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Allein unter vielen   

Andrea Moresino-Zipper zum Evangelium am 12. Sonntag im Jahreskreis: Lk 9,18–24 SKZ 23/2010

Jesus ist nicht allein. Er hat Jünger berufen, die ihn begleiten und mit ihm unterwegs sind. Sie sind jedoch nicht immer bei ihm. Er sendet sie mit einem Auftrag aus oder schickt sie voraus. Dann scheint er allein zu sein. Doch so genau lässt sich das heute nicht mehr sagen. Es wird die Frage bleiben, wenn kein erweiterter Jüngerkreis oder kein Volk erwähnt wird, ob er wirklich allein war.
In der Perikope Lk 9,18–24 ist Jesus nicht allein. Seine Jünger sind bei ihm, doch er betet allein. Dies erinnert an die Situation auf dem Ölberg in Lk 22,41, wohin er sich mit seinen Jüngern zurückzieht und sich zum Gebet einen Steinwurf weit von ihnen entfernt. Diese Entfernung drückt sich auch in der Verlassenheit aus, die Jesus erfährt. Seine Jünger beten nicht mit ihm, sondern sie schlafen.
Der Aspekt des Alleinseins meint aber auch einen Rückzug vom Volk. Jesus geht zu den Menschen hin, und sie kommen auch zu ihm, aber er zieht sich auch immer wieder zurück.

«... was in den Schriften geschrieben steht»

Das Zentrum dieses Abschnittes (Lk 9,18–21) ist das Petrusbekenntnis in Vers 20. Jesus fragt die Jünger, für wen sie ihn halten, und Petrus antwortet stellvertretend für alle:«Für den Messias Gottes». Warum ist er es, der antwortet? Weil er der Erstgenannte unter den ersten vier berufenen Jüngern ist (vgl. Lk 5,1–11) und bereits bei seiner Berufung – direkt von Jesus angesprochen – im Namen der vier Fischer spricht? Oder weil er nach dem Bericht der Frauen am Grab, alleine und als einziger der Apostel zum Grab geht (vgl. Lk 24,12)? Die Verbindung des Petrusbekenntnisses erfolgt mit einer anderen Perikope, nämlich mit der Szene der Verleugnung des Petrus an Jesus (Lk 22,54–62). Er, der stellvertretend für die Jünger bereits in Galiläa Jesus als den Messias erkannt und sich zu ihm bekannt hat, strauchelt in der entscheidenden Situation. Noch in Lk 22,33 hat Petrus bekundet, Jesus ins Gefängnis und sogar in den Tod folgen zu wollen. Jesus sieht die Glaubensverleugnung durch Petrus voraus und verheisst ihm die Bekehrung (22,32), noch bevor er leugnet.
Den unmittelbaren Kontext dieser Stelle hat Lukas von seiner Vorlage in Mk 8,27–30 übernommen. Er leitet das Bekenntnis zu Jesus mit der Frage ein, für wen ihn die Leute halten (vgl. Lk 9,18). Die Antwort darauf bekommt bereits Herodes in 9,7–9 zu hören. Doch Herodes erhält nicht die richtige Antwort, und er bleibt im Ungewissen und allein. Manche halten Jesus für Johannes den Täufer, andere für Elija oder für einen der alten Propheten. Mit Elija wird das Kommen des grossen Tags des Herrn verbunden (vgl. Mal 3,23), und mit dem Wiederkommen des Propheten verbanden die Jünger auch schon mal Jesus.
Doch nicht nur das Messiasbekenntnis hat eine Verknüpfung zur Passion, auch die folgende, erste Leidensankündigung ist ein direkter Bezug darauf hin. Vorerst ermahnt aber Jesus die Jünger zu schweigen und dies für sich zu behalten. Man könnte annehmen, Jesus tadelt die Jünger wegen der Aussage. Doch er «korrigiert nur» in seiner ersten Leidensansage die Benennung Messias zu Menschensohn. Denn als Messias bezeichnet er sich erst nach der Passion (vgl. 24,26). Der Wahrheitsgehalt der Jüngeraussage darf noch nicht an die Öffentlichkeit. Jesus gibt seinen Jüngern ein Bild davon, was mit ihm geschehen wird, und spricht in Vers 9,22 davon, dass der Menschensohn verworfen wird. Bereits in Ps 118,22 wird ein Stein, der zum Eckstein geworden ist, von den Bauleuten verworfen. Dasselbe Verb wird in beiden Stellen verwendet, und der Eckstein wird im Neuen Testament auf Jesus bezogen. Als Bauleute nennt Lukas jene Menschen, die Jesus befragen (vgl. Lk 20,1 ff.) und ihn schlussendlich ausliefern (vgl. Mk 15,1). Die Hinrichtung Jesu ist eine Konsequenz aus dieser Verwerfung. Die Auferstehung wird am dritten Tag geschehen. Dahinter könnten die Zeilen des bittenden Volkes aus Hosea stehen. «Nach zwei Tagen gibt er uns das Leben zurück, am dritten Tag richtet er uns wieder auf, und wir leben vor seinem Angesicht» (vgl. Hos 6,2). Denn 1 Kor 15,4 gibt an, dass die Auferstehung am dritten Tag gemäss der Schrift erfolgt.
Die Leidensankündigung ist aber nur an die Jünger adressiert. Im darauffolgenden Vers 23 spricht Jesus wieder zu allen und tut dies aber noch geheimnisvoller als in den Versen davor. Es scheint, als ob Jesus verlangt, dass Nachfolgewillige auch den Kreuzestod auf sich nehmen sollten. Ausserdem klingt in seinen Worten bereits die Kreuzigung an, und dies führt zur Frage, ob sich Jesus bereits dieser Art der Tötung sicher gewesen sein muss. Vielmehr als die unglaubliche Forderung Jesu, ihm in dieser unmenschlichen Todesart zu folgen, ist die Aufforderung, ihm in seiner Radikalität zu folgen. Das sichere Leben aufzugeben, sich selbst zu verleugnen und seine Wünsche und Bürgerrechte hinter sich zu lassen. Die Steigerung davon ist Vers 24. Der Versuch, sein eigenes Leben retten zu wollen, führt ins Gegenteil. Wer Jesus nachfolgt, hat sein Leben schon preisgegeben und wird dies nicht mehr versuchen, denn Rettung des eigenen Lebens geschieht durch Jesus.

Mit Lukas im Gespräch

Lukas spricht bis zu dieser Perikope viel von Glauben, aber ein Bekenntnis zu Christus gab es davor nicht. Erst an dieser Stelle erfolgt aus dem Mund eines Jüngers das Bekenntnis zur Messianität Jesu. Jedoch verzichtet der Evangelist darauf, Petrus durch Jesus zu tadeln (vgl. Mk 8,32–33). Auch verbindet Lukas in 9,18–22 das Beten Jesu mit der alleinigen Anwesenheit der Jünger. Eine ähnliche Situation gab es nur noch bei der Verklärung auf dem Berg (vgl. 9,28–36) und auf dem Ölberg, wie oben erwähnt.
Die markinische Vorlage hat in dem Logion von der Nachfolge sicherlich das kommende Martyrium im Blick. Durch die Zugabe des Wortes täglich bekommt das Logion eine neue Dimension. Im Kreuz auf sich nehmen steckt nicht mehr die Einmaligkeit, sondern das immer wiederkehrende, tägliche Ereignis. Lukas hat vermutlich die alltäglichen Schwierigkeiten und Bedrängnisse der jungen Christen vor Augen. Die Entscheidung, Jesus nachzufolgen und dies im täglichen Leben umzusetzen, erfolgt allein, und doch sind es viele, die sich für diesen Weg entscheiden. Ein Christ ist nie allein, doch er, der dies ermöglichte, er war allein.