Wir beraten

Er stieg auf einen Berg   

Winfried Bader zum Evangelium am 4. Sonntag im Jahreskreis: Mt 5,1–12 SKZ 3/2011

Die Predigt auf dem Berg und das Preisen der Glückseligen gelten als Kern der christlichen Botschaft. Es ist Konsens, dass hier Jesus ganz bei sich ist und aus sich verkündet. Wenn aber Jesus ganz bei sich ist, dann ist er ganz in seiner heiligen Schrift.

«... was in den Schriften geschrieben steht»

Jesus steigt auf einen Berg (Mt 5,1). Auch wenn heute beim See von Tiberias dieser Berg gezeigt wird, ist er doch von Matthäus nicht lokalisiert. Es ist eine theologische Geografie. Auch Mose verliess die Volksmenge, um auf einen Berg, den Sinai, zu steigen. «Gott sprach zu Mose: Steig am Morgen auf den Sinai, und dort auf dem Gipfel des Bergs stell dich vor mich hin!» (Ex 34,2). Mose erhält dort die Gesetzestafeln, um sie dem Volk zu bringen. Jesus lehrt den Jüngern sein «Gesetz», um es dann dem Volk weiterzuerzählen.

Ausführlich wird erzählt, wie Jesus sich einrichtet, bevor er zu sprechen beginnt (Mt 5,1–2). Jesus setzt sich, wie z. B. Elija auf einem Berg sass, als er um Rat gefragt wurde (2 Kön 1). Jesus öffnet seinen Mund; das weist auf die Herkunft der Rede hin. Denn zu Mose sagte Gott: «Geh also! Ich bin mit deinem Mund und weise dich an, was du reden sollst» (Ex 4,12). «Wenn ich aber mit dir reden werde, will ich deinen Mund auftun, und du sollst zu ihnen sprechen: So spricht YHWH» (Ex 3,27). Jesus lehrt seine Jünger, so wie es z. B. Jitro seinem Schwiegersohn Mose empfiehlt: «Unterrichte das Volk in den Gesetzen und Weisungen und lehre sie, wie sie leben und was sie tun sollen» (Ex 18,20). Durch diese ausführliche Einleitung ist für die nun folgende Rede Jesu den Leserinnen und Lesern klar, hier redet einer wie Elija und Mose Worte, die von Gott stammen, um das Volk fürs Leben zu rüsten.

Alle neun Aussagen in seiner Rede beginnt Jesus mit dem Wort «selig», gr. makarios. Das Wort bedeutet zum einen begütert, vermögend, mächtig, reich, also ein konkreter materieller Wohlstand. Zum anderen hat es dann die übertragene Bedeutung des psychischen Wohlseins und bedeutet beglückt, glückselig, selig. Glückselig zu sein wird von den Göttern und den Verstorbenen gesagt, und es wird als Anrede verwendet im Sinne von mein Liebster, mein Bester, mein Schatz.

Dieses «glückselig» wird auch in den Schriften verwendet und zeigt drei Aspekte:

1) «Selig der Mann … der Freude hat an der Weisung YHWHs und über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht» (Ps 1,1.2). Die seliggepriesenen Menschen sind zum Handeln aufgefordert. Sie sind dann selig, wenn sie sich in die Weisung Gottes, seine Tora hinein vertiefen.

2) «Selig der Mensch, dem YHWH die Schuld nicht zur Last legt» (Ps 32,2). Hier geht es nicht um die Handlung der Menschen wie in Psalm 1. Glückselig sind die Menschen zuallererst, weil sie von Gott her Geschenke empfangen. Im Psalm hier ist es die Vergebung. Im Buch der Weisheit ist es die Freude, die Menschen von Gott bekommen, trotz des äussern Unglücks der Kinderlosigkeit, die als Strafe galt und zudem im Alter zur Armut führte, weil die Unterstützung der Kinder fehlt. Auch sie bekommen von Gott Geschenke: «Selig ist die/der Kinderlose … besondere Gnade wird seiner/ihrer Treue zuteil und ein köstlicher Anteil am Tempel des Herrn» (Weish 3,13–14).

3) Zum dritten geht es bei dem «glückselig» um Gott. «Selig, die dich (Gott) lieben; sie werden sich freuen über den Frieden, den du schenkst …, wenn sie all deine Herrlichkeit sehen. Meine Seele preise Gott, den grossen König» (Tob 13,15–16). Die Glückseligkeit der Menschen kommt von Gott und ist ein Ausrichten auf Gott hin. In Jesus ist dieser Gott als König sichtbar. Das zeigt uns Matthäus in seiner Weihnachtsgeschichte. Seine Erzählung von den Weisen, die dem Stern folgen und Jesus in seinem Haus in Bethlehem verehren, schmückt aus, was Tobit in dem gerade zitierten Gebet so formuliert: «Von weither werden die Völker kommen, um Gott zu preisen. Sie tragen Geschenke herbei für den himmlischen König» (Tob 13,13).

Wenn wir nun – etwas kürzer und im einzelnen nur auf Hinweise uns beschränkend – die Aussagen der neun Seligpreisungen durchgehen, wird sich bestätigen, dass es um eine Beschreibung Gottes geht. Jesus trägt Aussagen aus seiner heiligen Schrift über Gott zusammen.

Arm (Mt 5,3) und reich galt im Alten Orient als eine gegebene Ordnung der Menschen. Ein schweres Los war es, wenn eine Frau als Witwe oder Kinderlose von einer Armut, bei der man das Lebensnotwendige noch hatte, abrutschte in die Armut, wo das Überleben zum Problem wurde. Hier greifen ethische Vorschläge der Tora. Es geht aber (leider) nicht darum, die Armut als solches abzuschaffen. Doch – und das darf nicht als Zynismus aufgefasst werden, sondern als Hoffnung – gilt den Armen der besondere Schutz und die besondere Zusage YHWHs. «Denn YHWH hört auf die Armen» (Ps 69,34). Durch ihre Bedürftigkeit haben die Armen ein besonders unmittelbares Verhältnis zu Gott. «Ich lasse in deiner Mitte ein demütiges und armes Volk übrig, das seine Zuflucht sucht beim Namen YHWHs» (Zef 3,12). Zu diesen Armen – so zitiert Lukas den Propheten Jesaja – ist Jesus geschickt, «damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe … und alle Trauernden tröste» (Jes 61,1–2). Das ist schon die nächste Aussage (Mt 5,4). «Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich (Gott) euch» (Jes 66,13).

Die «Sanftmütigen, die das Land erben» (Mt 5,5), gehören zu den Armen und Trauernden dazu. Besonders ihnen, die ihren Grundbesitz verloren haben, damit also keinen Anteil mehr am Land besitzen und damit aus der göttlichen Verheissung des Lands herausgefallen sind, für die also die seit Abraham geltende grosse Vision des Landes nicht mehr sichtbar zutrifft, gilt die Landverheissung: «Die Armen werden das Land bekommen, und sie werden Frieden in Fülle geniessen» (Ps 37,11).

«Durst nach Gerechtigkeit» (Mt 5,6) ist der Hunger nach dem Wort Gottes: «Ich sende einen Hunger ins Land, nicht einen Hunger nach Brot, sondern die Worte YHWHs zu hören» (Am 8,11).

«Selig ist der Barmherzige» (Mt 5,7) schon im Psalm 41,2, und er wird von Gott gerettet.

«Gott zu schauen» (Mt 5,8) ist die grosse Sehnsucht der Menschen, ein Wunsch, der nur Mose (Ex 33,20–34,8) und Elija (1 Kön 19) in Andeutung gewährt wurde.

«Söhne Gottes» (Mt 5,9) zu sein, ist eine Zusage, die seit dem Propheten Hosea gilt, wo Gott nicht nur Vater, sondern vor allem Mutter ist (Hos 2,1; Hos 11,1–4).

Mit Matthäus im Gespräch

Matthäus stellt uns in der Rede Jesu auf dem Berg die Summe dessen dar, was in seinen heiligen Schriften steht: Gott ist barmherziger Vater und friedensstiftender König, mit einem Herz für Arme und Randständige. Dieser schenkende Gott ist nicht fern im Himmel droben. Nein, er hat – so die Hoffnungen der Schriften des Matthäus und so die Botschaft Jesu vom Reich Gottes – unmittelbare Relevanz für die Welt und die Menschen.