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Machtmissbrauch und Schlüsselgewalt   

Ursula Rapp zur Lesung am 21. Sonntag im Jahreskreis SKZ 33-34/2008

Alttestamentliche Lesung: Jes 22,19–23
Evangelium: Mt 16,13–20

Lesung und Evangelium sind sehr heikle Texte. Es geht um politische Macht und um den Glauben bzw. das Vertrauen der Machthaber in Gott, also um Politik und Religion oder Theologie. Ein wichtiges Thema, denn jedem Machthaber und jeder Machthaberin merkt man schnell an, wofür sie oder er Macht einsetzen. Und trotzdem: Politik und Religion gehören getrennt. Wir leben in einer Zeit, wo wir stark spüren, wie wichtig das ist. So kann man bei fast jedem Satz über diese Texte zum 21. Sonntag immer auch dazu sagen, dass auch das Gegenteil stimmt. Heikel.

Mit Israel lesen

Liest man den alttestamentlichen Lesungstext in der Versabgrenzung, wie er vorgegeben ist, stellen sich einige Fragen. Eigentlich ist es schwierig, überhaupt zu verstehen, worum es geht: Man weiss nicht, wer spricht. Es könnte die prophetische Stimme sein, die Gottes machtvolle Worte vom Verjagen aus und Einsetzen in Ämter wiedergibt. Aber wer wird abgesetzt? Und wer ist der «Knecht Eljakim»? Da es um die «Schlüssel» des Hauses David geht, was wir im vorletzten Vers der Perikope endlich erfahren, müssen die beiden hohe Politiker im Königreich Juda gewesen sein. Auch die in Vers 21 erwähnte Schärpe ist ein Gürtel, den hohe königliche Beamte getragen haben und der später auch zu den Ausstattungen des Hohepriesters zählte (vgl. Ex 28,39). Zunächst wird es hier ein wenig sachlichen und historischen Klärungsbedarf geben. Der biblische Text verrät in Vers 15–18, dass sich der Palast vorsteher Schebna ein Grabmal errichten liess, und deutet das zugleich als machtpolitische Vermessenheit. Schebna wurde vom Palast- und Krongutverwalter zum Staatsschreiber (vgl. 2 Kön 18,18) und statt ihm ein Mann namens Eljakim, Sohn Hilkijas, in das Amt des Palastverwalters gesetzt. Der Prophet kündigt diese ministeriellen Verschiebungen an, legt sie in Gottes Macht und deutet sie. Das tut er nicht, weil er tatsächlich die Möglichkeit hatte, in politische Entscheidungen des Königs einzugreifen. Vielmehr gibt die prophetische Stimme eine spätere (nachexilische) theologisch-politische Deutung dessen, was passiert ist: Schebna verwaltete das Krongut in Zeiten, da Juda Tribute an Assur zahlen und sich machtpolitisch stark unterwerfen musste, um nicht zerstört und gänzlich erobert zu werden (vgl. 2 Kön 18–19). Die Unterordnung unter die assyrische Macht ist archäologisch z. B. darin nachvollziehbar, dass die Jerusalemer Königsgräber im Kidrontal ab dieser Zeit nicht mehr weitergebaut wurden. Entweder durften die judäischen Könige/Königinnen ihre Macht nicht demonstrieren oder sie hatten nicht mehr die finanziellen Mittel dazu. Gerade in dieser Situation lässt sich der Palastvorsteher noch ein Grabmal errichten, was also politisch bzw. ökonomisch gefährlich war. Dies ist umso bedeutsamer, als Schebna nicht nur die finanzielle Lage im Blick gehabt haben musste, er war auch einer der Gesprächspartner der assyrischen Königsgesandtschaft (2 Kön 18,18 ff .), die darauf drang, dass sich Juda Assur und seinen Gottheiten unterwerfe. Es geht also einerseits um politische Unterwerfung, andererseits aber auch um die Entscheidung, auf welche Macht man die Hoffnung setzt: Assur oder die Gottheit Israels. Die Verführungstaktik Assurs ist dabei klassisch: Assur verspricht den einzelnen Menschen Judas eigene Brunnen, Feigenbäume und Rebstöcke, also Wohlstand. Das in dieser Situation gefragte Widerstandspotenzial liegt im Vertrauen darauf, dass ein gelungenes Leben nicht einfach an einem von Politikerinnen oder Politikern versprochenen Wohlstand liegt, sondern an Gott. Die Botschaft, die Jesaja wiederholt, ist das Vertrauen auf Gott statt auf politische Bündnisse und Wohlstand. Diese Haltung klingt theologisch so einwandfrei, ist aber gerade auch theologisch gefährlich (vgl. auch Jes 7,9). Denn erstens kann sie zu politischer Gleichgültigkeit und Weltferne verleiten, und zweitens kann sie zu dem Missverständnis führen, den Armen dieser Welt die Botschaft zu verkaufen, sie sollten nicht auf die Politik und deren Versprechen vertrauen, sondern auf Gott. Wie oft wurde so ein Satz missbraucht, um Hungernde und Notleidende mit dem Mittel des Glaubens zum Schweigen zu bringen, statt ihre berechtigten Ansprüche an eine gerechte Politik zu stellen? So verstanden kann diese Theologie des Vertrauens politisch und theologisch missbraucht werden.
Ein Blick auf die jüdische Tradition führt noch weiter. Sie hat die Schlüsselrolle Schebnas in einer Legende von seinem Überlaufen zum assyrischen König weiter ausgefaltet.1 Dort heisst es, Schebna habe eine innerjudäische Opposition angeführt, die gegen Hiskija und Jesaja für die Aufgabe des judäischen Staates war. Schebna sei zum assyrischen König Sanherib übergelaufen, indem er ihm in einem Brief erklärt habe, alle in Jerusalem wollten Frieden schliessen. Als er dann in das Lager des feindlichen Königs übergelaufen sei, hätten ihn nur eine Handvoll Leute begleitet. Der Erzengel Gabriel habe hinter Schebna die Türen Jerusalems verschlossen, und der assyrische König habe Schebna grausam umbringen lassen, als er dessen Betrug merkte. – Die hebräische Bibel kennt Schebna nicht als Überläufer. Seine einzige Missetat ist die vor unserem Lesungstext, wo er als vermessener Politiker daran erinnert wird, nicht das Wohl des Volkes, sondern seinen eigenen Luxus im Blick zu haben. Die jüdische Tradition macht darüber hin aus die prekäre Lage der schwierigen politischen Entscheidung deutlich und erwägt, dass es unter den Ratgebenden des Königs unterschiedliche Meinungen dazu gab. Sie greift dabei das auch im Neuen Testament zitierte Wort vom Versperren aus Vers 22 auf: «Wenn er öffnet, kann niemand schliessen; wenn er schliesst, kann niemand öffnen.» Es deutet die Macht Eljakims an, mit der er entscheidet, wer zum Hause Juda gehört und wer nicht. Wie kommt der Palastvorsteher zu dieser Macht? Ist das nicht schon ein wenig willkürverdächtig? Jes 22,19–23 spielen mit einigen Worten auf wichtige biblische Figuren und Texte an: Es heisst, dass Eljakim ein Vater für das Haus Juda werden soll. Vater «für» ein Volk zu sein oder zu werden wird über Abraham (Gen 17,4.5), Josef, der das Haus des Pharao verwaltet (Gen 45,8) und Gott selbst (2 Sam 7,14; Jer 31,9) ausgesagt. Vor allem bei Josef und Gott besteht das Vatersein in der Verantwortung für das Wohlergehen der Gemeinschaft. Die Formulierung «auf seiner Schulter» findet sich als Bezeichnung von Verantwortungsübernahme noch in Jes 9,5, der Verheissung des davidischen Königs. Auch damit wird Eljakim grosse Bedeutung zugesprochen. Schlussendlich lautet die wörtliche Übersetzung für den «festen Pflock» in Vers 23 «glaubwürdiger», also «sicherer » Ort. Als «glaubwürdig» werden Mose (Num 12,7), und Samuel (1 Sam 2,35) sowie David (1 Sam 22,14; 25,28) bzw. der Bestand seiner Dynastie bezeichnet. Der neue Palastvorsteher wurde also ein Verheissungsträger, der seine Verantwortung sehr ernst nahm – im harschen Gegensatz zu seinem Vorgänger.

Jes 22,19–23 ist also von der alttestamentlichen und der jüdischen Tradition her ein Text, der die Verantwortung der politischen Machthaber theologisch kompromisslos deutet: Wer da für sich selbst arbeitet, wird die Folgen sehr schnell merken. Macht haben Könige und deren Minister für das Wohlergehen des Volkes, und dies hängt stark mit einer theologischen Entscheidung zusammen, auf welche Macht und welche Versprechen Politikerinnen und Politiker letztlich bauen.

Mit der Kirche lesen

Der Evangeliumstext hat das Wort von der Schlüsselgewalt auf Petrus übertragen. Auf ihm wird das Haus der Kirche erbaut und Petrus hat die Schlüssel nicht des königlichen Palastes, sondern des Himmelreiches. Bekanntlich wurde dieser Text eine Basis für das Verständnis päpstlicher Macht. Die Begründung, die Jesus in den Mund gelegt wird: «Nicht Fleisch und Blut haben dir dies offenbart, sondern mein Vater im Himmel», mag noch eine Anspielung sein auf das gerade angesprochene Vertrauen derer, die für das Wohlergehen einer Gemeinschaft Verantwortung tragen. Zweifellos zeigt sich auch hier wieder die Gratwanderung, wenn Macht und Religion verbunden werden: Denn niemand kann der Behauptung einer Offenbarung etwas entgegensetzen.

1 Vgl. Louis Ginzberg: The Legends of the Jews, Vol. III from Joshua to Esther. Philadelphia 1968, 61–64.