Wir beraten

«Und drinnen waltet die tüchtige Hausfrau...»   

André Flury-Schölch zur Lesung am 33. Sonntag im Jahreskreis SKZ 45/2008

Alttestamentliche Lesung: Spr 31,10–13.19–20.30–31
Evangelium: Mt 25,14–30 oder 25,14–15.19–21

Ein dem Titel entsprechendes Frauenbild wird durch die Auswahl der Verse aus Spr 31, welche die Leseordnung vornimmt, suggeriert. Dementsprechend liest man im Schott (1983): «Eine solche Frau ist liebende Gattin, sorgende Hausfrau, ein wirklicher ‹Schatz› …» Doch dieses Frauenbild entspricht in keiner Weise jenem des ganzen Gedichtes Spr 31,10–31. Hier wird vielmehr eine äusserst starke, weise Frau gepriesen, deren aktive, selbständige Rolle sich gerade nicht auf den Haushalt / das Wohnhaus beschränkt. Besonders die von der Leseordnung ausgelassenen Verse zeigen, dass Spr 31 «der Frau» – um mit den Worten des Evangeliumstextes (vgl. Mt 25,14–30) zu reden – überaus viele «Talente » zumisst.

Mit Israel lesen

In Spr 31,1–9 wendet sich die Königin von Massa an ihren königlichen Sohn, in 31,10–31 vermutlich an ihre königliche Tochter.1 Spr 31,10–31 ist ein Akrostichon, das heisst ein «Alphabetgedicht», bei dem die Zeilen mit den 22 Anfangsbuchstaben des hebräischen Alphabets beginnen, von Aleph, Bet bis hin zu Taw (vgl. u. a. Ps 25; 34; 37; Sir 51). Auch von daher bildet dieses Gedicht eine Einheit und sollte nicht zerstückelt werden. Es bildet mit Spr 1–9 den Rahmen des Sprüchebuches. Dabei korrespondieren die Kraft, die Würde und das Verhalten der als real beschriebenen Frauen mit der personifizierten «Frau Weisheit » (bes. Spr 1,20–33; 8), die als Partnerin JHWHs figuriert. 2 Die folgenden Anmerkungen versuchen, einige zentrale Aspekte des beschriebenen Frauenbildes hervorzuheben. Die von der Leseordnung ausgelassenen Verse sind kursiv gedruckt.

Eine mächtige, starke Frau: Luthers Übersetzung in V10 (Aleph) mit «ein tugendsam Weib» (Bibelausgaben von 1545 bis 1912; ab 1984 und in der EÜ: «eine tüchtige Frau») mag häufig im kleinbürgerlichen Sinne als Heimchen am Herd interpretiert worden sein – Luthers Ehefrau Katharina von Bora verkörperte jedoch eine überaus starke Frau, die in vielem an Spr 31 erinnert. Die Grundbedeutung des hebräischen Wortes chajil ist zudem nicht «tugendsam»/«tüchig» o. ä., sondern «Kraft, Stärke, Macht». Wenn chajil in Kombination mit «Mann» gebraucht wird, sind in 17 von 23 Fällen Krieger/Kriegshelden gemeint. Kriegerische Konnotationen hat Spr 31 zwar bezeichnenderweise nicht, doch die darin gepriesene Frau ist im besten Sinne stark und mächtig. Dies wird durch zahlreiche Aussagen unterstrichen: «Sie gürtet ihre Hüften mit Kraft und macht ihre Arme stark» (V17/Chet) erinnert mit dem zweiten Teil des Verses an den herausragenden König David von Ps 89,21 f. Die Aussage: «Kraft und Hoheit sind ihr Gewand» (V25/Ajin) findet sich in ähnlicher Formulierung nur noch im Hinblick auf Gott (Ps 96,6; 104,1).

Die Frau als «Global Player» und Managerin des Sippenverbandes: Die Frau wird in V14 (He) mit einem Handelsschiff verglichen – ebenso wie z. B. in Ez 27 die phönizische Handelsmetropole Tyros. In moderner Diktion kann die Frau aufgrund dessen als Global Player bezeichnet werden. Ihren erfolgreichen weltwirtschaftlichen Handel beschreiben auch V18 (Thet) und V24 (Samech). Das unermüdliche Wirken dieser Frau ist also gerade nicht auf ihr «Wohnhaus» bzw. den «Haushalt» beschränkt. Wenn man jedoch nur V19 («Spinnen» / Hausarbeit) und V20 («Caritas») aus den VV14–29 herauspickt, entsteht leicht ein falscher Eindruck. Dieser kann auch durch die Übersetzung des Hebräischen Wortes bajit mit «Haus» (VV 15.21.27) entstehen: Im Deutschen bezieht sich der Ausdruck «Haus» zumeist auf ein Wohnhaus, doch im Hebräischen meint «Haus» (hebr. bajit; grie. oikos; davon abgeleitet Ökonomie) – besonders in nachexilischer Zeit – sehr häufig den Sippenverband u. Ä., also eine recht grosse soziologische Gruppe. Die beschriebene Frau organisiert und verwaltet diesen Sippenverband in selbständiger Weise.

Mit alledem wird ein verbreitetes Rollenverhalten/-verständnis der Geschlechter umgedreht: Der Mann verdankt gemäss V23 (Nun) sein Sozialprestige seiner Frau. Die Frau ist also nicht über ihren Mann definiert – auf heute übertragen z. B. nicht die «Frau Dr.», weil ihr Mann Arzt ist –, sondern es ist hier gerade umgekehrt: Der Mann ist in der Ratsversammlung im Stadttor geachtet aufgrund seiner Frau (V23), deren Werke «man am Stadttor loben» soll (V31/Taw). Demgemäss wird sie von ihren Söhnen und ihrem Mann «gepriesen» (V28/Qof). Die Frau als weise Lehrerin der Weisung / Torah: Gemäss V26 (Pe) öffnet die Frau «ihren Mund mit Weisheit» – was von der EÜ mit «sie redet klug» wiedergegeben wird –, und sie übermittelt «treue / gütige Lehre / Weisung (Torah)». Das Reden «in Weisheit» verweist zurück auf die personifizierte Weisheit in Spr 1,20; die Übermittlung der «Weisung / Torah» verweist einerseits auf die elterliche Aufgabe in 1,8; 6,20: die «Belehrung des Vaters» und die «Weisung / Torah der Mutter», andererseits gehört die Weitergabe von Weisung / Torah auch zu den priesterlichen Aufgaben, wie etwa Jer 18,18 erkennen lässt: «nicht geht dem Priester die Weisung / Torah verloren noch der Rat dem Weisen, noch das Wort dem Propheten» (vgl. Ez 7,26; 22,26; Zef 3,4; Hag 2,11). Die in Spr 31 gerühmte Frau wird schliesslich in V30 (Schin) als «JHWH-/gottesfürchtig» bezeichnet.

Mit der Kirche lesen

Spr 31 könnte in Verbindung mit Mt 25,14–30 Anlass dafür sein, sich wieder einmal bewusst zu machen, dass Frauen in biblischer Perspektive von Gott nicht weniger oder andere «Talente » für das Wirken im Reich Gottes und in der Kirche erhalten haben, als Männer. 3 Nur stichwortartig kann hier erinnert werden an die prophetische Kraft der heiligen Gottesmutter Maria im Magnificat (Lk 1,46–55); an die Frauen, die Jesus nachfolgten, ihn unterstützten und – im Gegensatz zu den Jüngern – am Kreuz bei ihm ausharrten (Mk 15,40 f. par); an die Frauen am Grab Jesu, die mit Maria Magdalena zu den ersten Zeuginnen der Auferstehung wurden (Mk 16,1–8 par.; Joh 20,1–9); an die von Paulus als Apostelin bezeichnete Junia (Röm 16,7); an die Vorsteherinnen der urchristlichen Hauskirchen (Priska 1 Kor 16,19; Nympha Kol 4,15; Tavia IgnSm 13,2; die Witwe des Epitropus IgnPol 8,2); an Thekla, die – als eine Schülerin des Apostels Paulus – am Ende des 2. Jh. n. Chr. zum Topos einer predigenden, taufenden und lehrenden Christin geworden war; oder an Theodora, die Mutter des Papstes Paschal I. (817–824 n. Chr.), welche in einer Mosaik- und einer Reliquieninschrift in der Zenokapelle der Kirche Santa Prassede in Trastevere als «episcopa»4 bezeichnet wird.

1 Vgl. Irmtraud Fischer: Über die Integration des «kanonisch» gewordenen Dialogs zwischen Gott und Mensch in die Weitergabe menschlicher Weisheit, in: Markus Witte (Hrsg.): Gott und Mensch im Dialog. FS Otto Kaiser (BZAW 345,2). Berlin 2004, 787–803, hier 800–802.
2 Vgl. etwa Marie-Theres Wacker: Von Göttinnen, Müttern und dem einzigen Gott. Zum Stand feministisch- exegetischen Diskussion um die Göttin/ nen im Alten Israel, in: Andreas Hölscher / Rainer Kampling (Hrsg.): Die Tochter Gottes ist Weisheit. Bibelaus legungen von Frauen (Theologische Frauenforschung in Europa 10), Münster 2003, 7–33; Irmtraud Fischer: Gotteslehrerinnen. Weise Frauen und Frau Weisheit im Alten Testament. Stuttgart 2006.
3 Vgl. u. a. Ute E. Eisen: Amtsträgerinnen im frühen Christentum. Epigraphische und literarische Stu dien (Forschung zur Kirchen- und Dogmengeschichte 61). Göttingen 1996.
4 Vgl. ebd., 195–202.