Wir beraten

Gottes Herrlichkeit auf Erden erkennen   

Ursula Rudnick zum Evangelium am 2. Sonntag im Jahreskreis, Joh 2,1-11

in. SKZ 1/2010

Johannes entfaltet vor unseren Augen eine andere Welt als Matthäus, Markus und Lukas. Sie ist geprägt durch eine bildreiche Theologie, in der theologische Gedanken und Bilder untrennbar miteinander verzahnt sind. Ein zentraler Aspekt der Botschaft des Johannes wird bereits am Anfang des Evangeliums formuliert: Gottes Herrlichkeit ist in dem jüdischen Menschen Jesus Christus auf Erden erschienen.

Was in den Schriften geschrieben steht

Zu den ersten Aktivitäten Jesu – nach der Überlieferung des Johannes – gehören das Sammeln von Jüngern und ein erstes Zeichen, das Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana. Zeichen spielen im Johannesevangelium eine besondere Rolle; insgesamt gibt es sieben. Zu ihnen zählen mehrere Heilungen, der wunderbare Fischzug und die Speisung der 5000, sowie die Auferweckung des Lazarus. Der Evangelist erklärt die Bedeutung des Zeichens: «Dies tat Jesus als Anfang seiner Zeichen im galiläischen Kana und offenbarte seine Herrlichkeit und seine Schüler glaubten an ihn»
Das Wunder ereignet sich am dritten Tag. Dies kann sich auf den dritten Tag der Woche beziehen, dann wäre es – nach der jüdischen Zählung – ein Dienstag. Oder die Zeitabgabe wird vor dem Hintergrund der Auferweckung «am dritten» Tag gelesen. Dann ist nicht die Zeitangabe von Bedeutung, sondern das Aufscheinen der ganzen Geschichte Jesu Christi.
Jesus, seine Jünger und auch seine Mutter sind Hochzeitsgäste. Es ist die Mutter Jesu, die ihren Sohn darauf hinweist, dass der Wein ausgegangen sei. Eine unangenehme Situation für die Hausherren, ist es doch ihre Aufgabe für Freude zu sorgen: «Und Wein erfreut des Menschen Herz.» (Ps. 104.15). Jesus zögert: «Noch ist meine Stunde nicht gekommen.» Dieser Satz kann als Hinweis auf Jesu Kreuzigung und seine Heimkehr zu Gott verstanden werden. Die Mutter Jesu geht auf diesen Satz nicht ein: Sie ist überzeugt davon, dass er das richtige tun wird, und weist die Bediensteten an: «Was immer er euch sagt, tut.» Jesus übernimmt die Rolle des Hausherren und entspricht dem Wunsch seiner Mutter. Er erteilt den Auftrag an, Krüge mit Wasser zu füllen. Der Evangelist erwähnt, dass diese Krüge zur rituellen Reinigung bestimmt seien. Ausleger früherer Zeiten nahmen dies zum Anlass der Diffamierung jüdischer ritueller Praxis und postulierten die Überbietung des Judentums durch das Christentum. Die Flüssigkeit aus den Krügen wird dem Speisemeister zum Kosten vorgelegt: es ist guter Wein, von besserer Qualität als der zuvor ausgeschenkte.
Das Wunder ist ein Zeichen, es ist nicht eindeutig, sondern verweist auf etwas anderes: Gottes Herrlichkeit, die sich in Jesus Christus zeigt.
Der Begriff «Herrlichkeit» auf Hebräisch Kawod, auf Griechisch Doxa, ist ein Terminus, der in der Hebräischen Bibel eine wichtige Rolle spielt. Die deutsche Übersetzung «Herrlichkeit» erfasst ihn nur teilweise. In seiner Grundbedeutung meint kawod «schwer», «gewichtig sein» und kann eine negative, wie eine positive Bedeutung haben. So sind Lasten in ihrer konkreten, wie auch übertragenen Bedeutung schwer: das Joch der Arbeit, die Steuerlast (1. Kg. 12.4.11) oder auch die Last der Sünden (Ps. 38.5) und auch der Ärger mit den Toren (Spr. 27.3). In seiner positiven Bedeutung meint das Wort «reich», «angesehen sein.» In den 10 Geboten, lautet die Aufforderung, den Eltern kawod zukommen zu lassen, was zumeist als «ehren» übersetzt wird. Das Substantiv Kawod hat anders als das Adjektiv nur positive Konnotationen. Es wird gleichermassen zur Charakterisierung von Menschen und Gott benutzt. Wird von einem Menschen gesagt, er oder sie habe Kawod, so meint das Reichtum, Ansehen und Ehre. Die Bedeutung des Menschen zeigt sich im Ansehen, in der Ehre, die zugleich ein Spiegel der Bedeutung der Person ist. Einem Menschen – oder auch Gott – Kawod zukommen zu lassen, heisst ihm oder ihr das entsprechende Gewicht, die angemessene Bedeutung zu geben.
In Ex. 33. 18-23 verlangt Moses von Gott: «Lass mich doch Deine kawod sehen.» Gott antwortet: «Du kannst mein Angesicht nicht sehen und am Leben bleiben… Wenn meine Kawod vorüberzieht, stelle ich dich in den Felsspalt und halte meine Hand über dich, bis ich vorüber bin.» Dieser Stelle wird oft zitiert, um die radikale Transzendenz Gottes in der Hebräischen Bibel zu belegen. Im selben Kapitel des Buches Exodus wird jedoch auch eine ganz andere Form der Begegnung von Moses und Gott geschildert. Sie sprechen miteinander «Auge in Auge, wie Menschen miteinander reden.» (Ex. 33.11) Gottes Kawod kann – muss aber nicht immer – für den Menschen bedrohlich sein. Sie zeigt sich auf vielfältige Weise: in der Natur (Ps. 29), in den Taten zur Befreiung und Rettung seines Volkes Israel (Jes. 40.5) und beim Bundesschluss zwischen Gott und Israel auf dem Sinai: «… und die Herrlichkeit des Herrn liess sich nieder auf dem Berg Sinai … Und die Herrlichkeit des Herrn war anzusehen, wie ein verzehrendes Feuer auf dem Gipfel des Berges vor den Israeliten. (Ex. 24.16-17). Gottes Gegenwart kann erfahren werden: in der Stiftshütte, und später im Tempel. (Ex. 40.35). Die Zerstörung des Tempels wurde deshalb als eine so grosse Katastrophe empfunden, weil damit der Ort, an dem Gottes Gegenwart erfahren werden konnte, verloren gegangen war.
Die Kawod Gottes wird nicht allein von seinem Volk erkannt, sondern auch die Völker erkennen sie bzw. werden sie sehen. So z.B. in Psalm 97.6. «Seine Herrlichkeit schauen alle Völker.» Für den Evangelisten Johannes ist klar: die Herrlichkeit Gottes zeigt sich in Jesus Christus. Das spricht er im Prolog (Joh. 1. 14) des Evangeliums aus; hierfür steht das Weinwunder. Mit diesem Zeichen erweist Jesus seine Herrlichkeit.

Im Gespräch mit Johannes

Für Christinnen und Christen ist Gottes Herrlichkeit in Jesus Christus ansichtig geworden. Dies wird jedes Jahr in der Weihnachtszeit vergegenwärtigt. Manchmal erfolgt eine Verengung der Wahrnehmung von Gottes Herrlichkeit: sie wird dann ausschliesslich in Jesus Christus gesehen. Die Lektüre der Hebräischen Bibel weitet den Blick für die verschiedenen Erscheinungen von Gottes Herrlichkeit, von Gottes Kawod. Sie lädt ein, nach Spuren und Zeichen von Gottes Herrlichkeit nicht nur in der Geschichte, sondern auch in der Gegenwart zu suchen.
Johannes beschreibt auch die Reaktion der Jünger: sie glauben Jesus. Der Glaube – ganz im Sinn der biblischen Tradition – zeigt sich nicht in der Zustimmung oder Ablehnung bestimmter Aussagesätze, sondern in der Nachfolge, die sich im Tun erweist. «Wer an mich glaubt, der wird die Werke, die ich tue, auch tun. (Joh. 14.12) und: «Wer meine Gebote empfangen hat und sie hält, der ist`s, der mich liebt.» (Joh. 14.21)
Und damit nimmt Johannes einem wichtigen Aspekt der Tora auf: Gottes Wille ist zu tun. Dieser biblische Grundsatz wird im rabbinischen Judentum entfaltet und spielt bis in die Gegenwart im Judentum eine zentrale Rolle. Das Erfüllen von Geboten heisst Gott auf Erden eine Wohnung zu verschaffen.

Prof. Dr. Ursula Rudnick