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«So ungerecht kann Fussball sein!»   

Winfried Bader zur Lesung am 12. Sonntag im Jahreskreis SKZ 24/2008

Altrestamentliche Lesung: Jer 20,10–13
Evangelium: Mt 10,26–33

Da spielt eine Mannschaft attraktiven Fussball. Angefeuert durch die heimischen Fans spielt sie engagiert, kommt im Spiel zu guten Chancen und verdient für Überlegenheit im Mittelfeld und die Spieldominanz grosses Lob. Dennoch verliert diese Mannschaft. «So ungerecht kann Fussball sein», lautet das Urteil zum EM-Eröffnungsspiel der schweizerischen Nationalmannschaft.

Ist Fussball insgesamt ein Gleichnis für – auch religiöses – Zusammenleben, Rücksicht, Ausdauer, Teamgeist, Uneigennutz, Fairness, so ist das genannte Spiel ein Beispiel für die Grundfrage, ob gutes Tun auch immer gutes Ergehen zur Folge hat. Und wie geht man damit um, wenn es umgekehrt ist, wenn das gute Spiel nicht mit dem Sieg belohnt wird?

Mit Israel lesen

Jeremia hat dieses Problem. Er bemüht sich, gibt sein Bestes, erhält aber nicht den gewünschten Lohn in Form von Glück und Erfolg. Im Gegenteil: Seine Gegner verspotten ihn und lassen ihn, wie es der Priester Paschhur tut, festnehmen, schlagen und in den Block spannen (Jer 19,14–20,6, das ist die Szene, die unserem Text aus der 5. Konfession unmittelbar vorausgeht). Nicht einmal als wahrer Prophet kann Jeremia sich feiern lassen. Das Unheil gegen Jerusalem, das er verkündigt, wird immer wieder durch kleine Zwischenerfolge, welche die israelitischen Könige Jojakim (605–598) und Zidkija (597–586) gegen den übermächtigen Babylonier Nebukadnezzar (605–562) hatten, widerlegt. Selbst nach der ersten Belagerung von Jerusalem durch die Babylonier 597 wollte niemand den Worten Jeremias trauen und die 10 Jahre später erfolgende Zerstörung der Stadt für Wahr halten. Jeremia kann sich nicht durch die Erfüllungskriterien als der echte Prophet gegenüber den Falschen beweisen.

Dies wirft Jeremia Gott vor: «Betört hast du mich, und ich wurde betört» (Jer 20,7).

Unter Betören ist die Willensbeugung mit Hilfe einer Lüge zu verstehen. Das Wort meint das verlogene Überreden einer Frau, sexuellen Handlungen zuzustimmen. Jeremia fühlt sich mit falschen Argumenten von Gott betört, in seiner jugendlichen Unwissenheit missbraucht. «Wäre es auf mich angekommen, hätte ich mich der Aufgabe entzogen, Gottes Bote zu werden» (R. Kimchi). Jeremia klagt Gott an, dass er ihn zum Lügenpropheten macht, weil sich die göttlichen Weissagungen nicht erfüllen. Das ist die Vorgeschichte zu unserer Lesung.

Das andere, was Jeremia zu ertragen hat, ist der Spott seiner Gegner (Jer 20,9), der sich in Jer 20,10 zu einer «üblen Nachrede» (Einheitsübersetzung: «Flüstern») steigert, um ihn (beim König) anzuzeigen. Jeremia zitiert Ps 31,14: «Denn ich hörte die Nachrede der Vielen, Schrecken ringsumher, wie sie sich zusammen gegen mich verschwören, planen, mein Leben zu nehmen.»

Jeremia wird bedrängt. Zutiefst enttäuscht muss er sein, dass selbst die angeblichen «Vertrauensleute» (Einheitsübersetzung: «nächste Bekannte») ihn stürzen wollen (Jer 20,10b). Vielleicht sind es die Leute aus Anatot, die ihre Drohung wahrmachen: «Die Leute von Anatot, die mir nach dem Leben trachten, sagen: Du darfst nicht als Prophet im Namen des Herrn auftreten, wenn du nicht durch unsere Hand sterben willst» (Jer 11,21). «Gott schütze mich vor meinen Freunden; vor meinen Feinden kann ich mich selbst schützen.» Diese Volksweisheit lernt Jeremia hautnah kennen.

Vor diesen Bekannten muss er sich in Acht nehmen. Sie sind aalglatt, schmeicheln sich ein. Sie kennen ihn gut und erkennen daher seine Blösse viel schneller. Erneut kommt das Wort «betören» im Text vor (Jer 20,10b). Dieses Mal ist es nicht Gott, sondern es sind Jeremias Vertraute, die ihn betören wollen. Sie locken Jeremia, einen falschen Schritt zu tun, vielleicht in einer Weissagung den König zu erwähnen (so Rabbi Jesaja von Trani), um ihn dann durch einen Verstoss gegen die Königsgesetze der Todesstrafe zuzuführen.

Jeremia ist hier am Tiefpunkt. Die Wende kommt, indem er in seinen Gedanken mit Psalm 31 fortfährt. «Ich aber, Herr, ich vertraue dir, ich sage: Du bist mein Gott» ( Ps 31,15 ).

So reisst er sich aus seiner Depression heraus und glaubt daran, dass Gott zu ihm hält und seine Feinde straucheln lässt. So geht auch Psalm 31 weiter: «In deiner Hand liegt mein Geschick; entreiss mich der Hand meiner Feinde und Verfolger! (Ps 31,16).

Jeremia setzt der Rache der Feinde («unsere Rache» in Jer 20,10) die Rache Gottes («deine Rache» in Jer 20,12) gegenüber. Während die Feinde selbst aktiv sind, bleibt Jeremia passiv. Für ihn ist Gott der Handelnde, der Herz und Nieren, d. h. die Gesinnung jedes Menschen prüft. Jeremia stellt ihn seinem Denken den klassischen Tun-Ergehen-Zusammenhang wieder her. Wenn er Gutes tut, dann muss Gott ihm Gutes tun, wenn die Feinde gegen ihn sind, dann muss auch Gott gegen sie sein. Dies bringt er auch so vor Gott. Rabbi Me’ir ben Isaak sieht in «meiner Sache» aus Jer 20,12 den Rechtsstreit, den Jeremia mit Gott hat. Wie geht dieser aber aus? Sind wir mit diesem Vorwurf an Gott nicht wieder zurück am Ausgangspunkt der Überlegungen Jeremias? Bereits in der zweiten Konfession hat Gott dem ein Ende gesetzt, indem er von Jeremia selbst endlich eine Umkehr erwartet. «Wenn du umkehrst, lasse ich dich umkehren, dann darfst du wieder vor mir stehen» (Jer 15,19).

Vielleicht will Jeremia mit seinem abschliessenden Lob auf Gott – «Singt dem Herrn» (Jer 20,13) – diesen Mechanismus durchbrechen.

Mit der Kirche lesen

Das Tagesevangelium knüpft an den Lesungstext nur über Stichwortassoziationen an. Das Thema, das Jeremia aufgreift, ist aber hochaktuell. Wie kann man glaubwürdig ein Reich Gottes als erfülltes Leben vor dem Tod verkünden, wenn es vielen im guten Sinne Frommen und kirchlich Engagierten durch Krankheit oder Schicksal schlecht geht, sie von der Freude des Reich Gottes, für das sie arbeiten, nichts spüren?

Konfessionen des Jeremia

In keinem anderen Prophetenbuch finden sich solch intensive persönliche Abschnitte wie im mit über 22 000 Wörtern längsten Buch der hebräischen Bibel. Es sind fünf in sehr persönlichem Stil gestaltete Textpassagen des Jeremiabuchs, in denen der Prophet sein inneres Ringen mit Gott und sein Leiden an seinem Auftrag bzw. an den damit verbundenen Konsequenzen ausspricht: Jer 11,18–12,6; Jer 15,10–21; Jer 17,12–18; Jer 18,19–23; Jer 20,7–18. In Analogie zu den sehr persönlichen Bekenntnissen des Augustinus nennt man diese Passagen in der Bibelwissenschaft üblicherweise «Konfessionen». Ob diese Texte wirklich auf höchst private Aufzeichnungen des historischen Propheten Jeremia zurückgehen, ist eher fraglich und wenig wichtig. Das Jeremiabuch blickt in Zitaten und Anspielungen auf einen grossen Teil der hebräischen Bibel zurück. Um 400 v. Chr. versucht mit diesem Buch der Schreiber eine theologische Reflexion. In den Konfessionen geht es dabei um das Problem des Tun-Ergehen-Zusammenhangs.