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Copy and paste   

Peter Zürn zum Evangelium am 2. Sonntag der Osterzeit, Joh 20,19–31 SKZ 13-14/2010

Die junge Autorin Helene Hegemann hat Schlagzeilen gemacht, weil sie Teile ihres Erfolgromanes «Axolotl Roadkill» abgeschrieben hat. Die Computerbefehle «Kopieren» und «Einfügen» (engl. copy & paste) erleichtern so etwas ungemein. Auch ich habe grosse Teile dieses Artikels abgeschrieben1. Ich setze das Übernommene im letzten Abschnitt in einen aktuellen Kontext – den Missbrauchsskandal in der Kirche. Da wird es ganz neu brisant. Auch die Bibeltexte, um die es hier geht, nehmen vorliegende Texte auf, erzählen bereits bestehende Geschichten in neuen Kontexten noch einmal, damit sie weiter und wieder neu wirken.

Mit Johannes im Gespräch (1)

Beim heutigen Evangelium wird meist der zweite Teil, die Erzählung vom «ungläubigen Thomas», wahrgenommen. Heute soll es um den ersten Teil, Joh 20,19–23 gehen. Besonders wichtig ist mir daran:
1. Im Johannesevangelium wird die Gabe des Geistes an die Gemeinde am Abend des Auferstehungstages erzählt. Ostern und Pfingsten fallen also zusammen.
2. Die Gabe des Geistes geschieht nicht mit Sturmbraus und Feuer, sondern leise und zart. Ein Hauch nur ist es, der die Gemeinde verwandelt.
3. Der Empfang des Geistes und die Verwandlung der Gemeinde geschehen im Kontext der Krise und des Todes. Symbol dafür sind die verschlossenen Türen. Die Jüngerinnen und Jünger sind voll Schrecken und Trauer, Enttäuschung und Angst, ebenfalls verhaftet zu werden. Sie sind unfähig, nach aussen zu gehen, abgeschnitten vom Leben. Im Kontext des Todes befindet sich nach dem Johannesevangelium aber auch die Welt, beziehungsweise die herrschende Weltordnung, wie das griechische Wort «kosmos» wohl besser übersetzt wird. Sie ist im Zustand der Sünde. Mit «hamartia» sind nicht in erster Linie einzelne Sünden, sondern ist der Zustand der Gottferne und des Todes gemeint. Diese Sünde soll die geistbegabte Gemeinde erlassen können. Sündenvergebung bedeutet den Übergang ins Leben, ist gleichsam neue Schöpfung.
Zusammengefasst heisst das: Der zarte Lebenshauch Gottes rettet die Gemeinde aus dem Todesbereich und verleiht ihr die Kraft, die Mächte des Todes aus der Welt zu schaffen. Die Gabe des Geistes ist Neuschöpfung von Menschen und Welt ohne Sünde und Tod. Geistgabe, Schöpfung und Auferstehung gehören untrennbar zusammen.

«…was in den Schriften geschrieben steht»

Johannes steht mit seiner Theologie in engem Austausch mit anderen biblischen Texten: Das «Einblasen» (griech. emphysao) des Lebenshauches Gottes (Joh 20,22) bezieht sich auf die Schöpfungserzählung in Gen 2,7. Wie Gott dem Menschen den Atem in die Nase bläst und damit lebendig macht, so schenkt der Hauch des Auferstandenen die Kraft zum neuen Leben. Johannes schlägt einen Bogen von der Schöpfung des Menschen zur Neuschöpfung der Gemeinde. In Gen 2 befähigt der Geist Gottes den Menschen, den Tieren Namen zu geben. In Joh 20 befähigt er die Gemeinde, die Sünde beim Namen zu nennen.
Als weitere Schriftstelle wird Ez 37,1–14 aufgenommen: «Die Hand des Herrn legte sich auf mich und der Herr brachte mich im Geist hinaus und versetzte mich mitten in die Ebene. Sie war voll von Gebeinen. (…) So spricht Gott, der Herr, zu diesen Gebeinen: Ich selbst bringe Geist in euch, dann werdet ihr lebendig. (…) Da sprach ich als Prophet, wie er mir befohlen hatte, und es kam Geist in sie. Sie wurden lebendig und standen auf – ein grosses, gewaltiges Heer. Er sagte zu mir: Menschensohn, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Jetzt sagt Israel: Ausgetrocknet sind unsere Gebeine, unsere Hoffnung ist untergegangen, wir sind verloren. Deshalb tritt als Prophet auf und sag zu ihnen: So spricht Gott, der Herr: Ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. Ich bringe euch zurück in das Land Israel. (…) Ich hauche euch meinen Geist ein, dann werdet ihr lebendig und ich bringe euch wieder in euer Land. Dann werdet ihr erkennen, dass ich der Herr bin.»
Ez 37 führt zum zerschlagenen Israel im Exil. Die Zerstörung Jerusalems und des Tempels löste eine theologische Krise aus. Inmitten der traumatischen Erfahrung und der herrschenden Hoffnungslosigkeit entstehen neue Texte, die auf die Schöpfung zurückgreifen. Die Rede vom Schöpfergott entwirft einen grösseren, anderen Horizont als den der eigenen Erfahrung. Die Erfahrung wird in einen weiteren Raum gestellt, in dem Schritte des Lebens gegangen werden können. Das erfahrene Chaos wird überstiegen. Darin liegt der Quell für die Hoffnung auf eine befreiende Zukunft. Zu diesen Texten gehört Ez 37. Der Text geht genauso vor wie Joh 20: Er nimmt die Vorstellung von Gottes lebenschaffender «ruach» aus Gen 1,1 auf und stellt sie in den Kontext des Todes, in eine Ebene voller Knochen. Die Toten wurden nicht beerdigt, sie werden nicht erinnert. Das Erlöschen der Erinnerung ist der endgültige Tod. Durch das Handeln Gottes und seine Weiterführung durch den Propheten kommt Geist in die Knochen, sie leben und sie stehen auf (37,9). Warum wird das Aufstehen eigens erwähnt? Die Füsse verkörpern die Fähigkeit, eigene Schritte tun zu können, wieder selbständig zu sein. Wer aufsteht, gewinnt die Zukunft.
Was zuerst allgemein formuliert wurde, wird dann explizit auf das Volk Israel bezogen (37,11–14). Die Hoffnungslosigkeit wird ins Wort gebracht. Gott erweist sich aber als der Gott, der aus dem Exil, aus den Gräbern, aus dem Tod führt. Darin bleibt er seinem schöpferischen und lebeneinhauchenden Wirken treu. Darin zeigt sich seine Treue seinem Volk gegenüber. Treue bedeutet im Buch Ezechiel, dass gottfernes Handeln nicht folgenlos bleibt, sondern zum Gericht führt. Treue bedeutet aber auch, dass durch das Gericht hindurch Versöhnung und Zukunft zugesagt sind. An dieser Treue wird der Gott Israels erkannt. Schuld und Versagen, das Leben im Bereich des Todes, johanneisch ausgedrückt: die Sünde, haben nicht das letzte Wort.

Mit Johannes im Gespräch (2)

Das Einhauchen des Geistes verleiht nicht nur die Macht, die Sünden zu vergeben, sondern auch sie «zu behalten» oder «fest zu halten» (so die wörtlichere Übersetzung des griechischen Wortes «krateo» in 20,23). Der Gemeinde wird grosse Macht und Verantwortung zugesprochen. In der gegenwärtigen Krise, in der aufgedeckt wird, dass Macht in der Kirche missbraucht und Verantwortung in der Kirche nicht wahrgenommen wurde, ist das eine wichtige Herausforderung. Heute gilt es, weniger die Welt- als die Kirchenordnung im Zustand der Sünde und Gottferne zu erkennen und anzunehmen. Wir sind ermächtigt und beauftragt, die Verantwortung für den Umgang damit fest bei uns zu behalten, Sünden zu benennen und zu unterscheiden, wann wir von Vergebung sprechen und wann nicht. So klärt sich vielleicht, was Vergebung der Sünden nicht sein kann: die Opfer allein lassen, die Taten verschweigen, das Vergessen fördern und verhindern, dass die Verantwortlichen ihre Verantwortung übernehmen. Ein Hauch eines anderen Umgangs würde schon vieles in der Kirche zu mehr Lebendigkeit verwandeln. Ezechiel verheisst Leben, das sich im Aufstehen und im Gehen von neuen Wegen zeigt.

Peter Zürn, Theologe und Familienmann, ist Fachmitarbeiter der Bibelpastoralen Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks in Zürich.

1 Ulrike Bechmann: Die Verwandlungskraft des Geistes Gottes am Beispiel von Ez 37,1–14 und Joh 20,19–23 in: Bibel und Kirche 2/2009 zum Thema «Auferstehung – Leben trotz Tod», 87–92.