Wir beraten

Gottes erstes Wort   

Katharina Schmocker Steiner zum Evangelium an Weihnachten am Tag: Joh 1,1–18, SKZ 49/2011

 

Am Weihnachtstag ist der Anfang schon vorbei. Das Licht von Stern und Engeln kam in der Heiligen Nacht, um das neue Leben zu begrüssen und vor allem zu verkünden. Doch das Licht, das in der Nacht erstrahlte, ist nicht das Tageslicht, das immer wieder der Nacht weichen muss. Das Licht der Heiligen Nacht wird nicht von der Finsternis verschlungen, doch es drängt die Finsternis auch nicht zurück. Es lässt sie erkennen und führt die Suchenden durch sie hindurch zum Ziel. Der Weihnachtstag ist denn auch nicht der Triumph der Auferstehung, sondern das sich Einlassen Gottes auf die Bedingungen der Sterblichkeit, der Menschwerdung.

« … was in den Schriften geschrieben steht»

Es wäre wohl schwierig, im Zusammenhang mit dem Prolog des Johannesevangeliums nicht an den ersten Schöpfungsbericht der Genesis zu denken. Diese Gedankenverbindung provoziert auch die Aussage von Weish 9,1: «Gott (…), du hast das All durch dein Wort gemacht» (vgl. auch Ps 33,6). Dennoch scheint der in der Randglosse der griechischen Bibel (Netles-Aland, 26. Aufl.) angegebene Bezug zu Gen 1,1 nicht ganz korrekt. Im Schöpfungsbericht wird nämlich das Wort Gottes erst in Vers 3 aktiv, wo es das Licht bewirkt. Gemäss Gen 1,1 schuf im Anfang Gott wortlos Himmel und Erde, was im damaligen Weltverständnis so ziemlich alles umfasste. Mit dieser Darstellung korrespondiert Joh 1,3: «Alles wurde durch ihn und ohne ihn wurde auch nicht eines, was geworden ist.» Doch noch war die Erde wüst und leer, ein Tohuwabohu, obwohl der Geist Gottes über den Wassern hauchte. Offenbar schuf Gott erst durch den Beschluss «es werde Licht» nach den Grundlagen auch die Grundbedingung für alles Werden von Leben.

Das Licht ist das Erste, von dem Gott feststellt, dass es gut war, obwohl es offensichtlich (noch) nicht das strahlende Licht ist, «das jeden Menschen erleuchtet», wie bei Joh 1,9. Gott muss sogar das Licht von der bis dahin alles bedeckenden Finsternis trennen (Gen 1,4). Ohne Gottes Eingreifen scheinen sie zu verschwimmen, nahtlos ineinander überzugehen, wie wir es von der Morgen- und Abenddämmerung kennen. Obgleich Gott das Licht Tag und die Finsternis Nacht nennt, haben beide keinen direkten Zusammenhang zum Tagesgestirn Sonne bzw. den Nachtgestirnen Mond und Sterne, welche alle erst am vierten Schöpfungstag bestellt werden. Nicht der Tag wird durch die Sonne bestimmt, sondern die Sonne wird dem Tag, dem Licht zugeordnet.

In Spr 8,22–31 beansprucht die Weisheit das erste Geschöpf Gottes zu sein, «vor seinen Werken in der Urzeit» (V 22), noch vor den Urmeeren, als Gott die Erde noch nicht gemacht und den Himmel noch nicht gebaut hatte. Damit kann die Weisheit nicht das Licht sein. Allerdings wird die Sapientia (Weisheit) oft mit der Ruach, dem Pneuma (Gottesgeist) in Gen 1,2 gleichgesetzt. Doch auch wenn sie bei allem, was Gott schuf, dabei war, wie sie uns in Spr 8,22–31 auflistet und so zweifellos einen hohen Stellenwert hat, so hat doch weder die Weisheit noch die Ruach oder die Weisheit als Ruach Licht und Leben erwirkt, wie Gen 1,2 erahnen lässt. Gottesgeist und Weisheit sind noch ganz bei Gott. Durch ihn schafft er sich laut Ps 33,6 seine himmlischen Heerscharen und sie «war seine Freude Tag um Tag» (Spr 8,30). Doch um der Welt eigenes, selbständiges Leben zu verleihen, muss sich Gott ihr zuwenden, sie ansprechen, sich um sie kümmern. Das Sein genügt nicht für das Leben, es braucht das Werden. Doch schliesslich wird das Sein die Erfüllung des Werdens sein: «… und bei ihnen wird meine Niederlassung sein. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein» (Ez 37,27).

Mit Johannes im Gespräch

Tatsächlich geht der Verfasser des Johannesevangeliums noch vor den Schöpfungsbericht zurück. Nach seiner Darstellung war der Logos, das Wort, Gott selbst. Gott aber war, bevor er wirkte und wirkte, bevor, aber auch indem er sprach. Joh deutet dabei Ursache und Wirkung im Vergleich zu Gen 1 umgekehrt: «In ihm [dem Logos, Gott] war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.» Aus seiner Sicht ist das Leben die Grundlage für das Licht, was sich im Weihnachtsgeschehen spiegelt. Erst wird das Kind geboren, möglicherweise unter erbärmlichen Umständen, sicher mit Schmerzen für die Mutter verbunden, als ein hilfsbedürftiges Wesen, das allein nicht überlebensfähig wäre. Doch dieses bedrohte – aus Sicht einiger offenbar bedrohliche – Leben vermag, «das Licht der Menschen» zu sein (Joh 1,4), von dem Johannes zeugte. Da dieser jedoch als Mensch unter Menschen auftrat, war es anscheinend einigen weniger wichtig, was er verkündete, als wer er war (Joh 1,19–27). Und so erkannte (gignoskein) die Welt trotz seines Zeugnisses das Licht nicht, obwohl von der Schöpfungsgeschichte her bekannt sein könnte, dass es vor der Sonne (als seines Hinweisers) war. Wie in der Schöpfungsnacht löst das Licht auch hier nicht einfach die Finsternis ab, und die Finsternis kann es ihrerseits nicht mehr ganz und gar einnehmen (kata-lambanein).

Wer aber sind «die Eigenen» des Lichts (Joh 1,11), und haben sie es nicht «hin-, angenommen, empfangen» oder nicht «erobert, unterworfen» (para-lambanein)? Lassen wir einmal ab von den historischen Ereignissen, die uns immer schon gefärbt überliefert wurden und die wir immer schon mit einer entsprechenden Erkenntnisbrille und Gewohnheit erinnern, die uns nahelegen, in den «Eigenen» das jüdische Volk zu lesen, in welches Jesus geboren wurde. Versuchen wir, eine (andere) Antwort aus dem Text zu erschliessen. In Joh 1,9 heisst es: «Er war das wahre Licht, das erleuchtet jeden Menschen, kommend in die Welt.» Es ist von der (griechischen) Satzkonstruktion her nicht eindeutig, ob das Licht oder jeder Mensch in die Welt kommt, also ob das Licht die Menschen erleuchtet, indem es in die Welt kommt oder ob es schlicht jeden Menschen, der in die Welt kommt, erleuchtet. Mit letzterer Deutung können wir davon ausgehen, dass alle Menschen «die Eigenen» des Lichts sind. Das würde der Logik des Textes entsprechen, die besagt, dass das Licht der Menschen das Leben war, welches im Logos war, durch den alles geworden ist. Wenn wir – wie wir es immer tun – den Logos, das wahre Licht mit Jesus Christus in Verbindung bringen, lässt sich auf diesem Hintergrund die Heilsgeschichte als Konsequenz der Schöpfungsgeschichte ohne Antijudaismus weiterschreiben. Folgerichtig heisst es in Joh 1,17: «… das Gesetz ist durch Mose gegeben worden, die Gnade und die Wahrheit wurde durch Jesus Christus.» Da steht kein de (aber) und kein gar (nämlich), das eine Gegenüberstellung provoziert, auf deren einen Seite wir das jüdische (Gesetzes-)Volk, auf der anderen Seite uns (begnadeten) Christen/Christinnen zu sehen gewohnt sind. Das Gesetz, das es braucht, um ein Volk zu konstituieren, wird nicht abgelöst, nur im Hinblick auf das Heilsgeschehen entlastet. Dass das Licht in die Welt kam, ist eine weitere Zuwendung Gottes zur Welt, eine Gnade, die Leben ermöglicht. Historisch wurde Jesus ins jüdische Volk und historisch wurde Jesus in die Menschheit hineingeboren. Wie immer wir es also sehen, er kam in «sein Eigenes» und wer ihn nicht annahm, waren Menschen jüdischen und Menschen anderen und Menschen gar keines Glaubens. Oder ist das Verb in Joh 1,11, auch wenn wir «das Eigene» enger fassen, gar nicht als Kritik an den jüdischen Menschen zu verstehen, sie hätten das Licht nicht angenommen, sondern als Mahnung an die christlichen Menschen, das Licht nicht zu erobern, nicht zu unterwerfen?