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«Weltwirtschafbedingungen» (sic!)   

Dieter Bauer zum Evangelium am Christkönigssonntag: Mt 25,31–46, SKZ 45/2011

Für Bettina Eltrop

Druckfehler sind meist ärgerlich. Aber es gibt auch geniale. Ein solcher ist meiner deutschen Kollegin Bettina Eltrop in einem Beitrag zu unserem Evangelientext unterlaufen: «Weltwirtschafbedingungen».1 Wahrscheinlich war im Beitrag so viel von Schafen die Rede, dass dies gar nicht mehr auffiel.

Doch der Druckfehler hat auch seine Berechtigung: Weltwirtschaftsführer benehmen sich auch heute noch so rücksichtslos, dass diejenigen, die dabei unter die Räder kommen, sich wie dumme und vor allem ohnmächtige Schafe vorkommen müssen. Auch daran hat sich seit biblischen Zeiten nichts geändert.

« … was in den Schriften geschrieben steht»

Der Evangelientext vom Christkönigssonntag löst bei den meisten Zuhörenden ein mulmiges Gefühl aus. Sie hören vom Kommen des Menschensohnes (Mt 25,31) und assoziieren sofort das «Jüngste Gericht». Dabei ist die Inthronisierung des Menschensohnes eigentlich ein Hoffnungsbild. In Dan 7,13 f., dem alttestamentlichen Bezugstext, ist er eine Lichtgestalt, die die bestialischen Herrschaften, unter denen Juden jahrhundertelang zu leiden hatten, endlich ablöst durch eine wahrhaft menschliche. Mit dem Kommen des Menschensohnes bricht das Reich Gottes an! Was soll daran schlimm sein?

Auch die in Mt 25,32 beschriebene Scheidung der Menschen ist eigentlich etwas ganz Positives: «wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet», so wird der Menschensohn die lange erwartete Klärung herbeiführen und den bisher benachteiligten «Schafen» zu ihrem Recht verhelfen. Dahinter steht wieder ein alttestamentlicher Text, nämlich die so genannte «Hirtenrede» (Ez 34). Nach der Katastrophe des Untergangs von Jerusalem und Juda rechnet der Prophet Ezechiel mit den «Hirten» ab: «So spricht Gott, der Herr: Weh den Hirten Israels, die nur sich selbst weiden. Müssen die Hirten nicht die Herde weiden? Ihr trinkt die Milch, nehmt die Wolle für eure Kleidung und schlachtet die fetten Tiere; aber die Herde führt ihr nicht auf die Weide. Die schwachen Tiere stärkt ihr nicht, die kranken heilt ihr nicht, die verletzten verbindet ihr nicht, die verscheuchten holt ihr nicht zurück, die verirrten sucht ihr nicht und die starken misshandelt ihr» (Ez 34,2–4). Im ganzen Vorderen Orient war der «Hirt» ein festes Attribut für den König. Die schlechten «Hirten», die Könige Israels und Judas, haben nach der Lesart Ezechiels nur an sich selber gedacht und die «Schafe» in den Untergang getrieben. Für diese aber wird sich nun Gott als der wahre «Hirt» und König engagieren: «Vor der weltenrichtenden Gestalt (im Text des Evangeliums; DB), die wie ein Hirte die Schafe und Böcke voneinander trennt, steht die Menschheit in ihrer Aufspaltung in Täter und Opfer, in rücksichtslose Nutzniesser und ausgebeutete Menschen, ja sogar in Imperialmächte und erbeutete Völker.»2 

Gott greift durch seinen Messias ein, indem er das Recht schafft, das die schlechten «Hirten» ihren «Schafen» immer verweigern. Das ist die gute Botschaft! Das ist das Evangelium: «Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist» (Mt 25,34).

Doch es ist nicht nur das Opferdasein der «Schafe», das sie für den Segen des göttlichen Vaters qualifiziert, es ist auch ihr Tun, das sie für das Paradies prädestiniert: «Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen» (Mt 25,35 f.). Das, was ihnen die «Hirten» verweigerten, haben sie ganz selbstverständlich anderen gegeben. Diese «Werke der Barmherzigkeit» sind nicht nur in der Bibel (vgl. Jes 58,6.7.10; Ez 18,7.16; Sir 7,33f.35; Ijob 22,7), sondern auch ausserhalb Israels breit belegt. Auch wird hier nur eine kleine Auswahl solcher Werke geboten. Wenn also auch Jesus von Nazaret Barmherzigkeit lebt (und fordert), dann ist das weder etwas Typisches für Israel noch gar für das Neue Testament. Wenn er mit Hungrigen das Brot teilt, Kranke heilt und Hoffnungslose aufrichtet, dann tut er das, weil es allgemeinmenschlich gefordert ist. Und seine  Nachfolgerinnen und Nachfolger tun dasselbe ohne jeden Hintergedanken (etwa, weil man sich das Paradies verdienen will; Mt 25,37–39; vgl. 6,1–4 u. ö.).

Es ist geradezu auffällig, dass weder die «Schafe» noch die «Böcke» (bei Ezechiel waren es die «Hirten») auf die Idee kommen, ihr Tun habe irgendetwas mit Gott zu tun. Die Barmherzigkeit der «Schafe» ist uneigennützig und nicht einmal religiös begründet; und die Unbarmherzigkeit der «Böcke» ist von ähnlicher Ahnungslosigkeit: «Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig oder obdachlos oder nackt oder krank oder im Gefängnis gesehen und haben dir nicht geholfen?» (Mt 25,44) Dabei hätten sie, würden sie Gottes Wort ernst nehmen, im Buch Deuteronomium sehen können, was zu wahrem Menschsein dazugehört: «Du sollst nicht untätig zusehen, wie ein Esel oder ein Ochse deines Bruders auf dem Weg zusammenbricht. Du sollst dann nicht so tun, als gingen sie dich nichts an, sondern ihm helfen, sie wieder aufzurichten» (Dtn 22,4). Es ist diese Solidarität mit den Benachteiligten, die den «Böcken» abgeht, die so tun «als ginge sie das nichts an». Und für dieses Nichts-Tun müssen sie, die sich keiner Schuld bewusst sind, nun Rechenschaft ablegen.

Mit Matthäus im Gespräch

Matthäus hat die «Hirtenrede» Ezechiels und die Danielvision mit einem Endgericht verknüpft. Was ursprünglich in einer konkreten historischen Situation als Wirken Gottes gedeutet (Ez) bzw. für die unmittelbare Zukunft erwartet wurde (Dan), scheint sich – zumindest für uns Heutige – auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben zu haben. Das dämpft die Höllenängste vielleicht etwas ab, aber auch die Hoffnungen auf eine bessere Welt. Gerade die Gerichtstexte der Bibel werden sehr unterschiedlich gehört, je nachdem, ob man sich eher den «Opfern» oder – so doch oft die unausgesprochene Befürchtung – den «Tätern» zurechnet. Die Aussage Jesu: «Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan», kann dann leicht bedrohlich werden: «Und sie werden (…) die ewige Strafe erhalten» (Mt 25,45 f.).

Die biblischen Gerichtstexte machen darauf aufmerksam, «dass die Welt Gottes nicht beginnen kann und wird, wenn das Alte und vor allem die Beschädigungen und das Unrecht nicht aufgedeckt sind und einem Ausgleich zugeführt werden. An den Opfern unserer Erde vorbei ist die Vollendung der wartenden Schöpfung nicht zu haben».3 Daran erinnert speziell das Evangelium vom Gericht des Menschensohnes, der im Matthäusevangelium von Anfang an auch der wahre «König» ist (Mt 2,2; 21,1–11; vgl. Sach 9,9). Unter ihm herrschen andere «Weltwirtschafbedingungen» (sic!).

Literaturtipp: Bibel und Kirche 63 (2008), Nr. 4: Das Jüngste Gericht.

1 Bettina Eltrop: Das Jüngste Gericht im Horizont von Gerechtigkeit, Liebe und Solidarität. Mt 25,31–46 von seinen alttestamentlichen Bezugstexten her gelesen, in: Bibel und Kirche 63 (2008), Nr. 4, 219–225, hier 220, Anm. 5.

2 Ebd.

3 Ebd., 223