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Paulus, der unbekannte Apostel. Ein paar Tipps zum besseren Verstehen   

Dieter Bauer, Kirche heute 27-29, 29.7.2008

Wenn am 29. Juni dieses Jahres durch Rom ein «Paulusjahr» ausgerufen wird, ist das ein guter Anlass, diesen Apostel neu in den Blick zu nehmen. Vielleicht können so ja auch manche Vorurteile ausgeräumt werden.

Paulus – schwer verständlich?
Wohl die meisten von uns kennen das: Im Gottesdienst wird aus einem Brief des Apostels Paulus vorgelesen. Wir bemühen uns, diesen Überlegungen zu folgen, aber bereits am ersten oder zweiten Satz bleiben wir gedanklich hängen und können dem weiteren Verlauf der Lesung nicht mehr folgen. Zu kompliziert scheint uns der Gedankenaufbau, und am Ende haben wir (fast) gar nichts verstanden.
Natürlich ist es immer problematisch, wenn aus einem Brief einfach ein Ausschnitt aus dem Zusammenhang gerissen wird. Dagegen hilft eigentlich nur, den ganzen Brief einmal im Neuen Testament selber nachzulesen. Und ein Tipp: Beginnen Sie mit dem Brief an Philemon. Er ist kurz, sehr persönlich und absolut verständlich.

Paulus – ein Frauenfeind?
Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass der Apostel Paulus frauenfeindlich gewesen sei. Als Beleg werden dann Stellen aus seinen Briefen genannt, wie die folgende: «die Frauen (sollen) in der Versammlung schweigen; es ist ihnen nicht gestattet zu reden. Sie sollen sich unterordnen» (1 Kor 14,34).
Bereits die katholische Einheitsübersetzung weist in einer Fussnote darauf hin, dass diese Sätze in Widerspruch stehen zu anderen Aussagen des Paulus im selben Brief (und deshalb womöglich erst später in den Korintherbrief eingefügt wurden). Dass Paulus nicht der «Frauenfeind» sein kann, als den ihn manche sehen wollen, dafür spricht vor allem die Tatsache, mit wie vielen Frauen er zusammengearbeitet hat. Vor allem an den Grusslisten seiner Briefe sieht man das, wo Frauen auftauchen wie die Gemeindeleiterin Phoebe aus Korinth (Röm 16,1) oder die Apostolin Junia in Rom (16,7), die (zusammen mit ihrem Mann Andronikus) sogar mit Paulus zusammen ins Gefängnis gegangen war.

Paulus – ein «reformierter» Theologe?
Die Hochschätzung, die Paulus bei den protestantischen Kirchen geniesst, hat ihn manchen Katholiken schon immer «verdächtig» gemacht. Paulus soll angeblich eine «Rechtfertigungslehre» wie aus den protestantischen Lehrbüchern vertreten haben.
Das ist natürlich mehr als einseitig. Wer z. B. im 1. Korintherbrief nachliest, wie Paulus unhaltbare Zustände bei der Feier des Herrenmahls anprangert (1 Kor 11,17-34), merkt, dass seine Theologie sehr praktisch orientiert von den Christinnen und Christen soziales Engagement fordert: Man kann nicht miteinander Mahl halten und dabei die Ärmsten der Armen ausblenden. Für Paulus ist das eine Versündigung am «Leib Christi», der nicht aus einem Stück Brot, sondern aus der gesamten Gemeinde besteht (1 Kor 12,12-31a)!

Noch viel zu entdecken!
Das Paulusjahr wäre es also wert, manche lieb gewonnenen Vorurteile einmal auf den Prüfstand zu stellen. Paulus ist für viele immer noch einer der unbekanntesten Apostel!