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MC God oder Gott als Rapper*   

Peter Zürn zur Lesung am 7. Sonntag im Jahreskreis SKZ 7-8/2009

Alttestamentliche Lesung: Jes 43,18–26
Evangelium: Mk 2,1–12

Die Rap-Musik entstand Ende der 60er Jahre in den afroamerikanischen Grossstadtghettos und war Ausdruck des Kampfes schwarzer Jugendlicher um ihre Identität und ihre Rechte. Rap geht zurück auf Strassengangs, die sich mit kreativen und provozierenden Sprüchen, zu denen auch gezielte Beleidigungen gehörten, einen verbalen Schlagabtausch lieferten – statt mit Fäusten oder Waffen zu kämpfen. Discjockeys, die in Diskotheken und Clubs Platten auflegten, übernahmen das und kommentierten die Musik in einem eigenen Stil und Slang – zunehmend in Reimen und zum Rhythmus der Musik. Die besten DJs wurden als MCs bezeichnet, als «Master of Ceremony». Später wurden bei Partys eigene Rapsongs dazu genutzt, um die Menge anzuheizen und um sich selbst möglichst vollmundig vor- und darzustellen.

Wenn man den Lesungstext singen wollte, dann würde sich dafür Rapmusik bestens eignen. Gott tritt als Master of Ceremony auf.

Mit Israel lesen

Leider wird das in der verstümmelten Fassung der Leseordnung nicht deutlich. Im Vers 26 fordert Gott seine Zuhörerinnen und Zuhörer – das Volk Israel, personifiziert als «Jakob» (43,22) – explizit heraus: «Lade mich vor, gehen wir vor Gericht, verteidige dich, damit du recht bekommst», komm schon, wehr dich doch endlich, zeig was du drauf hast! Die Verse 22 bis 24 sind voller Provokationen. Wie in einem Rapsong variieren sie ein Thema und legen von Mal zu Mal – in immer neuen Varianten – nach: «Du hast dir mit mir keine Mühe gemacht / du brachtest mir keine Lämmer als Brandopfer dar … ich habe dich nicht zu Speiseopfern gezwungen … du hast mir für dein Geld kein Gewürzrohr gekauft … mit deinen üblen Taten hast Du mich geplagt». Der Hebräische Text verwendet in diesen zwei Versen siebenmal das Wörtchen «lo»- «nicht» – wie den wiederholten Reim im Rap. Der Text wirkt durch die Häufung der Details ironisch. Hier macht sich jemand lustig über sein Gegenüber. Vor meinen Augen entsteht das Bild von Gott und Israel an einer Strassenecke. Die Israel-Gang ist stumm und steht mit dem Rücken zur Wand. Gott beherrscht die Situation und setzt sich vollmundig und durchaus selbstgefällig in Szene: «Ich, ich bin es, der um meinetwillen deine Vergehen auslöscht» (Vers 25). Er schreckt auch vor gezielten Beleidigungen nicht zurück, wenn er erwähnt, dass die wilden Tiere der Steppe, die Schakale und die Straussen (wörtlich: die Söhne der Straussen) ihn preisen, nicht aber das Volk Israel. Strausse galten im Alten Israel als besonders schnelle, allerdings auch als dumme Tiere (Ijob 39,13–18). Rapper «dissen» einander, machen sich gegenseitig herunter (vom. engl. to diss). Die Erwähnung des Schakals hat dabei einen drohenden Unterton: «Ich mache aus Jerusalem einen Steinhaufen, eine Wohnung der Schakale» heisst es in Jer 9,10. Gott in der Gesellschaft von Schakalen – eine Art «Gangsta-Rap».1

Nimmt die Israel-Gang die Herausforderung an, verteidigt sich das Volk Israel, geht es mit Gott vor Gericht, damit es recht bekommt. Ja. Die Bibel erzählt eine Vielzahl von Geschichten, in denen Menschen mit Gott verhandeln (u. A. Gen 18,16–33), mit ihm ringen und rechten (u. A. Ijob). Die rabbinische Tradition führt das weiter. Am bekanntesten dafür ist die Erzählung von den schiefen Wänden des Lehrhauses aus dem babylonischen Talmud (b. Baba Mezi’a 59b, vgl. SKZ 1–2/2009). Bei einem Streit über die Auslegung der Tora stand die Meinung Rabbi Eliesers gegen die der anderen Rabbiner. R. Elieser rief nach einander einen Baum, das Wasser eines Kanals und die Wände des Lehrhauses zu Hilfe. Der Baum veränderte seinen Standort, das Wasser fl oss rückwärts und die Wände begannen einzustürzen, um R. Elieser zu unterstützen. Aber R. Josua sprach den Wundern die Kompetenz in Fragen der Gesetzesauslegung ab. Die Wände des Lehrhauses blieben daraufhin geneigt stehen, aus Respekt vor beiden rabbinischen Streitparteien. R. Elieser rief schliesslich Gott selbst zu Hilfe, und eine Stimme aus dem Himmel sprach zu seinen Gunsten. Aber R. Josua entgegnete mit einem Zitat aus Dtn 30,12: «Lo baschamajim hu» – «Nicht im Himmel ist sie (die Tora)!» Die Tora wurde am Sinai geoffenbart und damit den Menschen zur Auslegung gegeben. Rabbi Josua stellt sein «lo» selbstbewusst und herausfordernd dem siebenmaligen «Nicht» Gottes in Jes 43 entgegen. Israel – nicht Gott – ist Master of Ceremony der Toraauslegung. Die Geschichte ist damit aber noch nicht zu Ende. Der Talmud erzählt, wie Gott sich nach diesem Wortgefecht zurückzieht und dabei schmunzelnd sagt: «Meine Kinder haben mich besiegt.»

Vollmundig von den eigenen Stärken sprechen, aggressiv aber nicht gewälttätig2 in Auseinandersetzungen gehen – aber auch Grenzen akzeptieren und die eigene Begrenztheit achten – Eigenschaften, die die Texte als göttliche benennen und damit den Ebenbildern Gottes zur Nachahmung empfehlen.

Die Verse Jes 43,22–24 sind durchaus auch eine Auseinandersetzung mit dem Opferdienst im Tempel. Im Exil, nach der Zerstörung des Tempels sind die Opfer unmöglich, aber auch fraglich geworden. Der Tempel war der Ort der Versöhnung zwischen Gott und Mensch, der Ort ihrer geglückten Beziehung. Deuterojesaja verkündet, dass Gott diese Opfer gar nicht fordert. Viel entscheidender für die gelingende Gottesbeziehung sind die Taten der Menschen. Die Rabbinen knüpfen an diese prophetische Opferkritik an. Das Lehrhaus löst den Tempel ab. Die Aneignung der Tora, die Auseinandersetzung mit ihr, das Leben mit und in der Tora rückt ins Zentrum.

Mit der Kirche lesen

In der Geschichte von den schiefen Wänden des Lehrhauses aus dem Talmud kommt ein Haus in Bewegung. Im Evangelium geschieht das Gleiche. Ein Dach wird abgedeckt. Der Blick zum Himmel wird frei. Nichts versperrt die Beziehung zwischen Erde und Himmel und Erde, zwischen den Menschen und Gott. Auch nicht die Sünden, die üblen Taten, das Zurückbleiben hinter den eigenen Möglichkeiten. Es ist bereits vergeben. Das Haus wird zum Tempel. Eine Auseinandersetzung zwischen Toragelehrten entbrennt. Es stünde uns gut an, uns an den geneigten Wänden des Lehrhauses auszurichten, d. h. uns aus Respekt vor der einen Seite zu bewegen, aus Respekt vor der anderen Seite aber nicht einzustürzen. Es gibt hier nicht einfach Richtig und Falsch. Die Schriftgelehrten stellen die richtige Frage: «Wer kann Sünden vergeben ausser dem einen Gott?» Jesus antwortet im Vertrauen auf diesen einen Gott, der sich in Jes 43,25 vollmundig vorgestellt hat: «Ich, ich bin es der um meinetwillen deine Vergehen auslöscht.» Rabbi Jesus legt dieses Wort heute so aus: «Deine Sünden sind dir vergeben.» Er macht sichtbar, was Gott in Jes 43,19 verkündigt. «Seht, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht?» Die Menschen im Lehrhaus, von dem das Dach abgedeckt wurde, merken: «So etwas haben wir noch nie gesehen.»

(mit Dank an Thomas Markus Meier)

* Eine Auslegung von Rita Bahn zu Jes 43,16–21 findet sich in SKZ 175 (2007), Nr. 11, 175.

1 Die ersten Rapper (als old school bezeichnet) stammten aus der Unterschicht und forderten Gerechtigkeit. Sie standen wie der biblische Gott auf der Seite der Armen. Gott ist also old school. Die new school des Rap ist geprägt durch Kommerzialisierung und hat durch ihre Gewaltverherrlichung und Frauenverachtung zu recht ein schlechtes Image.
2 Eine wichtige Unterscheidung vgl. «Aggressivität als Lebenskunst», SKZ 175 (2007), Nr. 6, 86. Positiv verstandene Aggressivität und Konkurrenz statt Gewalt steht ja auch am Anfang der Rapmusik.