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Politische Theologie!   

Dieter Bauer zur Lesung am 29. Sonntag im Jahreskreis SKZ 40-41/2008

Alttestamentliche Lesung: Jes 45,1.4–6
Evangelium: Mt 22,15–21

Am 5. August dieses Jahres ist der Münsteraner Fundamentaltheologe Johann Baptist Metz 80 Jahre alt geworden. Seine «Neue politische Theologie» hat im Laufe der Jahre eine gros se Zahl von Theologinnen und Theologen geprägt. Dadurch, dass er in seine Theologie stets die konkrete geschichtliche und gesellschaftliche Situation einbezieht, hatte er auch auf die Theologie der Befreiung nicht unerheblichen Einfluss. Und auch wenn wir heute nicht mehr wie vor 30 oder 40 Jahren in einer Welt leben, die in vermeintlich klar benennbare Blöcke aufgeteilt ist, hat seine Theologie nichts von ihrer Aktualität verloren. Trotzdem hat man manchmal das Gefühl, dass die katholische Theologie gegenwärtig politisch wie auch spirituell gewisse Ermüdungserscheinungen zeigt und im Konzert der politischen Meinungen kaum mehr ernst genommen wird.

Mit Israel lesen

Die Entschiedenheit, mit der die Bibel und speziell die Propheten politisch Farbe bekennen, spricht dagegen eine ganz andere Sprache. So hat der uns namentlich nicht bekannte Exilsprophet, den wir «Deuterojesaja» nennen, weil sich seine Schriften im zweiten Hauptteil des Jesajabuches finden (Jes 40–55), keine Hemmungen gehabt, politisch Farbe zu bekennen. Unter Lebensgefahr hat er in Babylonien den im Anmarsch befindlichen persischen Eroberer als Messias Israels proklamiert:

So spricht der Herr zu Kyrus, seinem Gesalbten (= Messias), den er an der rechten Hand gefasst hat, um ihm die Völker zu unterwerfen, um die Könige zu entwaffnen, um ihm die Türen zu öffnen und kein Tor verschlossen zu halten: Ich selbst gehe vor dir her und ebne die Berge ein. Ich zertrümmere die bronzenen Tore und zerschlage die eisernen Riegel. Ich gebe dir verborgene Schätze und Reichtümer, die im Dunkel versteckt sind. So sollst du erkennen, dass ich der Herr bin, der dich bei deinem Namen ruft, ich, Israels Gott (Jes 45,1–3).

Vor allem in den Versen 2 und 3, welche die Leseordnung wegzulassen vorschlägt, wird der ganze Skandal dieser Aussagen so richtig deutlich: Gott schaff t Heil durch einen «ungläubigen» Eroberer. Ja: Gott selbst vollzieht das Zerstörungswerk und übergibt dem persischen König all die Schätze Babyloniens.

Was der Prophet hier tut, ist ein Ernstnehmen der «Zeichen der Zeit». Ein solches Ernstnehmen darf keine religiösen, ideologischen oder politischen Grenzen kennen. Das geht bis dahin, dass der Prophet bis in den Wortlaut hinein die Sprache persischer Propaganda spricht. Man hat einen Tonzylinder gefunden, auf dem sich Kyrus selbst wie folgt vernehmen liess: «Alle Länder insgesamt musterte er (d. i. der Gott Marduk), er prüfte sie, er suchte einen gerechten Herrscher nach seinem Herzen, er fasste ihn mit seiner Hand (s. o. Jes 45,1): Kyrus, den König von Anschanberief er, zur Herrschaft über das gesamte All sprach er seinen Namen aus . . .» (aus dem sogenannten «Kyruszylinder»1).

Man muss sich das heute einmal vorstellen: Die katholische Kirche schlüge sich in Krisenzeiten auf die Seite eines bestimmten politischen Machthabers, weil dieser ein (relativ) menschenwürdigeres Regime verspricht! So wie sich die südafrikanischen Kirchen einst auf die Seite Nelson Mandelas geschlagen haben. Oder Ernesto Cardenal auf die Seite der Sandinisten in Nicaragua. Und nicht nur das: Dieses Engagement würde auch noch von Gott selbst her gerechtfertigt wie bei Deuterojesaja:

Um meines Knechtes Jakob willen, um Israels, meines Erwählten, willen habe ich dich bei deinem Namen gerufen; ich habe dir einen Ehrennamen gegeben, ohne dass du mich kanntest (Jes 45,4).

Es ist unglaublich, was der Prophet JHWH über Kyrus sagen lässt: Er ist «mein Hirt» (Jes 44,28), er braucht ihn für seinen Plan (46,11), er liebt ihn (48,14). Die Tatsache, dass der neue «Messias» nicht einmal der eigenen Glaubensgemeinschaft angehört, scheint keine Rolle zu spielen. Gott ist für Deuterojesaja grösser als alle Religionen oder Nationalismen dieser Welt. Kyrus braucht den Gott Israels nicht einmal zu kennen. Es genügt, das Richtige (für Israel) zu tun.

Dieser Glaube an den einen Gott JHWH, der souverän die Geschicke der gesamten Welt bestimmt, ist bekanntlich erst in der schlimmen Zeit des babylonischen Exils möglich geworden. Es war eine Zeit, wo die einen ihrem Glauben längst abgeschworen hatten und andere sich ängstlich in frommen Zirkeln zusammentaten und um sich her nur noch «Gottlosigkeit» witterten. In vielem ist diese Zeit mit unserer Gegenwart durchaus vergleichbar. Nur sind die beiden genannten Alternativen genau so falsch wie sie es damals schon waren. Es braucht diese grössere Perspektive, die Deuterojesaja zu geben vermag. Die «Zeichen der Zeit» richtig erkennend vermochte der Exilsprophet in seiner «gottlos» scheinenden Welt den alle Grenzen sprengenden JHWH am Werk zu sehen:

Ich bin der Herr und sonst niemand; ausser mir gibt es keinen Gott. Ich habe dir den Gürtel angelegt ohne dass du mich kanntest, damit man vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang erkennt, dass es ausser mir keinen Gott gibt. Ich bin der Herr und sonst niemand (Jes 45,5 f.).

In einer eindrücklichen Rahmung wird in diesen beiden Versen der «Alleinvertretungsanspruch » des Gottes Israels unterstrichen. Im Wirken des Persers Kyrus, der damals ein Weltreich schuf, neben dem selbst die heutigen «Supermächte» wie Waisenknaben aussehen, kommt Gottes ganze Macht für alle Menschen sichtbar zum Tragen. Sie ist eben nicht an ein bestimmtes Volk, eine bestimmte Religion oder gar Konfession gebunden. Der folgende Vers, der unbedingt bei der Lesung mit hinzugenommen werden sollte, reisst auch noch die letzten Grenzen nieder: Ich erschaff e das Licht und mache das Dunkel, ich bewirke das Heil und erschaff e das Unheil. Ich bin der Herr, der das alles vollbringt (Jes 45,7).

Der Glaube an den einen Gott lässt keinen Gedanken an irgend andere Mächte und Gewalten zu. Alles, aber auch wirklich alles, kommt von Gott und ist von ihm umfangen! Und auch wenn viele mit dieser biblischen Spitzenaussage ihre Probleme haben, so ist der Glaube an den einen Gott trotzdem nicht ernsthaft lebbar, wenn man nicht auch Dunkel und Unheil aus seinen Händen annimmt.

Mit der Kirche lesen

Wenn im Evangelium des Sonntags eine weitere Weltmacht thematisiert wird, nämlich die römische, so stellen wir auch hier überrascht fest, dass Jesus kein grundsätzliches Problem damit zu haben scheint. Andererseits drückt er sich aber auch nicht um eine klare politische Stellungnahme: «So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!» (Mt 22,21). Das meint aber doch ganz klar, dass in allem einzig die Verwirklichung des Willens Gottes Massstab sein kann. Wie die Perser bei Deuterojesaja, so könnten theoretisch auch die Römer Werkzeug Gottes sein. Es gibt nichts, was sie prinzipiell von dieser Möglichkeit ausschlösse! Da zieht auch Jesus seine Grenzen weiter, als es für viele erträglich war. Und noch heute wäre vielen ein «unpolitischer» Jesus lieber!