Wir beraten

Von guten und schlechten Früchten   

Hans Rapp zum Evangelium am 27. Sonntag im Jahreskreis: Mt 21,33–44, SKZ 38/2011

Mein Heimatort Stein am Rhein liegt inmitten von Weinbergen. Sie schmiegen sich sanft an die Hänge des Tales, durch das der Rhein fliesst. In den Weinbergen stehen kleine Türmchen, in denen die Weinbauern ihr Gerät aufbewahren. Ob der Wein gut oder weniger gut wird, hängt ganz vom Wetter ab. Ich mag den Wein, der aus diesen Weinbergen stammt. Es ist ein fruchtiger Landwein, auf den die Steiner stolz sind. Wer etwas auf sich hält, tischt den Gästen den «Staaner Wy» auf. In der Bibel ist ein Weinberg oft ein Bild für Israel. Das heutige Evangelium handelt – unter anderem – von einem Weinberg und damit also auch von Israel. Statt einer Vision guten Lebens beschwört es jedoch das Bild des Konflikts um den Weinberg.

«… was in den Schriften steht»

Das Evangelium besteht aus zwei Elementen. Jesus kombiniert die Erzählung vom Weinberg, dessen Pächter sich weigern, die Pacht zu bezahlen, mit einem Zitat aus Psalm 118 (117 LXX). Diese Kombination findet sich bereits im Markusevangelium (Mk 12,1–11). Auch Lukas (Lk 20,9–18) überliefert diesen Zusammenhang. Der Einzug und die ersten Tage des Wirkens Jesu in Jerusalem bilden bei den synoptischen Evangelien den weiteren Kontext der Perikope. Diese sind geprägt durch die Tempelreinigung, die Heilungen Jesu und die sich verschärfenden Auseinandersetzungen Jesu mit der Priesterschaft (Mt 21,15.23), den Schriftgelehrten (21,15), den Ältesten des Volks (21,23), den Pharisäern (Mt 22,15) und den Anhängern Herodes’ (22,15).

Der Text ist randvoll mit alttestamentlichen Zitaten und Anspielungen. Er besteht in der Hauptsache aus der Kombination des sogenannten Weinberglieds aus dem Propheten Jesaja (Jes 5,1–7) und einem Zitat aus Ps 118,22. Das Weinberglied ist eine scharfe Kritik des Propheten Je-saja am Volk Israel seiner Zeit. «Ich will ein Lied singen von meinem geliebten Freund, ein Lied vom Weinberg meines Liebsten. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fruchtbaren Höhe. Er grub ihn um und entfernte die Steine und bepflanzte ihn mit den edelsten Reben. Er baute mitten darin einen Turm und hieb eine Kelter darin aus. Dann hoffte er, dass der Weinberg süsse Trauben brächte, doch er brachte nur saure Beeren. Nun sprecht das Urteil, Jerusalems Bürger und ihr Männer von Juda, im Streit zwischen mir und dem Weinberg!» (Jes 5,1–3). Das Ende des Liedes löst das Bild auf und deutet es: «Ja, der Weinberg des Herrn der Heere ist das Haus Israel, und die Männer von Juda sind die Reben, die er zu seiner Freude gepflanzt hat. Er hoffte auf Rechtsspruch – doch siehe da: Rechtsbruch, und auf Gerechtigkeit – doch siehe da: Der Rechtlose schreit» (Jes 5,7). Die Sünde Israels besteht für den Propheten darin, dass in Israel das Rechtssystem korrumpiert ist. Es herrscht Rechtsbruch und Rechtlosigkeit. Normalerweise bedeutet das, dass das Recht eine Sache der Geldbörse ist. Das Recht für Gross und Klein war aber in der Tradition Israels ein zentraler Bestandteil des Lebens im Land der Verheissung. Unrecht bedeutete in sich bereits, dass der Anspruch Israels gescheitert war. Das Gleichnis verändert das Bild des Weinbergs. Im Jesaja-Text bringt der Weinberg aus sich selbst heraus schlechte Früchte. Dieses Bild ist etwas schief. Es ist ja vor allem das Wetter und der Winzer, von denen die Entwicklung der Frucht abhängt. Das Gleichnis ist realistischer. Die Pächter verweigern die Abgabe. Seitens des Grundbesitzers kommen Diener oder Sklaven ins Spiel, die die Abgabe einfordern und von den Pächtern geschlagen und getötet werden. Zuletzt sendet der Grundbesitzer sogar seinen Sohn. Die Pächter töten ihn ebenfalls. Die Diener, die der Herr des Weinbergs sendet, stehen für die Propheten Israels. In der deuteronomistischen Tradition des Ersten Testaments findet sich das Motiv der verfolgten Propheten oft. Ein Beispiel dafür ist Elija: «Mit leidenschaftlichem Eifer bin ich für den Herrn, den Gott der Heere, eingetreten, weil die Israeliten deinen Bund verlassen, deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet haben. Ich allein bin übriggeblieben, und nun trachten sie auch mir nach dem Leben» (1 Kön 19,10). In den Evangelien findet diese Reihe der Boten im Sohn des Gutsbesitzers ihren Höhepunkt. Der Verweis auf Jesus ist deutlich.

Das zweite zentrale Schriftzitat im Evangelium ist Ps 118,22: «Der Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden. Das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder. Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; wir wollen jubeln und uns an ihm freuen» (Ps 118,22–24). In diesem Psalm lobt die betende Person Gott als Beschützer und Retter. Das Bild des Steins spricht für sich. Ein Mensch scheitert scheinbar zunächst oder fällt einem Schicksalsschlag oder einer Krankheit zum Opfer. Dieses Scheitern erweist sich jedoch am Ende als durch Gottes Beistand als Erfolg.

Im Gespräch mit Matthäus

Im Vergleich mit der Version des Markus-evangeliums sticht ein Punkt bei Matthäus heraus. Matthäus gibt der Deutung der Erzählung von den untreuen Pächtern am Ende der Perikope noch eine weitere, verschärfende Wendung: «Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt» (Mt 21,43). Vergleicht man zudem die Deutung von Psalm 118,22 im Matthäusevangelium mit der bei Markus, fällt auf, dass Matthäus auch hier verschärft. Er formuliert: «Und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen der Stein aber fällt, den wird er zermalmen» (Mt 21,44). Bei Markus findet sich diese Formulierung nicht. Diese Aussagen wurden in der Geschichte ihrer Auslegung als Bild des Verhältnisses von Israel bzw. dem Judentum und der Kirche als neuem Israel gelesen. Israel wird enteignet und sein Erbe den Völkern, den Christusgläubigen, gegeben. Die Kirche ist das neue Israel, für das alte gab es keinen Platz mehr. Diese Theologie war mit ein Grund für das Unrecht, das Juden durch Christen in den vergangenen Jahrhunderten erlitten hatten. Vor diesem Hintergrund ist es angebracht, den Fokus der Auslegung und der Predigt auf die positiven Potenziale des Bildes des Weinbergs zu legen. Es geht im Ersten Testament und bei den Synoptikern um die Früchte. Wenn ich einen Wein trinken möchte, ist es für mich entscheidend, ob er gut ist oder schlecht. Ein Glas guten Weines kann (mich) sehr glücklich machen. So steht es auch mit Kirchen und Religionsgemeinschaften. Entscheidend sind die Früchte, die sie tragen. Tun sie den Menschen gut? Sind sie heilsam und heilend für Mensch und Welt? In diesem Sinn sollten wir anstossen auf die guten Früchte des Reiches Gottes unter uns, wie es Jesus mit den Zöllnern und Prostituierten getan hat und ihnen und uns damit gezeigt hat, was Heil und Heilung bedeuten könnte. Stossen wir also auch heute auf die guten Früchte an. Warum nicht mit einem «Staaner Wy»?