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Das Wichtigste verpasst   

Katharina Schmocker Steiner zum Evangelium am 2. Fastensonntag, Lk 9,28-36 SKZ 6-7/2010

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Der Textabschnitt Lk 9,28-36 ist gespickt mit symbolträchtigen Begriffen. Zum einen ist da die Zahlensymbolik: Jesus steigt acht Tage nach seinen Reden auf den Berg, wie er am achten Tag nach der Geburt beschnitten wurde (Lk 2,21). Acht steht als Symbolzahl für den Bundesschluss mit Gott. Der achte Tag ist zugleich der erste Tag nach der Vollendung der Schöpfung, ein neues Kapitel im Heilsplan Gottes, ein neuer Anfang nach jeder durch die Sabbatruhe abgerundeten Woche. Ausnahmsweise gibt uns der Verfasser des Lukasevangeliums einen Fingerzeig, dass es ihm hier primär um die Symbolik geht und sie sich nicht unbedingt mit der Historie deckt, was ihm sonst ein offensichtliches Anliegen ist. Im griechischen Text heisst es, anders als in der Einheitsübersetzung, «ungefähr (hosei) acht Tage nach diesen Reden» (9,28).
Weiter nimmt Jesus drei seiner Gefolgsleute mit sich. Welche drei ist für die spätere Kirche von Bedeutung. Zunächst steht die Drei seit alters her für das Abgerundete, die Vollkommenheit. Durch die Dreizahl ist auch gewährleistet, dass jeweils zwei – die Mindestzahl an Zeugen – die Aussagen des je Dritten bezeugen können. Im engeren Kontext stehen die drei «Menschenmänner» den drei «Gottesmännern» gegenüber.
Neben der Zahlensymbolik spricht der Ort des Geschehens für sich. Der Verfasser hätte es sich nahezu sparen können zu erwähnen, dass Jesus beten wollte. Der Berg ist per se Ort für das Gebet bzw. das in Kontakt treten mit Gott, die Gottesbegegnung. Auch Mose erhielt seine Weisungen auf dem Berg (Sinai) (Ex 24,12-31,18; 32,7) und Elija erkannte auf dem Berg (Horeb) nach Sturm und Erdbeben Gott im leichten Säuseln des Windes (1 Kön 19,11-13). Schon vor ihnen aber wurde Abraham von Gott angewiesen und abgehalten, Isaak auf dem Berg zu opfern, und zum Segen für alle Völker der Erde bestimmt (Gen 22,2-18).
Für die Gegenwart des Göttlichen sprechen auch Glanz und Herrlichkeit, die Jesus erfassen und von welchen Mose und Elija umgeben sind.
Natürlich sind letztere selbst symbolträchtig, ist doch Mose die personifizierte Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft. Elija seinerseits steht für die Hoffnung, dass die (siebentausend) Israeliten, die Gott die Treue halten gerettet werden (1 Kön 19,18) und ist daher eng verbunden mit der Erwartung des Messias.
Wolke, die Stimme, die «geschieht», Angst und Verwirrung der «Zuschauer» wirken schon fast wie obligate Requisiten für die Legitimierung und Autorisierung des Empfängers des göttlichen Auftrages.

Mit Lukas im Gespräch

Der Text, der das Geschehen rein schon durch die symbolträchtige Erzählung als wichtiges Ereignis charakterisiert, wirft gerade auf diesem Hintergrund Fragen auf. Wozu nimmt Jesus drei Zeugen mit, wenn diese im entscheidenden Moment schlafen (9,32) und auch noch verschweigen, was sie wahrgenommen haben (9,36)? Was soll das Angebot des Petrus, drei Hütten bzw. Zelte zu errichten, in dem Moment, da sich Moses und Elija bereits von Jesus trennen (9,33)? – Mit dieser Frage stehen wir offenbar nicht allein da. Immerhin sieht sich der Verfasser des Evangeliums genötigt zu ergänzen: «Er wusste nicht, was er sagte.» (9,33b) – Und weshalb bedarf es der erneuten Deklaration «dies ist mein auserwählter Sohn» ausgerechnet gegenüber drei der getreusten Anhänger Jesu, wo dies doch schon zu Anfang seines Wirkens dem ganzen Volk kundgetan wurde (Lk 3,21f)?
Am verblüffendsten jedoch ist, dass der zentrale Bezug des Geschicks Jesu zur (Heils-) Geschichte Israels in einem Nebensatz verpackt unter all den symbolischen Verknüpfungen offensichtlich untergeht, sodass er nur noch denen zugänglich ist, die im griechischen Text nachlesen. Selbst die anwesenden Zeugen, die ausdrücklich aufgefordert werden, (auf ihn) zu hören (9,35), sehen nur das strahlende Licht und die zwei Männer bei Jesus (9,32), haben aber offensichtlich nicht verstanden, was diese sprachen. So genügt es, am Schluss zu konstatieren, dass sie über das schwiegen, «was sie gesehen hatten» (9,36). Dass für den Verfasser die sichtbaren und erlebbaren Ereignisse jedoch im Dienst des Wortes stehen, um es verständlich zu machen und zu bekräftigen, zeigt schon die Einleitung des Evangeliums, das als Ergänzung zu den «Überlieferungen der ersten Augenzeugen und Diener des Wortes» zu sehen ist und dazu dienen soll, «die Zuverlässigkeit der Lehre» überprüfen zu können (Lk 1,1-4). Dem entspricht auch die unmittelbare Rahmung: Die «Verklärung Jesu» ereignet sich etwa acht Tage – die nicht weiter beschrieben werden – «nach diesen Reden» (9,28) und endet mit der Aufforderung «auf ihn sollt ihr hören» (9,35). Nach der – wiederwillig – vollzogenen Heilung eines besessenen Knaben, «als sie am folgenden Tag den Berg hinabstiegen» (9,37-43), reagiert Jesus auf das Staunen der Leute über «das, was Jesus tat» mit dem Wort an seine JüngerInnen: «Achtet auf diese Worte …» (9,43f), die sie allerdings nicht verstehen (9,45).
Bei gründlicher Lektüre erweist sich das Wort auch in der behandelten Textstelle als Angelpunkt des Geschehens. Gemäss den deutschen Übersetzungen sprachen Moses und Elija mit Jesus von seinem Ende, das sich in Jerusalem erfüllen sollte (9,31). Der Verfasser verwendet allerdings den selten belegten griechischen Begriff exhodos, der nur im übertragenen Sinn für Tod oder Schicksal steht, im biblischen Kontext lediglich hier und 2 Petr 1,15. Die übrigen Bibelstellen (Hebr 11,22; Ps 104,38; 113,1) verwenden exhodos im wörtlichen Sinn Auszug und zwar einhellig für den Auszug Israels aus Ägypten, den Exodus eben. Nur die auf Jesus fokussierte Deutung kann erklären, warum an dieser Stelle der übertragenen Bedeutung der Vorzug gegeben wird. Nehmen wir hingegen die Begegnung Jesu mit Moses und Elija als Zeichen seiner Verwurzelung im Volk Israel ernst und lesen wir den Genitiv (autu) nicht beiordnend als seinen sondern als Genitivus auctoris, so erfahren wir in Vers 31: «Sie erschienen in strahlendem Licht und sprachen vom Auszug [aus Ägypten], der durch ihn in Jerusalem zur Vollendung gebracht werden sollte.» Damit lässt sich auch erklären, warum gerade Moses und Elija hier auftreten, nicht zum Beispiel Abraham und irgendein anderer der Propheten. Die äusserlichen gemeinsamen Symbole wie Berg, Wolke/Nebel, Stimme stellen nur vordergründig eine Kohärenz her. Die zentrale Verbindung ist das Ereignis des von Mose angeführten Exodus, das im Paschamahl erinnert wird, bei dem auch ein Becher Wein für Elija bereitsteht und das am Ende der Gemeinsamkeit Jesu mit seiner Gefolgschaft steht, bevor er – in ihren Augen – durch Tod und Auferstehung den Heilsplan Gottes vollendet. – Nebenbei bemerkt wird damit die Vollkommenheit eingelöst, die zu Beginn mit der (doppelten) Dreizahl eingeleitet wird.

Dr. Katharina Schmocker Steiner, Zürcher Lehrhaus – Judentum Christentum Islam