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Prüfungen   

Ursula Rudnick zum Evangelium am 1. Fastensonntag, Lk 4,1-3 SKZ 6-7/2010

in: SKZ 6-7/2010

Das Sonntagsevangelium beschreibt drei Prüfungen Jesu. Sie erfolgen im Lukasevangelium unmittelbar nach seiner Taufe, der Zusage der Gotteskindschaft. Der Geist Gottes führt Jesus 40 Tage in die Wüste. Dort fastet er und wird geprüft.

«Was die Schriften sagen…»

Die Prüfung eines gottesfürchtigen Menschen hat eine Reihe von Vorbildern in der Hebräischen Bibel. Zu ihnen zählen einzelne Männer wie Adam (Gen 2), Abraham (Gen. 22) und Hiob (1,6), aber auch des Volkes Israel als Ganzes (Ex. 15,25, 16,4, Dtn. 8.2, 16).
Werden Abraham und das Volk Israel von Gott geprüft, so übernimmt diese Aufgabe bei Hiob der Satan – mit Gottes Einwilligung. Bei der Prüfung Jesu ist der Teufel der alleinige Versucher Jesu.
Drei Mal versucht der Teufel Jesus: beim ersten Mal fordert er ihn auf, Steine in Brot zu verwandeln, damit Jesu seine Gottessohnschaft beweise. Beim zweiten Mal verlangt er von Jesus ihn anzubeten und stellt ihm Macht über alle Reiche der Erde in Aussicht. Beim dritten bringt er ihn aus der Wüste nach Jerusalem zum Tempel und fordert Jesus auf, sich von der Zinne des Tempels zu stürzen, da Gott ihn bewahren werde.
In der Auslegung dieser Geschichte lassen sich eine Reihe unterschiedlicher Zugänge finden:
Die psychologische Auslegung sieht hier den Menschen Jesus, der der Versuchungen des Materialismus, des Götzendienstes und der Machtausübung widersteht. Jesus ist in dieser Lesart ein paradigmatischer Mensch, der exemplarisch grundlegenden Versuchungen widersteht, mit denen Menschen konfrontiert sind.
Die christologische Auslegung sieht in diesem Text als eine Absage an ein Verständnis als Jesus als Magier oder Wundermann: Jesus lehnt Schauwunder ab.
Eine andere Auslegungstradition, die ich die antithetische nenne, kontrastiert Jesu Verhalten mit dem des Volkes Israel in der Wüste. Das aus der Knechtschaft befreite Volk murrte in der Wüste. Moses erinnert in seiner Abschiedsrede im Deuteronomium hieran: «Du sollst an den ganzen Weg denken, den der Herr, dein Gott, dich während dieser vierzig Jahre in der Wüste geführt hat, um dich gefügig zu machen und dich zu prüfen. Er wollte erkennen, wie du dich entscheiden würdest, ob du auf seine Gebote achtest oder nicht.» (Dtn. 8,2) Diese Auslegung stellt das Versagen des Volkes Israel dem Bestehen der Prüfungen durch Jesus gegenüber. Die antijüdische Auslegung sieht dieses konkrete Scheitern des Volkes in der Wüste als exemplarisch in seiner Unfähigkeit den Willen Gottes zu erfüllen. Aus dem Versagen in einer konkreten Situation wurde eine verallgemeinernde Zuschreibung. Das Versagen des jüdischen Volkes in der Prüfung wurde theologisch benutzt, um die Substitution, der Ersetzung des Volkes Israel durch die Kirche, zu begründen. Zu Recht charakterisierte Jules Isaac solche Auslegungen als «Lehre der Verachtung.»
Nicht bedacht wird bei dieser Auslegung die Treue Gottes zu seinem Volk, die in beiden Teilen der Bibel betont wird, so z.B. auch im Römerbrief: «Gott hat sein Volk nicht verstossen, das er einst erwählt hat.» (Röm. 11.2) Treue und Liebe Gottes sind unabhängig vom Scheitern. Wüssten wir Christinnen und Christen nicht um dies, wie sollten wir da auf Gott vertrauen können?
Seit einigen Jahrzehnten gibt es in der Exegese, der Dogmatik und auch der Religionsdidaktik intensive Bemühungen um ein nicht-antijüdisches Verständnis des Neuen Testaments und auch ein Bemühen, Jesus als Juden wahrzunehmen. Hierzu eignet sich das Sonntagsevangelium auf gerade zu exemplarische Weise. Jesus erweist sich als ein treuer Sohn Israels, in dem er aus der Tora zitiert. Nicht mit Worten aus eigener Vollmacht, sondern mit Worten der Tora weist Jesus die Anliegen des Teufels zurück.
Auf die Aufforderung hin, Steine in Brot zu verwandeln zitiert Jesus aus dem Deuteronomium. Moses rekapituliert und deutet die Wüstenwanderung, den Hunger und die Speisung mit Manna: «Er [Gott] wollte dich erkennen lassen, dass der Mensch nicht nur vom Brot lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was der Mund des Herrn spricht.» (Dtn. 8.3) In der Konfrontation mit dem Teufel bestätigt Jesus diese Einsicht. Bestätigung der Tradition, nicht Widerspruch zu ihr, ist der Kern von Jesu Aussage.
Auch auf die zweite Aufforderung des Teufels ihn anzubeten, antwortet Jesus mit einem Verweis auf die Schrift: «Vor dem Herren, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.» Dieses Zitat findet sich auch im Deuteronomium (6.13) und ist sinngemäss in verneinender Weise in den zehn Geboten enthalten. (Dtn. 5.9) Auch hier greift Jesus in bestätigender Weise die Worte des Moses auf und weist mit ihnen die Ansprüche des Teufels zurück. Gott zu dienen, nicht Macht zu haben und zu herrschen ist das Ziel – auch für Jesus.
Lukas hat eine andere Reihenfolge der Prüfungen als Matthäus und Markus. Bei ihm steht die Aufforderung des Teufels an Jesus, sich von der Zinne des Tempels zu stürzen an letzter Stelle. Warum? Der Tempel hat in der jüdischen Tradition – und auch bei Lukas – eine besondere Bedeutung: Er ist der Ort der Gegenwart Gottes. Die Konfrontation zwischen Jesu Dienst für Gott und einem möglichen Dienst für den Teufel erfährt eine Zuspitzung.
Auf Jesu Schriftgelehrtheit reagierend, begründet der Teufel seine letzte Prüfung selber mit einem Psalmwort. Jesus lässt sich jedoch auch nicht von dem Psalmen zitierenden Teufel irritieren: er weist das Anliegen zurück und antwortet: «Du sollst den Herrn deinen Gott nicht auf die Probe stellen.», auch dies ein Zitat aus dem Deuteronomium – dort heisst es weiter, «wie ihr ihn bei Massa auf die Probe gestellt habt.» (5. Mos. 6.13) Das Stichwort «Massa» spielt an auf Israels Aufenthalt in der Wüste an und verweist auf eine Episode, die in Exodus (Ex. 17.7) geschildert ist. Das Volk hatte kein Wasser zum Trinken und befürchtete zu sterben. In dieser Situation hatten sie die Frage gestellt: «Ist der Herr unter uns oder nicht?» (Ex. 17.7) Dieser Zweifel wird von Moses als «hadern» und auch «Versuchung» von Gott bezeichnet und negativ bewertet. Im Kern geht es um die Frage des Vertrauens auf die Gegenwart Gottes. Sie ist – so die implizite Aussage von Moses und deren Bestätigung durch Jesus – gegeben und braucht und soll nicht bezweifelt werden.

Im Gespräch mit Lukas

Jesus wird im Sonntagsevangelium als ein exemplarisch jüdischer Frommer gezeichnet: Er kennt sich aus in der Schrift. In Übereinstimmung mit Moses greift er zentrale Aspekte der biblischen Botschaft auf und – lebt sie. Er verkündet sie nicht nur im Lehrhaus, sondern er lebt sie in der Konfrontation mit dem Teufel.
Der Exeget B. Gerhardson verweist auf das Höre Israel (5. Mos. 6.5f), das zentrale Gebet und Bekenntnis des Judentums. Nach Gerhardsons poetischer Auslegung zeigt Jesus seine Liebe zu Gott aus «ganzem Herzen» (Brote), mit seinem «ganzen Leben» (Tempelzinne) und «all seiner Kraft» (dem Widerstehen der Herrschaftsausübung). Jesus zeigt auf exemplarische Weise, was es heisst, Gott mit «ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deiner Kraft» zu lieben.
Es gibt Situationen, die wir als Prüfung, sei es durch Gott oder den Teufel, erleben. Wir können gewiss sein, dass selbst wenn wir scheitern, uns Gottes Treue und Erbarmen – so wie sein Volk Israel – nicht loslassen werden.

Ursula Rudnick