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«Die biblischen Erzählungen sagen selbst wenig über Maria aus»   

Interview mit Dieter Bauer vom katholischen Bibelwerk forumKirche 10/2008

Die Mutter Jesu ist eine interessante Persönlichkeit.
Wenngleich die Bibel relativ wenig über sie aussagt,
haben sich im Lauf der Geschichte höchst unterschiedliche
Bilder von Maria herauskristallisiert.
Rechtzeitig zum Marienmonat Mai hat das Katho -
lische Bibelwerk eine Schrift herausgebracht: «Maria.
Mutter – Prophetin – Himmelskönigin». Ein Gespräch
mit Dieter Bauer, Stellenleiter der Bibelpastoralen
Arbeitsstelle.

Thomas Mühlebach: Warum wurde gerade jetzt Maria
eine ganze Broschüre gewidmet?
Dieter Bauer: Die Broschüre «Maria. Mutter – Prophetin –
Himmelskönigin» ist Teil einer Reihe zu bekannten und
unbekannten Frauen der Bibel. Inzwischen sind schon
zehn andere Broschüren erschienen, und da Maria nicht
gerade die Unbekannteste ist, war es klar, dass eine
Schrift speziell Maria gewidmet wurde.

Ganz kurz: Warum ist
Maria so wichtig?
Nun: Das Christentum
führt sich auf Jesus von
Nazaret zurück, und somit
wird auch Maria,
seine Mutter interessant.

Kann man denn klar
definieren, welche
Bedeutung Maria für
die Christen hat?
Das lässt sich heute
nicht mehr so einfach
ausmachen. Natürlich
hat sie in der katholischen
Kirche traditionell
eine sehr grosse Bedeutung, besonders
im Vergleich zur reformierten
Tradition. Aber auch dort
nimmt in den letzten Jahren ihre
Bedeutung zu.
Maria verschieden dargestellt

Und das führt zu unterschiedlichen
Bildern von Maria?
Ich würde sagen, dass die reformierte
Sicht auf Maria eine eher biblische – historische
ist. Sie ist eben die Frau, die Jesus geboren hat. Die katholische
Tradition sieht in Maria hingegen mehr die
Jungfrau und Mutter, die Erst erlöste und Vollendete. Es
wurden auch einige Dogmen veröffentlicht.

Dogmen? Welche zum Beispiel?
Ja, da gibt es das Dogma von der unbefleckten Empfängnis
Marias. Oder das von der leiblichen Aufnahme
Marias in den Himmel. Diese Dogmen
hatten natürlich eine Jahrhunderte
lange Vorgeschichte im Glauben
der Katholiken.

Wann wurden diese Dogmas denn
festgelegt? Wie sind diese entstanden?
Beide Dogmen entstanden im 19.
Jahrhundert, als sich die Katholische
Kirche in einem Abwehrkampf gegen
die Moderne verstand. Da wurde
Maria zum Vorbild in ihrer Gestalt
einer «unbefleckten Kirche». Heute
müssen diese Dogmen allerdings
anders verstanden werden.

Über Maria gibt es auch Kontro -
versen, zum Beispiel über die umstrittene
Bezeichnung ihrer «Jungfräulichkeit
». Wird in der Broschüre
darauf eingegangen?
Es ist klar, dass erklärt werden
muss, was die Bibel meint, wenn sie
von Jungfräulichkeit spricht. Es wird
versucht, im historischen Rahmen zu
zeigen, wie in der Antike, als das
Neue Testament entstand, über
Jungfrauengeburt geredet wurde und
was Jungfrauengeburt heute symbolisch
bedeuten könnte.

Was meinen Sie damit?
Die Jungfräuliche Geburt meint ein
Symbol für eine Geburt «ganz von
Gott her». Sie ist nicht von Menschen
«gemacht». Dies kommt übrigens
nicht nur in der Bibel vor, sondern
auch in der übrigen Antike. Da gibt
es mehrere berühmte Persönlich -
keiten, von denen man sich erzählt,
dass sie jungfräulich geboren wurden.
Jungfräuliche Geburt meint:
«Das ist nicht ein gewöhnlicher
Mensch, der hier zu Welt kommt,
sondern jemand, der von Gott
kommt.» Insofern ist es für die Glaubenden
also keine «normale» all -
tägliche Zeugung gewesen.

Ebenso aussergewöhnlich ist ja
auch die Himmelfahrt Marias. Wie
kam es dazu?
Auch das ist ein Motiv, das öfter in
der Bibel vorkommt. Sehr bedeu-
tende Persönlichkeiten wurden direkt
zu Gott aufgenommen. So zum Bei -
spiel der Prophet Elija oder auch
Jesus von Nazaret. In der Bibel steht
übrigens nichts von der Aufnahme
Marias in den Himmel.
Auf der Broschüre steht der Unter -
titel «Mutter – Prophetin – Himmelskönigin
». Das ist eine grosse Spannweite
von unterschiedlichen Bildern.
Maria als «Mutter» zielt eher auf die
historische Seite, wie auch die «Prophetin
». So wird Maria in der Bibel
beschrieben – während die «Himmelskönigin
» eindeutig ein religiöser
Titel ist.

Was kann man sonst noch aus der
Bibel über Maria erfahren?
Aus der Bibel erfährt man, dass sie
sehr jung gewesen sein muss, als
sie Jesus zur Welt gebracht hat.
Innerhalb der Evangelien ist eine
Entwicklung festzustellen, wie sie
immer näher an Jesus heranrückt.
Dennoch sagen die biblischen Erzählungen
selbst wenig über Maria aus.
Erst spätere Schriften, die aber nicht in die Bibel aufgenommen
wurden, weil sie historisch wesentlich unzu -
verlässiger sind, spekulieren über das Leben Marias.

Warum gibt es nur so wenig, wenn sie doch eine so
zentrale Persönlichkeit war?
Die christliche Religion fing nicht mit der Frage an «Wo
kam Jesus her und wie war seine Familie?», sondern mit
Bekenntnissen zum Auferstandenen. Je weiter die
Geschichte voranschreitet, umso interessanter wurden
Fragen über die Kindheit Jesu, über seine Mutter und
seinen Vater. Aber es war eben noch nicht das Hauptinteresse
der Evangelisten.

Was spielen denn diese Bilder in der heutigen Zeit für
eine Rolle? Haben sie Auswirkungen auf die Religiosität
der Menschen?
Diese Frage ist schwer zu beantworten, weil selbst die
Verehrung Marias in der katholischen Kirche eine riesige
Spannweite aufweist. Das reicht von einem sehr nüchternen
Umgang der Menschen mit Maria bis hin zu einem
total überzogenen «Kult». Eine einfache Beschreibung à la
«So ist das in der Katholischen Kirche» ist nicht möglich.
Es hängt zum Beispiel davon ab, ob eine Gegend seit
Jahrhunderten katholisch geprägt ist. Es macht einen
Unterschied, ob man in einem Marienwallfahrtsort lebt
oder in Zürich. Je nachdem, wie man als Katholik auf -
gewachsen ist, hat man einen anderen Bezug zu Maria.

Interview: Thomas Mühlebach