen Leib. Wie wir uns zu unserem eigenen Körper verhalten, welches Verhältnis wir zu ihm haben, beruht auf dem Bild, das unsere Gesellschaft vom Körper hat. Ob dick sein eine Schande ist oder ein ästhetisches Ideal, ob die Falten des Alters eine Sünde, die glatte Haut der Jugend eine Tugend sind, die Aufzählung liesse sich beliebig weiterführen, all das zeigt die Verquickung unsers Körpers mit der Gesellschaft und wie tief unsere Selbstwahrnehmung gesellschaftlich geprägt ist. Krankheiten können auf diesem Hintergrund denn auch als Reaktionen auf Spannungen gesellschaftlicher Natur gesehen werden. Das wird sichtbar bei der hier zu behandelnden Perikope von der Heilung des Aussätzigen, die mit Sicherheit nicht verstanden wird, wenn sie nur als Ausgrenzungsgeschichte gelesen wird, ohne die Mechanismen der Ausgrenzung zu benennen. Im Aussatz widerspiegeln sich gesellschaftliche Antagonismen. Das macht die Geschichte der Myriam hinlänglich klar, die mit Aussatz bestraft wird, weil sie zusammen mit Aaron gegen Mose gesprochen hat – aber nur sie wird mit Aussatz geschlagen.

«… was ist den Schriften geschrieben steht»

Markus berichtet, wie ein Aussätziger zu Jesus kommt und ihn bittet, ihn zu heilen (V. 40). Es folgt die Beschreibung der Heilung: Jesus hat Mitleid (interessant ist die Textvariante, die statt «Mitleid spüren» «zornig sein» liest, was Pesch als lectio difficilior in seinem Kommentar dann mit Erregung übersetzt), streckt seine Hand aus und berührt den Aussätzigen und sagt: «Ich will es. Sei rein.» (V. 41). Darauf erfolgt die Feststellung der Heilung (V.  42). Jesus schickt den Mann weg mit dem Hinweis, niemandem etwas davon zu sagen, sich dem Priester zu zeigen und für die Reinigung das von Mose Gebotene darzubringen – «das soll ihnen (den Priestern) ein Beweis sein» (V. 44). Die Regeln für den Aussatz und den Umgang mit Aussätzigen – was immer darunter auch verstanden werden mag – sind festgelegt in Lev 13 und 14. Es sind die Priester, die feststellen, ob jemand aussätzig ist oder nicht. Sie entscheiden, ob jemand rein oder unrein ist. Sie bestimmen gemäss ihrer Tradition, ob jemand aufgrund dieser Krankheit ausgeschlossen wird oder nicht. «Der Aussätzige aber (…) soll zerrissene Kleider tragen und sein Haupthaar frei wachsen lassen und den Schnurrbart verhüllen, und er soll rufen: unrein, unrein! (…). Er soll abgesondert wohnen, ausserhalb des Lagers soll seine Wohnstätte sein» (Lev 13,45 f.). Jesus hält sich an die Regeln, wenn er den Geheilten zum Priester schickt: «Achte bei der Plage des Aussatzes darauf, alles genau zu beachten und danach zu handeln, was euch die levitischen Priester lehren. Was ich ihnen geboten habe, das sollt ihr beachten und danach handeln» (Dtn 24,8). Aber gerade dieser Umstand schafft einen Widerspruch: Auf der einen Seite haben wir Jesus, der sagt: «Ich will es! Sei rein!» Er macht hier im Grunde genommen das, was nur der levitische Priester kann. Er spricht rein. Wenn er dann aber den Geheilten zum Priester schickt, damit er sich ihm zeige und die Opfer darbringe, dann soll dies ein Beweis für den Priester sein. Aber wofür steht dieser Beweis? Ist es ein Beweis, dass Jesus das Gesetz erfüllt, indem er den Geheilten zum Priester schickt? Oder soll die Heilung für die Priester ein Beweis dafür sein, was zu tun Jesus fähig ist? Trifft das Letztere zu, wird die Autorität der Priester erschüttert. Deshalb kann diese Stelle wohl kaum als Beleg dafür gelten, dass Jesus ein gesetzestreuer Jude war. Sie unterstreicht vielmehr, dass Jesus mit dem Propheten Elischa zu vergleichen ist, der den Aramäer Naaman vom Aussatz heilt (2 Kön 5), dass er also handelt, wie dieser Prophet handelt.

Doch halten wir noch einmal inne. Die Geschichte von der Heilung des Aussätzigen ist die erste Geschichte einer Heilung im Markusevangelium, in der die Person, die Jesus heilt, selbst kommt: In der Synagoge von Kapharnaum war einer mit einem unreinen Geist einfach da (1,23), die Schwiegermutter des Petrus lag darnieder (1,30), sie brachten alle Kranken und Besessenen zu ihm (1,32), jetzt aber kommt der Aussätzige selbst, obwohl er im Grunde genommen in der Ferne stehen bleiben und rufen müsste. Jesus berührt ihn, eine Geste, die typisch ist bei Markus, wenn es um Heilung von Krankheiten, nicht aber um Dämonenaustreibungen geht. «Wenn du willst, kannst du mich rein machen!» Der Aussätzige schreibt Jesus Macht zu, ihn rein zu machen und damit die Trennung aufzuheben, die ihm durch die Krankheit auferlegt ist. Auf der symbolischen Ebene entsteht eine Spannung: Was die Priester durch ihre Auslegung der Heiligkeit in rein und unrein aufteilen und damit nolens volens tief in das Leben der Betroffenen eingreifen, wird durch eine andere Art der Auslegung von Heiligkeit in ein anderes Licht gestellt. Ironie des Schicksals ist es, dass dann ausgerechnet die Priester diese andere Lesart bestätigen sollen, weil sich der Geheilte ihnen zeigen muss. Vielleicht wird auf diesem Hintergrund verständlich, weshalb Jesus den Geheilten «anfährt», ihn wegschickt und ihm befiehlt, niemandem etwas zu sagen. Doch hier kommt eine alte Weisheit zum Zug: Wenn du willst, dass es alle hören, verbiete, es weiterzusagen. Der Geheilte geht weg – ob er sich dem Priester zeigt, steht nicht geschrieben – und macht die Sache bekannt, so dass Jesus sich kaum mehr in einer Stadt sehen lassen konnte. War also das der Grund, weshalb Jesus wollte, dass er nicht darüber spreche? Hatte Jesus Angst, überfahren zu werden? Mag sein, denn immer wieder kommt bereits im ersten Kapitel des Markusevangeliums der Satz vor, dass sich Jesus – manchmal zusammen mit seinen Jüngern – an einen einsamen Ort zurückzieht.

Mit Markus im Gespräch

Aussatz ist eine Krankheit mit vielen Facetten. Die religiösen und sozialen Muster von Ausschluss und Einschluss sind in tief den Körper eingeschrieben. In dieser einfachen und doch alles andere als gradlinigen Erzählung werden Dinge in Frage gestellt, die zum Ausschluss führen. Wer an Aussatz leidet, wer mit ihm geschlagen ist, wird in vielfacher Weise stigmatisiert. Mag das von einem objektiven Standpunkt aus noch so angebracht und richtig sein, auf der Ebene der Beziehungen sind solche Dinge tödlich. Vielleicht ist keine Krankheit so geeignet wie gerade der Aussatz es ist, um über die Symbolik des Körpers in seiner gesellschaftlichen Verflechtung nachzudenken.