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Der geheime Namen Gottes…   

Hans Rapp zum Evangelium am 7. Sonntag der Osterzeit: Joh 17,20–26 SKZ 18/2010

Mit dem Namen ist es in unserer schönen neuen digitalen Welt so eine Sache. Ich habe die biblische Erzählung über die Offenbarung des Namens Gottes an Mose (Ex 3) erst so richtig begriffen, als ich mich vor die Vertrauensfrage im Netz gestellt sah. Sollte ich meiner Bank oder dem Online-Buchhändler meine Daten und Codes preisgeben oder nicht? Die Daten könnten in falsche Hände kommen, die mein Konto plündern könnten. Oder Menschen könnten über meinen Namen im Internet Dinge verbreiten, die meinem Personalchef gar nicht gefallen würden. Egal ob sie stimmen oder nicht. Besser ist es, im Netz mit der eigenen Identität sehr vorsichtig umzugehen und sehr gut zu überlegen, wie viel von der eigenen Identität preiszugeben opportun ist. Der englische Lyriker T. S. Eliot schreibt in seinem Gedichtband «Old Possum’s Book of Practical Cats», dass jede Katze drei unterschiedliche Namen habe. Der erste ist der zum täglichen Gebrauch. Der zweite Name beschreibt das Wesen der individuellen Katze. Er benennt jeweils nur eine einzige Katze. Doch dann gibt es noch den dritten, geheimen Namen …

«... was in den Schriften geschrieben steht»

Joh 17,20–26 bildet den Abschluss des Abschiedsgebetes Jesu. Die Perikope schliesst die letzte grosse Redekomposition des Johannesevangeliums ab. Das Abschiedsgebet des Herrn (Joh 17) richtet sich an zwei Gruppen von Menschen. Im ersten Teil des 17. Kapitels geht es um die Menschen, denen Jesus selbst in seinen Worten den Zugang zur Wirklichkeit Gottes ermöglicht hat. Joh 17,20 erweitert diese Fürbitte auf eine weitere Gruppe von Menschen. Es sind Menschen, die «durch ihr Wort» an Jesus glauben. Grammatikalisch ist das nicht ganz eindeutig, gemeint ist aber wohl das Wort, das nun offenbarend und berufend nach der Generation der direkten Jüngerinnen und Jünger weiterwirken wird. Das heisst: wir sind gemeint, die wir uns in der Nachfolge der Generationen vor uns auf das Wort verlassen, das sie uns überliefert haben.
Der Text weist einige formale Merkmale auf. Die Formulierung «… dass du mich gesandt hast» wird nahezu identisch dreimal wiederholt und gliedert dadurch den Text. Zweimal ist diese Wendung mit dem Begriff des «Kosmos», der Welt verbunden: «damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast» steht in v 21. V 23 verwendet nicht das Verb «glauben», sondern «erkennen»: «damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast». Die dritte Wiederholung steht nicht mehr im Zusammenhang mit der «Welt», sondern mit Menschen, die in die Einheit Jesu mit seinem Vater hineingenommen wurden und weiter hineingenommen werden. «Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt, und sie haben erkannt, dass du mich gesandt hast» (Joh 17,25). Die letzten drei Verse des Abschnitts (vv 24–26) werden durch das Verb «erkennen» bestimmt. Es kommt darin insgesamt sechsmal vor. Der Text gibt einen Erkenntnisprozess wieder. Am Ende dieses Prozesses steht die Offenbarung des Namens Gottes: «Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekannt machen, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin» (Joh 17,26).
Die Bewegung, die in der Perikope zum Tragen kommt, ist die vom Vater zum Sohn und vom Sohn zu den Glaubenden. In ihnen wird Vater und Sohn erfahrbar. Die Welt erkennt zwar den Vater, den Schöpfergott, nicht, sie erkennt aber durch die glaubenden Menschen, dass der Vater den Sohn gesandt hat. Erwählung strahlt aus auf die Welt und auf die Menschen, die damit in Kontakt kommen. Erwählung ist ansteckend. Das ist das Grundverständnis von Erwählung im Ersten Testament. In der Abrahamserzählung im Buch Genesis wird klar, dass die spezielle Erwählung Israels nicht um Israels willen geschieht, sondern für alle Völker der Welt. Im ersten Segensspruch über den Erzvater Abraham wird dies formuliert: «Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen» (Gen 12,3).
In Joh 17,20–26 begegnen neben dieser Erwählungsdynamik zwei bedeutende Begriffe aus dem Ersten Testament: die Herrlichkeit und der Name Gottes. Herrlichkeit ist ein Begriff, den das Johannesevangelium zwar sparsam, aber an wichtigen Punkten verwendet. Ein erstes Mal erscheint es im Prolog des Evangeliums: «Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit» (Joh 1,14). Zweimal erscheint es in Zusammenhang mit Wundern Jesu. In der Hochzeit in Kana (Joh 2,11) und der Erweckung von Lazarus (Joh 11,4) offenbart sich die Herrlichkeit Jesu. Diese Herrlichkeit kommt von Gott her und nicht von den Menschen (Joh 5,41.44; 17,24). Herrlichkeit ist ein Begriff, den Johannes vom Ersten Testament her für den sich offenbarenden Gott verwendet. Das wird in Joh 12,41 deutlich. Johannes zitiert im vorgehenden Vers 12,40 den die Thronvision des Propheten Jesaja (Jes 6,9 f.). Der Saum des Gewandes Gottes erfüllt den Tempel. Sechs Seraphen rufen ihm zu: «Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere. Von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt» (Jes 6,3). Diese Herrlichkeit wird für den Evangelisten in Jesus erfahrbar.
Der Name Gottes wiederum ist das Gegenstück seiner Herrlichkeit. Die Herrlichkeit Gottes strahlt nach aussen. Der Name dagegen ist das Verborgenste, das Privateste in Gott. Dass er ihn preisgibt, liegt an der Not seines Volkes in Ägypten (Ex 3,7). Er liefert sich damit seinem Volk aus. Das ist es, was vor dem Hintergrund des Ersten Testaments unter der Liebe Gottes verstanden werden sollte, die in Joh 17,20–26 insgesamt fünfmal vorkommt: dass Gott den Menschen seinen Namen verraten hat, zeugt von seinem unendlichen Vertrauen in uns.

Mit Johannes im Gespräch

Wie viele seiner Zeitgenossen hat Johannes die Verheissungen des Ersten Testaments verinnerlicht und weiter gedacht. Sie bildeten die Kategorien seines Denkens. Der Gedanke, dass es etwas ganz Besonderes ist, jemandem seine Identität, seinen geheimen Namen zu offenbaren, hat er aus der jüdischen Tora aufgenommen. Jahrhundert später hat das einen amerikanischen Lyriker zu seinem Band mit Kindergedichten inspiriert. Im ersten Gedicht dieses Bandes schreibt T. S. Eliot auch über den dritten Namen jeder Katze. Diesen dritten Namen verraten die Katzen niemandem. Er ist so bedeutungsvoll, dass sie selbst immer wieder über ihn meditieren:

But above and beyond there’s still one name left over,/
and that ist name that you never will guess;/
The name that no human research can discover -/
But the CAT HIMSELF KNOWS, and will never confess./
When you notice a cat in profound meditation,/
The reason, I tell you, is always the same:/
His mind is engaged in a rapt contemplation/
Of the thought, of the thought, of the thought of his name.