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Hochfest der Gottesmutter Maria   

Ursula Rapp zur Lesung SKZ 51-52/2008

Alttestamentliche Lesung: Num 6,22–27
Evangelium: Luk 2,16–21

Segen ist Zuwendung Gottes. Dafür müssen Menschen nichts leisten, der Segen wird erst spürbar, wenn er angenommen wird – (auch) ohne verdient zu sein. Maria war wohl eine, die das erfahren hat.

Mit Israel lesen

Der Text der alttestamentlichen Lesung ist ein Segensspruch, ausnahmsweise sogar ein Segensspruch mit einem Namen: Aaronssegen. Es ist der sehr beliebte Segen, den die Priester, also die Familie Aarons, über Israel sprechen sollen. Jüdische Gottesdienste enden bis heute mit diesem Segen, wobei ihn in orthodoxen Gemeinden nur Priester sprechen dürfen, nicht der Leiter des Gottesdienstes. In jüdischen Reformgemeinden dürfen auch Rabbiner und Rabbinerinnen den Segen sprechen.

In diesem Segen kommt zweimal Gottes Angesicht vor: es solle leuchten über den Menschen und es solle sich über sie erheben. Das «Angesicht» bedeutet auf Hebräisch: panim und kommt von dem Verb panah, das «wenden» oder auch «zuwenden» bedeutet. Gottes Angesicht ist somit Ausdruck von Zuwendung und Zuneigung. Die Segensbitte ruft das Zuwenden Gottes auf die Menschen herab. Der Segen drückt dabei vor allem eine Bitte und Hoffnung der Psalmen, also der Gebete Israels, aus:

Das Leuchten Gottes oder seines Angesichts ist eine im Alten Orient verbreitete Vorstellung. Sie kommt einerseits aus höfischen Kontexten, wo das Leuchten des königlichen Angesichts positive, und den Menschen entgegenkommende Zuwendungen oder einfach die Gerechtigkeit des Königs ausdrückte. Das hängt auch mit der Vorstellung der Sonne als Inbegriff von Gerechtigkeit und als Gottessymbol zusammen: In ihrem Licht sieht man klar und genau das Unrecht (Ps 90,8), dessen Zeit die Dunkelheit und Nacht ist. Auch Gottes Erscheinung wird mit der Sonne verbunden, wie es etwa in Dtn 33,2; Ps 84,12 oder Jes 60,1–3 zu lesen ist. Gottes leuchtendes Angesicht ermöglicht also ein Leben in Gerechtigkeit und göttlicher Zuwendung. Menschen, die sich von Gott gerecht behandelt wissen und Gottes Zuneigung spüren, sind glückliche Menschen, das Gegenteil sind die, die immer Grund zum Jammern und Nörgeln haben, weil sie das Gefühl haben, ständig zu kurz zu kommen.

In den Psalmen kommt häufig noch das «Schauen» des göttlichen Angesichts hinzu (z. B. Ps 29,2; 63,3; 96,6). Im Angesicht Gottes werden Krankheit, Einsamkeit und Todesnähe überwunden. Mit seinem Leuchten stellt es die Dinge in ein anderes Licht. Gott zu schauen drückt ganz intensive, intime Nähe und Geborgenheit aus.

Auch die Formulierung, Gott möge «seinen Namen auf Israel legen» drückt diese innige Nähe Gottes aus. In älteren Texten liegt der göttliche Name auf dem Heiligtum (z. B. Deuteronomium 12,5) als dem Ort besonderer göttlicher Gegenwart.

Dass Gott sich zuwendet und hersieht, ist eine Bitte an Gott. Mehr kann ein betender Mensch nicht tun. Gottes Zuwendung ist nicht an eine ethische, rituelle, karitative oder sonst eine Aufgabe von Menschen gebunden, sondern allein an Gott. Die Gottheit, die ihr Angesicht über Menschen leuchten lässt, ist eine sichtbare und das heisst nahe, spürbare Gottheit, die ihre Zuwendung bedingungslos gibt. Deshalb ist Gott auch in seiner Barmherzigkeit angesprochen: Die Formulierung «er sei dir gnädig» im Segen des Lesungstextes meint dieses barmherzige, diesen liebevollen und verständnisvollen Blick göttlicher Wahrnehmung von menschlichen Lebenswegen und Bemühungen. Diese Barmherzigkeit als göttliche Eigenschaft gehört zu einem der ganz wesentlichen Gottesattribute des Alten Testaments: «Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue:» (Ex 34,6). Vielleicht ist in Num 6,25 auch der Segen mit ausgedrückt, dass Menschen diese Barmherzigkeit spüren mögen. Denn eine der schwierigsten religiösen Haltungen ist für viele Menschen das Annehmen des Schenkens Gottes ohne dafür etwas zu tun, ohne es zu verdienen, ohne göttliche Zuwendung als Belohnung zu verstehen, sondern eben als «Gnade».

Ein wirkungsgeschichtlich wichtiger Text ist Ps 67, der in Vers 2 den Aaronitischen Segen zitiert und betont, dass dieser nicht nur für Israel seine Wirkung habe: denn alle Völker sollen Gottes Wege und deren umfassende Rettungskraft erkennen. Der Segen soll bewirken, dass die Völker dankbar sind (Verse 4 und 6) und in Jubel ausbrechen (Vers 5).

Innerhalb der jüdischen Traditionen wurde der Aaronitische Segen durch alle Zeiten hindurch gebetet. Man verstand Lev 9,22 auch als Hinweis auf diesen priesterlichen Segen. Auch die Beschreibung in Jesus Sirach 50,20 f. erinnert daran. Die rabbinischen Texte besprechen öfter die Frage, wann der Segen gesprochen werden soll und es wird betont, dass er am Versöhnungstag (Jom Kippur) und an Fasttagen viermal gebetet werden soll (Babylomischer Talmud, Traktat Ta’anit 4,1). Allerdings gibt es auch inhaltliche Ausdeutungen und Erweiterungen, die deutlich machen, wie die einzelnen Segenswünsche verstanden wurden.

So findet sich in der Sektenregel der Gemeinde von Qumran am Toten Meer folgender erweiterter Aaronssegen:

«Er segne dich mit allem Guten und Er bewahre dich vor allem Bösen und Er lasse leuchten (erleuchte) dein Herz mit der Einsicht zum Leben und Er begnade dich mit ewiger Erkenntnis und Er erhebe sein huldvolles Angesicht dir zu ewigem Frieden.» (1 QS 2,2–4)

Der Targum Jeruschalmi, eine aramäische, stark auslegende Übersetzung, gibt den Segen folgendermassen wieder:

«Der Herr segne dich in allen deinen Beschäftigungen und bewahre dich vor Nachtdämonen, Schreckdämonen, Mittagsdämonen, Schadegeistern und Kobolden. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir wenn du dich mit der Tora befasst und offenbare dir Geheimnisse und sei dir gnädig. Der Herr erhebe dir sein Angesicht (freundlich) und gebe dir Frieden bei deinem Gebet in all deinen Grenzen.»1

So konnte man offensichtlich den Segen, entsprechend dem, was eine Gemeinde beschäftigte ausdeuten und erweitern, immer darauf hinweisend, wie sich göttliche Zuneigung des Angesichts, Barmherzigkeit und Frieden ausdrücken.

Mit der Kirche lesen

Das Evangelium zum Fest des Dogmas «Maria Gottesmutter» nimmt diesen Segen mit keinem Wort auf. Auch die kirchlichen Begründungen des Dogmas erwähnen den Aaronitischen Segen nicht. Was sagt er dann als Lesung an diesem Fest?

Ein Antwortversuch: Das Dogma «Maria Gottesmutter» besagt, dass sie Jesus, Gottes Sohn, seiner menschlichen und göttlichen Natur nach nicht nur geboren, sondern eben auch als Mutter aufgezogen und begleitet hat. Sie hat Gott also ins Leben begleitet, wie jede Mutter ihr Kind. Das einzige, was Maria in diesem Evangelium tut, ist, dass sie die Botschaft der Hirtinnen und Hirten von Gottes Herrlichkeit und Frieden in ihrem Herzen bewahrte: Gottes Segen liegt auf dieser ungewollten und in so jämmerlichen Verhältnissen geschehenen Geburt. Das heisst sie liess sich als Mutter Jesu davon leiten, dass Gottes Angesicht diesem Kind leuchtet, vielleicht auch, Gott gegenwärtig ist in diesem Kind.

Wieder lernen wir einen geheimen (Schein)Widerspruch kennen, den es politisch und biographisch immer wieder neu zu lernen gilt: Gott wendet sich dort den Menschen zu, wo es gar nicht danach aussieht. Und gerade dort findet Rettung statt. Davon erzählen das Alte und das Neue Testament immer wieder und die Gottesgeburt, so wie sie überliefert ist, sowie Marias Schicksal als Mutter bestärken und besiegeln diese biblische Erfahrung.

1 Beide Texte zitiert nach: Grözinger, Karl: Midraschisch erweiterte Priestersegen, in; Qumran, Frankfurter judaistische Beiträge 2 (1974), 39–52.