Wir beraten

Die Fusswaschung   

Hanspeter Ernst zum Evangelium am Hohen Donnerstag 2010: Johannes 13,1–15 SKZ 11/2010

Vielerorts werden am Hohen Donnerstag in Erinnerung an das letzte Mahl Jesu die Füsse gewaschen. Es ist eindrücklich, wenn kirchliche Vorsteher ihre prächtigen Gewänder ablegen und sich bücken müssen, damit sie den für die Fusswaschung eigens ausgewählter Personen (die in der Regel ihre Füsse vorher schon sicherheitshalber gewaschen haben) ihren Dienst erweisen können. Die Frage ist aber, ob dieser heute vollzogene Ritus sich nicht mehr an der Wirkung auf das Publikum – man möge mir diesen Begriff verzeihen, aber Fusswachungen sind nun einmal telegen! – orientiert als an der Erzählung, wie sie uns im Johannesevangelium überliefert wird?

«…was in den Schriften geschrieben steht»

Johannes beginnt seinen Bericht mit der Zeitangabe «Es war vor dem Pessachfest» (13,1). Die Zeit vor dem Pessach ist in drei Ab¬schnitte unterteilt: Die Zeit des letzten Abendmahls (13,1–30a), die Nacht (13,30b–18,28b) und das Verhör am frühen Morgen (18,28b–19,3). Während des letzten Abendmahles versucht Jesus seinen Schülern zu erklären, dass der Messias Herr genannt wird, aber Sklave ist, während es bei der Verhandlung am frühen Morgen darum geht, dass der Messias König ist, aber gerade nicht so wie dies die Vorstellung von einem König nahelegt. Und im langen Zwischenstück, vom Abend bis zum Morgen, werden die messianischen Implikationen und ihre Folgen verhandelt1.
Und es geht um ein Mahl. Aber es handelt sich nicht um ein Pessachmahl, jenem Mahl also, während dessen Juden und Jüdinnen ihrer Befreiung aus Ägypten, der Erschaffung der Welt und des Menschen, der Bindung Isaaks und der messianischen Erlösung gedenken, und das nach einer ganz bestimmten Ordnung gefeiert wird (vgl. CN zu EX 12,42). Dieses Mahl aber erinnert an das andere von Johannes erzählte Mahl, an dem Jesus sechs Tage vor Pessach in Bethanien mit Maria und Martha, mit deren Bruder Lazarus und mit anderen zusammen zu Tisch lag. Während dieses Mahls salbte ihm Maria die Füsse und trocknete sie mit ihrem Haar (12,1–11). Ähnlich wie beim letzten Abendmahl spielt auch Judas eine Rolle.
Bereits der erste Vers gibt wichtige inhaltliche Hinweise: «Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung» (1). Die Sprengkraft dieses Verses kommt dann besser zum Ausdruck, wenn unter «Welt» die Weltordnung verstanden wird und wenn mit Liebe nicht ein Allerweltsding gemeint ist, sondern die Solidarität. Jesus erweist sich solidarisch mit denen, die unter der Weltordnung leben. Aus der Sicht des Johannes ist diese Weltordnung diejenige Roms. Er weiss, wovon er spricht. Denn diese Weltordnung hat nicht nur Jesus ans Kreuz gebracht, sie hat auch den Tempel von Jerusalem zerstört und ein entsetzliches Gemetzel unter der Bevölkerung ausgelöst. Es ist eine Weltordnung, mit der man keine Kompromisse schliessen darf. Jesus also bringt seine Solidarität mit ihnen, d. h. den Menschen, die unter dieser Weltordnung leben, zum Ziel. Was das heisst, wird in den Versen 31–35 entfaltet und prägnant mit dem neuen Gebot auf den Punkt gebracht: Seid miteinander solidarisch, so wie ich mit euch solidarisch war (34).
Der Teufel hatte dem Judas eingegeben, Jesus zu verraten. Auch dieser Vers gehört zum Präludium der Fusswaschung. Damit ist nicht gemeint, dass der Teufel eine metaphysische Macht ist. Es ist vielmehr der Feind. Nach Johannes ist wiederum klar, dass dieser Feind mit den Römern gleichzusetzen ist. Judas ist ein Überläufer, ein Kollaborateur, einer, der mit dem Feind gemeinsame Sache macht und damit die Solidarität, die Jesus mit den Seinen zum Ziel bringt, unterläuft.
Noch einmal wird Jesu Wissen betont, sein Ausgehen von wie sein Eingehen in Gott. Erst jetzt beginnt die Fusswaschung: Jesus legt sein Gewand ab und bindet sich ein Leinentuch um. Gekleidet wie ein Haussklave übernimmt er den – einem israelitischen Sklaven sonst nicht zugemuteten – Dienst. Er wäscht seinen Jüngern die Füsse und trocknet sie. Wir wüssten nicht, wie seine Jünger auf diese ungewöhnliche Geste reagierten, wenn nicht Petrus protestiert hätte: Er findet es schlichtweg skandalös, dass Jesus ihm die Füsse waschen will, und deshalb weigert er sich. Jesus aber erklärt ihm, wenn er ihn nicht wasche, hätte er keinen Teil an ihm. Wiederum reagiert Petrus seltsam: Dann nicht nur die Füsse, sondern auch die Hände und den Kopf. Seltsam an dieser Reaktion ist, weil es keine rituelle Waschung des Kopfes gibt, nur eine solche der Hände. Die Reaktion gibt Jesus die Möglichkeit, das, was er tut, zu erklären. Es geht nicht um eine rituelle Waschung. Denn wer aus dem Bade kommt, ist rein. Er braucht nichts mehr, als sich die Füsse zu waschen. «Auch ihr seid rein, aber eben nicht alle.» Der letzte Punkt der Aussage bezieht sich auf Judas. Unreinheit in diesem Zusammenhang ist der Verrat, die Kollaboration mit den Römern. Was aber soll die Fusswaschung? Jesus zieht sich sein Kleid wieder an und legt sich hin. Er erklärt: Ihr nennt mich Lehrer und Meister, und ich bin es. Damit beschreibt er ein Lehrer–Schüler-Verhältnis, das von seiner Natur her ein ungleiches Verhältnis ist. Der Lehrer hat eine andere Position als der Schüler. Ob er es zugibt oder nicht, er hat dem Schüler gegenüber Macht. Genau auf dieses Verhältnis zielt Jesus ab: Wenn ich, den ihr zu Recht Lehrer und Herr nennt, euch die Füsse wasche, dann seid auch ihr verpflichtet, einander die Füsse zu waschen. Will heissen, wenn ich als Herr einen Sklavendienst versehe, wenn ich als Herr also gleichsam ein Sklave bin, dann seid auch ihr einander gegenüber wie Sklaven. Es geht also nicht um ein religiöses Gebot in dem Sinne etwa, so wie Gott durch den Messias den Menschen dient, sollen die Menschen auch Gott dienen, sondern darum, dass sich das Verhältnis zwischen Gott und dem Messias exemplarisch auch im Verhältnis, wie die Menschen miteinander umgehen, widerspiegle. Das ist nicht nur ein Bestandteil johanneischer Theologie, es ist ein Grundzug, der sich auch in anderen Schriften des Neuen Testamentes findet. Der messianische Dienst soll nicht zur Herrschaft verkommen.

Mit Johannes im Gespräch

Die Fusswaschung ist ein bleibender Auftrag. Sie ist eine bleibende Herausforderung für eine Pfarrei, die unter den Bedingungen dieser Weltordnung zu leben hat. Sie bleibt ein Stachel im Fleische einer Kirche, deren Organisationsgefüge hierarchisch strukturiert ist. Es ist ja nicht Zufall, dass es ausgerechnet Petrus war, der gegen die Geste Jesu lauthals protestierte. Petrus steht hier als einer der Führer der messianischen Gemeinde: Wenn er nicht den tiefen Sinn der Fusswaschung kapiert, wie soll dann das, was Jesus, der Messias wollte, weitergehen? Mit der Sache Jesu lässt sich keine Herrschaft begründen: Wenn ich euch die Füsse wasche, ich, Herr und Lehrer, dann seid ihr verpflichtet, einander die Füsse zu waschen. Es scheint mir, dass es leichter ist, den andern die Füsse zu waschen, als sich selbst die Füsse waschen zu lassen.