Wir beraten

Sage mir, mit wem du isst, und ich sage dir, wer du bist   

Ursula Rapp zum Evangelium am 31. Sonntag im Jahreskreis (30.10.): Lk 14,12–14 – SKZ 42/2011

 

Essen hat etwas mit dem Reich Gottes zu tun, mit Gottesbeziehung. Wir achten eher darauf, was wir essen, und nicht, mit wem wir essen. Aber wir sollen auf die Tischgemeinschaft achten. Gerade bei den Festessen.

« … was in den Schriften geschrieben steht»

Jesus kommt an einem Sabbat in das Haus eines der bedeutendsten Menschen der pharisäischen Bewegung, um dort Brot zu essen (V. 1). Er heilt einen Wassersüchtigen und wird schief angeschaut: am Sabbat heilen. Aber keiner sagt etwas. Jesus erklärt sein Handeln, indem er noch ein Schäufelchen zulegt. Er spricht dabei über das Essen, weil er ja zum Essen eingeladen ist, und verbindet damit die Heilung am Sabbat mit dem Essen. Was hat Heilen mit Essen zu tun? Eine Bedeutung dieser Verbindung von Jesu Heilungshandeln und dem Essen wird besonders an den alttestamentlichen Bezügen, die Lukas herstellt, deutlich. Wie und vor allem mit wem wir essen, ist nämlich nicht einfach eine Sache von Nahrungsaufnahme, sondern eine Frage, wie wir uns auf Gottes Rettungshandeln und Liebesangebot einlassen.

Jesus wendet sich zuerst (V. 7–11) an die Gäste. Am Tisch gibt es, wie bei antiken Mählern und Symposien üblich, eine Rangordnung der Plätze. Die Leute drängen sich zu den angesehenen Plätzen (V. 7), und Jesus sagt ihnen, dass dies gefährlich sei, weil man dann erniedrigt werden könnte, wenn man einen niedrigeren Platz zugewiesen bekommt.

Das Evangelium selbst besteht dann nur aus drei Versen, in denen sich Jesus dem Gastgeber zuwendet und erklärt: Wenn du so ein richtig gediegenes Festbankett gibst, dann lade nicht deinesgleichen ein, sondern die Armen, die dir nichts zurückgeben können, sodass du nichts davon hast, und dann wirst du erst erhöht werden. Erst dann, fügt Jesus so unterschwellig und fast nebenbei hinzu, wirst du bei der Auferstehung zu den Gerechten zählen. Jesus meint, es gehe darum, diejenigen einzuladen, die dem eigenen sozialen Umfeld fremd sind, die man vielleicht meidet.

Lukas legt Jesus dabei drei verschiedene Begriffe für das Essen bzw. das Mahl in den Mund: das Mittagessen (aríston), das Abendessen (deipnon) in V. 12 und das Mahl oder Bankett (doché) in V. 13. Alle drei verweisen auf ganz bestimmte alttestamentliche Erzählungen: Was meist mit «Mittagessen» übersetzt wird, bezeichnet besonders das Essen des gerechten Tobit (Tob 2,1; 12,13). Tobit, der in Ninive im Exil lebt, erzählt von einem Festessen am Wochenfest (2,1), und für dieses Essen schickt er seinen Sohn Tobias auf die Strasse mit der Bitte, unter den nach Ninive Verschleppten nach Armen zu suchen, die er zum Essen holen sollte. Der Junge kam mit der Meldung zurück, ein Jude sei (wieder) ermordet worden, woraufhin Tobit sein Fest unterbricht und den Toten nach der Sitte begräbt. Dieses Essen, auf das Lukas möglicherweise mit seiner Wortwahl anspielt, ist nicht einfach ein Sattwerden. Es ist eingebunden in die Sorge Tobits um die Bedürftigen. Es ist kein Schwelgen in eigenen Festgefühlen, sondern ein Ausdruck von Frömmigkeit und Solidarität. Tobit erzählt auch in 1,17 davon, dass er sein Brot mit den Armen und seine Kleider mit den Nackten teilte. Auch hier steht das Essen im Kontext von Krankheit und Heilung. Tobit schlief nach der Beerdigung im Freien und wurde blind, weil der Kot von Sperlingen in seine Augen fiel. Am Schluss des Buches, als Tobit auch wieder sehen kann, erzählt ihm der Engel Rafael, dass in dem Moment, als er sein Mahl für den Toten unterbrach, seine Schwiegertochter geheilt wurde (12,13). Sich für die Armen einzusetzen, bedeutet, das Essen nicht einfach für sich selbst zu essen, das Fest nicht für sich selbst zu feiern, und das ermöglicht Heilung und Rettung. Essen ist hier uneingeschränkte Gemeinschaftspraxis.

Auch der zweite Begriff, das «Abendessen» (deipnon), deutet auf eine eindeutige Situation hin: deipnon steht in der Septuaginta nur in Dan 1,8.13.15.16 und bezeichnet die Speise des Königs, von der Daniel und seine Freunde nicht essen wollen. Sie lehnen diese Speise nicht einfach wegen der jüdischen Reinheitsvorschriften ab, sondern weil Daniel sich mit dem Essen des prassenden, ungerechten Herrschers nicht beflecken will, an dessen Tisch gelogen und intrigiert wird (Dan 11,26 f.). Damit deutet Lukas das Gegenteil des Essens Tobits an: ein zutiefst ungerechtes Essen der Herrschenden, bei dem Verschwörungen, Morde und Unterdrückung beschlossen werden. Damit ist die Frage auch schon auf dem Tisch: Mit wem sitzt du bei Tisch? Mit den Armen oder mit den Herrschenden, und vor allem zu welchem Zweck? Um zu teilen oder um zu morden? Essen ist nicht harmlos, ist nicht etwas, das nebenbei zur Sättigung geschieht: Essen ist zutiefst Gemeinschaftssache. Am Essen zeigt sich, zu wessen Gemeinschaft man gehört, mit wem man sich verbindet.

Der dritte Essensbegriff (doché) bezeichnet ein echtes Festmahl, ein Bankett. Abraham veranstaltet es zur Feier der Entwöhnung Isaaks (Gen 21,8) und Isaak, um mit Abimelech den Friedensbund zu besiegeln (Gen 26,30). Darüber hinaus findet sich der Begriff in den grossen Festmählern der Herrschenden. Er bezeichnet das orgiastische Gastmahl des Artaxerxes in Est 1,3 sowie das feudale Essen Esters, das sie für den König und Hamman veranstaltet (Est 5,4.5.8.12.14). Zuletzt ist auch das Festmahl Belschazars ein solcher doché (Dan 5,19). Als Festmahl der Herrschenden ist dieses Mahl sowohl im Esterbuch als auch bei Daniel mit Weingenuss verbunden, aus dem heraus anmassender, tödlicher Machtmissbrauch entsteht.

Jesus macht dem Gastgeber schon allein mit der Wahl der Begriffe klar: Überlege dir gut, wozu du dein Essen ausrichtest. Essenseinladungen und grosse Mähler sind keine harmlose Sache. An ihnen zeigt sich die Gerechtigkeit (V. 14), die Frömmigkeit, die Werteausrichtung des Gastgebers.

Dementsprechend bedeutungsvoll ist auch die Tischgemeinschaft: Die Armen, Verkrüppelten, Lahmen und Blinden sind die richtige Tischgemeinschaft für einen frommen Menschen. Es geht also um das Teilen, nicht um die Selbstbestätigung des eigenen sozialen Platzes und die Befriedigung des eigenen Bedürfnisses nach sozialer Bedeutung. Diese Aufzählung von bedürftigen Menschen findet sich so nur noch ein paar Verse später in Luk 14,21. Eine ähnliche Reihe nennt eine prophetische Stimme aus der Schule Jesajas: «Der Geist Gottes des Ewigen, ist auf mir. Denn der Ewige hat mich gesalbt, um den Elenden frohe Botschaft zu bringen, er hat mich gesandt, um die zu heilen, die gebrochenen Herzens sind, um Freilassung auszurufen für die Gefangenen und Befreiung für die Gefesselten» (Jes 61,1). In der Einladung dieser Menschen wird das Reich Gottes und Gottes Rettungshandeln spürbare Wirklichkeit. Erst dann zählt ein Mächtiger zu den Gerechten, wenn er seine Möglichkeiten ernsthaft mit Bedürftigen teilt. An der Essenspraxis gegenüber den Armen, den scheinbaren Sünderinnen und Sündern, zeigt sich die Gerechtigkeit, nicht an der Ehre und dem Glanz, den sich die etablierten Frommen untereinander gegenseitig (beim Essen) geben.

Das Essen, mit wem wir essen, hat wie das Heilen etwas mit dem Wirklichwerden des Reiches Gottes zu tun.

Mit Lukas im Gespräch

Lukas, wenn ich dich ernst nehme, stehe ich vor lauter Fragen: Mit wem esse ich? – Genau mit den Falschen: Verwandten, Freunden, Arbeitskolleginnen. Meinesgleichen. Esse ich unterwegs im Zug, kommt es mir vor, als würde ich allein essen. Obwohl viele andere auch vor sich hin kauen. Aber was ist mit den Armen an meinem Tisch? Gut, ich kaufe heimische Produkte, vermeide Diskontfutter, weit gereistes Essen und kaufe aus fairem Handel. Und welchen Armen hilft das wirklich? Und was ist mit den Festen? Mit wem feiere ich die? Mit der Familie, mit Freundinnen … Dann schleicht schon die kluge Stimme daher, die mich warnt, hier etwas wörtlich zu nehmen. Soll ich doch einmal nicht nachdenken, was ich esse, sondern mit wem? Dann fallen mir die ein, die an unserem Tisch mitessen, weil sie an meinem Essverhalten reich werden. Aber wo hier Heilung sein soll, weiss ich noch nicht so genau. Vielleicht doch im ganz Konkreten? Vielleicht doch in der Veränderung meiner Tischgemeinschaft?