Wir beraten

Brauchen wir eine Elite?   

Winfried Bader zur Lesung am 2. Fastensonntag SKZ 6-7/2008

Alttestamentliche Lesung: Gen 12,1–4a
Evangelium: Mt 17,1–9

Wie ist das mit Privilegierten, mit Auserwählten, mit solchen, die alles immer etwas besser können, solche, die immer etwas mehr dürfen als der Rest: Brauchen wir solche Eliten? Oder passt das nicht mehr zu unserem demokratischen Grundverständnis und der christlichen Auffassung, der Gleichwertigkeit von Menschen?

Mit Israel lesen

Mit der heutigen Lesung zum zweiten Fastensonntag beginnt auch in der jüdischen Toraleseordnung ein neuer Wochenabschnitt. Es ist die Parascha Lech Lecha – «Zieh weg». Nach dem Eröffnung Bereschit – «Im Anfang» und Noach ist es der dritte Wochenabschnitt. Adam ist die erschaffene Menschheit, Noach ist die Menschheit, der sich Gott verpflichtet. Mit Abraham beginnt die Erwählung.

Jüdische Ausleger sehen eine Abfallsgeschichte. Die 10 Generationen von Adam bis Noach sind ein Abstieg mit Sünde und Mord. Nach der Flut sind es wieder 10 Generationen. Die Menschen wollen sich im Turm zu Babel einen eigenen Namen machen und werden aufgeteilt in Sprachen und Nationen. Nun wird von Gott ein Einzelner auserwählt, ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk zu gründen. Rabbi Jehuda HaLevi fragt, ob Gott nicht besser allen Menschen diese Zustimmung hätte geben sollen. Der Midrasch erklärt, dass nach dem Abfall der Menschen nun ein Volk ausgewählt wird für den Segen, bis alle Völker, die jetzt die Sprache des anderen nicht verstehen, abermals eine Familie werden. Es beginnt also mit Abraham die grosse Pädagogik Gottes.

«Der Herr sprach zu Abram» (Gen 12,1). Abgesehen von einer kleinen Notiz in Gen 11,26-32, wo Terach als Vater Abrahams ausgewiesen wird, wissen wir über Abraham nichts. Das führt zur Frage der jüdischen Ausleger, was sein Verdienst ist, dass er auserwählt wird. Die Frage wird durch fromme Legenden beantwortet, die – mit Motiven, die wir aus dem Danielbuch kennen, – Abraham im Kampf gegen die Götzen des Königs Nimrod (Gen 9,12) zeigen. Die Tora selbst wollte davon aber nicht berichten, um die Götzendiener nicht nennen zu müssen, so der RAMBAN (Rabbi Mose ben Nachman um 1300). Der Midrasch gibt eine bessere Antwort. Zehn Versuchungen werden von Abraham in der Tora aufgezählt. Ausser Ijob gibt es in der Schrift keinen, dem es härter erging als ihm. Das ist der Beweis für seine Frömmigkeit, die schon vor seiner Auserwählung da war und ihn dafür empfahl. Denn Rabbi Jonathan sagt: «Ein Töpfer probiert keine gesprungenen Töpfe aus. Er probiert gute Töpfe, die nicht zerbrechen, auch wenn man viele Male auf sie schlägt» (Bereschit Rabbah 32).

«Zieh weg – lech lecha» (Gen 12,1). Das erste Wort an Abraham ist dieser Imperativ: «Geh – Lech». Nach den jüdischen Auslegern bedeutet dieses Verb YLK – gehen immer, dass wir uns dem höchsten Ziel nähern, unserem Schöpfer dienen sollen. Es bedeutet auch «weitermachen»: Wir sind bereits auf dem Weg und sollen weiterschreiten.

«Lech Lech» steht zweimal, ist ein doppelter, damit sehr intensiver Imperativ. Man kann beim zweiten Mal aber auch le-cha – «für dich» lesen. «Gehe für dich» – gehe selbstständig, habe dich selber im Blick. Oder: «Gehe in dich, gehe zu dir selbst», so fordert uns Gott auf, zu unserem wahren Wesen und unserem höchsten Ziel zu gehen, weil wir dafür geschaff en wurden (Lubawitscher Rebbe).

«Aus deinem Land, von deiner Verwandt schaft und aus deinem Vaterhaus» (Gen 12,1). Der Dreischritt zeigt die Radikalität des Geforderten, spielt an auf Gen 22,1, wo wiederum auf dreifache Weise das Loslassen des Geliebten gefordert wird. Die Rabbinen beobachten, dass Abraham bereits mit seinem Vater sein Land verlassen hat, als sie von Ur nach Haran übersiedelten. Warum also nun «Verlass das Land?». Rashi lässt die Berufung Abrahams in Etappen geschehen, wobei das Verlassen des Landes noch von der ganzen Familie mitgemacht wird. Chizkuni meint, wenn Abraham nun seine Familie verlassen soll, dann zeigt der Zusatz «verlass dein Land», dass er nicht von Haran nach UR zurück kehren darf, sondern dass er weiterschreiten soll. Moderne jüdische Ausleger betonen den psychologischen Aspekt: Wichtige Schritte muss man selbst tun, sich dabei aus dem Einfluss der Gemeinschaft (Land), aus dem Einfluss von Verpflichtungen (Verwandtschaft) und aus dem Einfl uss der leiblichen Herkunft (Vaterhaus) lösen.

«In das Land, das ich dir zeigen werde» (Gen 12,1). Abraham wird nicht gesagt, wohin er gehen soll. Es ist ein Gehen im Glauben. Das unbekannte Ziel lässt Abraham off en sein. Er muss genau hinhören auf weitere Zeichen Gottes. Er braucht diese innere Haltung des Empfangens – wie wir Menschen heute.

«Ich werde dich zu einem grossen Volk machen, dich segnen und deinen Namen gross machen» (Gen 12,2). Dem dreifachen Verlassen entspricht der dreifache Segen. Nachkommenschaft, Wohlstand und Berühmtheit wird Abraham versprochen.

«Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verf ucht, den will ich verfluchen» (Gen 12,3). Warum wird das übers Kreuz formuliert und sagt die Tora nicht «... und verfluchen, die dich verfluchen» in paralleler Konstruktion?, fragen sich die Ausleger. Die Gemara (Kidduschim 40a) sagt: Gott belohne jeden, der vorhat, ein Gebot zu befolgen, selbst wenn die Umstände ihn daran hindern. Für eine Sünde aber, werden wir nur bestraft, wenn wir tatsächlich sündigen. Wenn ein Mensch segnet oder verflucht, denkt er zuerst daran und spricht dann aus, was er denkt. Darum sagt Gott zu Abraham: «Ich werde segnen, die dich segnen, sobald sie vorhaben, dich zu segnen, selbst wenn sie daran gehindert werden. Aber jene, die dich verfluchen, werde ich erst dann verfluchen, wenn sie dich tatsächlich verflucht haben, nicht schon, wenn sie daran denken».

Mit der Kirche lesen

Abraham ist der Stammvater der Juden, er ist der Träger der Verheissung von Volk und Land. Abraham ist der Vater des Glaubens, damit eine zentrale Figur auch für uns Christen. Abraham ist der Vater Ismaels, damit der Ahne für die Muslime. Zur ökumenischen Figur wird Abraham aber auf andere Weise: Er ist der erste Jude, noch bevor es das Gesetz gab. So kann Martin Buber den Satz formulieren, der analog für jede Religion gilt: «Es gibt das Judentum von Mose, welches sich vom geschrieben Wort und den Geboten abhängt, und es gibt jenes von Abraham, eine rein intellektuelle Verbindung des freien Menschen zur Wahrheit».

Die Wochenabschnitte der jüdischen Toralesung

Im jüdischen Synagogengottesdienst am Sabbat wird die Tora als fortlaufender Text vorgelesen. Entsprechend den Wochen des jüdischen Jahres wurde der masoretische Text im 3. Jahrhundert n. Chr. in 54 Abschnitte eingeteilt. Diese Leseabschnitte nach babylonischer Ordnung werden Parascha (hebräisch p-r-sch: Einteilung, Absonderung) genannt, im Deutschen auch Wochenabschnitt. Die Paraschijot (Mz. von Parascha) werden im Hebräischen benannt nach den Worten, mit denen sie beginnen oder nach dem ersten wichtigen Begriff. Nach diesen Namen der Paraschijot werden im Judentum auch die Sabbate selbst bezeichnet.