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Liebe mit Folgen   

Hanspeter Ernst zum Evangelium am 6. Sonntag der Osterzeit: Joh 14,22–29 SKZ 17/2010

Die Leseordnung lässt das Evangelium mit Vers 23 eröffnen. Damit beginnt es mit einer Antwort Jesu. Antworten, die aber auf nicht bekannte oder nicht gestellte Fragen gegeben werden, sind entweder unverständlich oder überflüssig. Nur schon aus dem Grunde ist es geboten, die Frage des Judas, nicht des Judas Iskariot, auch zu lesen und also mit Vers 22 zu beginnen. Dies ist auch vom Aufbau des 14. Kapitels her ratsam. Es sind drei Einwände, die von namentlich genannten Personen gemacht werden: Thomas: «Wir wissen nicht, wohin du gehst, wie können wir denn den Weg wissen» (V. 5)? Philippus: «Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns» (V. 8). Und jetzt noch Judas: «Herr, was ist geschehen, dass du dich uns zeigst, nicht aber der Weltordnung» (V. 22)?

«… was in den Schriften geschrieben steht»
Judas, so wenigstens verstehe ich seine Frage, will wissen, weshalb sich der Messias nur ihnen, dem Kreis der Jünger/innen, zeigt? Es wäre doch wünschenswert, dass die Weltordnung ihn auch zur Kenntnis nimmt, dass er auch für sie real, Wirklichkeit wird. Das ist ein bekanntes Problem für alle jene, die in Jesus den Messias erkennen, deren Umwelt aber nichts von diesem Messias wissen will und für die er verborgen bleibt. Jesu Antwort beginnt mit «Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort bewahren, und mein Vater wird ihn lieben. Zu ihm werden wir kommen, und wir werden uns bei ihm zu einer Wohnung machen» (V. 23). Ihn lieben, heisst sein Wort, sein Gebot bewahren. Es ist nicht eine «Wischiwaschi-Liebe», eine mit der sich so ziemlich alles rechtfertigen lässt. Wer mit ihm, mit Jesus, solidarisch ist, bewahrt sein Wort, erfüllt sein Gebot. Die Liebe ist also sichtbar, real dort, wo jemand das Gebot Jesu erfüllt. Und sein Vater wird solidarisch sein mit ihm bzw. Gott wird diejenigen lieben, die das tun. Gott und der Messias werden kommen, und sich bei ihm zu einer Wohnung, einer Bleibe – jedoch nicht in der Bedeutung von einem Dach über dem Kopf haben – machen. Die Bewegung ist von oben nach unten. Gott und der Messias kommen zu den Menschen, die durch das, was sie tun, am Wort des Messias festhalten, deren Liebe also verlässlich ist. Umgekehrt gilt deshalb: Wer mich nicht liebt, hält nicht an meinem Worte fest, dementsprechend fallen auch die Taten aus.
Es ist ein Gedanke, bei dem stehen zu bleiben sich lohnt. Denn auf der einen Seite zeigt er, wie sehr er sich der jüdischen Geisteswelt verdankt: Die Worte Gottes hören, sie bewahren und tun, ist Ausdruck der Liebe. Das ist kein einseitiger Akt. Gott selbst bindet sich ebenfalls, legt sich in Treue den Menschen gegenüber fest. Diese intensive Beziehung verdichtet sich zur Gottesbenennung Schekhina, Einwohnung Gottes. So wird in der Auslegung von Klgl 3,19–21 (Gedenke doch meines Elends und meiner Heimatlosigkeit. Wermut und Gift. Ganz gewiss gedenkst du, so sagt meine Seele mir. Dies will ich mir zu Herzen nehmen, deshalb hoffe ich.) folgendes Gleichnis erzählt: «Gleich einem König, der eine Frau heiratete. Er schrieb ihr eine Heiratsurkunde mit vielen Versprechungen … Der König liess sie zurück und zog in die Fremde. Er verspätete sich dort. Da kehrten ihre Nachbarinnen bei ihr ein und ärgerten sie und sagten: Der König hat dich verlassen, und er zog in die Fremde. Nie wieder wird er zu dir zurückkehren. Und sie weinte und seufzte. Sie geht in ihr Haus, öffnet die Heiratsurkunde und liest» alle die Versprechungen. «Sofort war sie getröstet. Nach Jahren kam der König und sagte zu ihr: Meine Tochter, es erstaunt mich, wie du alle diese Jahre auf mich gewartet hast. Sie antwortete: Mein Herr und König, wäre da nicht die Heiratsurkunde mit all den vielen Versprechungen gewesen, die du geschrieben und mir gegeben hast, meine Nachbarinnen hätten mich längst verdorben. So machten die Weltvölker den Israeliten Vorwürfe und sagten zu ihnen: Euer Gott verbirgt sein Angesicht vor euch und entfernte seine Schekhina von euch. Nie mehr wird er zu euch zurückkehren. Und sie weinen und klagen. Wie sie aber in die Synagogen und Lehrhäuser gehen und in der Tora lesen und darin geschrieben finden: ‹Ich wende mich euch zu und mache euch fruchtbar› (Lev 26,9). ‹Ich habe meine Wohnung unter euch gegeben … in eurer Mitte wandle ich, ich werde euer Gott sein und ihr werdet mir ein Volk sein› (Lev 26,9–12); sind sie getröstet. Morgen, wenn die endzeitliche Erlösung kommt, sagt der Heilige, gelobt sei er, zu Israel: Meine Kinder, ich staune über euch, wie ihr all diese Jahre auf mich gewartet habt. Sie aber sagen zu ihm: Herr der Welten, wäre da nicht deine Tora gewesen, die du uns gegeben hast, die Weltvölker hätten uns schon längst verdorben. Dementsprechend heisst es: ‹Dies nahm ich mir zu Herzen› (Klgl 3,21)» (EkhaR 3,7). Eine Frau hält ihrem Mann die Treue, obwohl es so aussieht, als ob er sie verlassen hätte. Sie tut es, weil sie seinen Versprechungen, seinem Wort vertraut. Sie liest diese Versprechungen und handelt ihnen entsprechend, auch wenn die Nachbarn das alles andere als richtig finden. Dieses Bild beschreibt das Verhältnis Gott–Israel. Israel hält Gott die Treue, in dem es die Tora liest und deren Weisungen erfüllt – auch dann, wenn die Völker der Erde sie davon überzeugen wollen, dass Gott sein Angesicht verborgen und seine Schekhina von ihnen entfernt habe. Schekhina in diesem Kontext bedeutet die Anwesenheit Gottes, wie sie durch das Lesen und Tun der Tora von Seiten der Israeliten möglich ist. Würden die Israeliten die Tora nicht lesen, würden sie nicht ihr entsprechend handeln, dann wäre die Schekhina nicht. Also so, wie Johannes sagt, dass Gott und der Messias zu jenen kommen werden und eine Bleibe machen, die die Worte des Messias halten.

Mit Johannes im Gespräch
Ich weiss, lieber Johannes, dass dein Text weitergeht. Du berichtest vom Tröster, den der Vater des Messias in dessen Namen schicken wird, der uns alles lehren und in Erinnerung rufen wird, was Jesus uns gesagt hat. Du sprichst vom Frieden, den er uns geben wird, einem Frieden, der alles andere ist als der Friede, den die Weltordnung schafft. Aber mir sind Grenzen gesetzt, zeitliche und räumliche. Ich kann nur hoffen, dass möglichst viele wie die Frau des Gleichnisses zum Buche greifen und lesen, sich erinnern lassen und in Treue den Worten Gottes gegenüber entsprechend handeln. Aber eine Frage muss ich dir doch noch stellen: Weshalb werden so oft Sätze von dir wie «wenn jemand mich liebt …» zitiert, ohne dass die dazugehörigen Fragen auch gestellt werden? Denn ohne diese Fragen, das ist meine Befürchtung, werden sie zu einer Art Beruhigungs- oder Wohlfühlsätzen, die so gar nichts mehr von jener Radikalität wiedergeben, die ihnen im Kontext deines Evangeliums eigen ist. Wird dann aber der verheissene Tröster nicht einfach zu einem billigen Vertröster, der uns mit dieser Welt abfinden lässt. Und das angesichts der Verheissung, dass zu denjenigen, die Jesu Wort halten und erfüllen, Gott und sein Messias kommen und sich bei ihnen zu einer Wohnung machen werden.