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Schwerter zu Pflugscharen   

André Flury-Schölch zur Lesung am 1. Adventssonntag SKZ 47/2007

Alttestamentliche Lesung: Jes 2,1–5
Evangelium: Mt 24,37–44 oder 24,29–44

Kaum ein anderes biblisches Bildwort hat soviel Wirkkraft und eine so breite Anerkennung auch über jüdisch-christliche Kreise hinaus erzielt, wie Jesajas / Michas Vision vom Umschmieden der «Schwerter zu Pflug scharen». Berühmt ist die Plastik, welche die Sowjetunion zu ihrem Eintritt der UNO schenkte. Weniger bekannt der Stoff-Aufnäher, welcher ab 1980 in der Friedensbewegung der DDR eine markante Rolle spielte. Und auf der andern Seite sind wenige Texte der Evangelien heutigem Glaubensempfinden schwerer zugänglich als die Gerichtsreden in Mt 24–25, insbesondere in ihren apokalyptischen Passagen.1 Wie sollen die Texte in der Homilie aufeinander bezogen werden? Vielleicht, indem auf die Unterschiede aufmerksam gemacht wird und so zu eigenem Nachdenken in Bezug auf die Zukunftserwartungen angeregt wird?

Mit Israel lesen

Jes 2,1–5 (par Mi 4,1–4) ist eine der bekanntesten und schönsten Friedensvisionen des ATs. Sie ist nicht apokalyptisch zu verstehen, bezieht sich also nicht auf die Endzeit, wie es viele Übersetzungen meinen lassen («am Ende der Tage»), sondern auf Gottes Wirken in der Geschichte: bacharit hajom (1,2) meint hier zukünftige / noch ferne Tage, aber Tage in dieser Weltgeschichte. Zudem entspringt die noch entfernte Zukunft dem Heute (siehe unten zu 2,5). Das Besondere dieser Friedensvision besteht darin, dass die fremden, heidnischen Nationen, die sonst so oft als Feinde Gottes und Israels angesehen werden (vgl. das Kontrastbild Joel 4,1.9–12), hier eine Vorbildfunktion für Israel erhalten: All diese fremden Nationen sagen: «Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg JHWHs, zum Haus des Gottes Jakobs» (1,3). Sie erkennen, dass vom Zion «Weisung JHWHs» ausgeht (1,3). Sie bitten Gott, er möge ihnen seine Wege zeigen. Ausgangspunkt der Weisung JHWHs ist der Zionsberg mit dem Tempel (= «Berg mit dem Haus JHWHS»), der «fest gegründet» ist und in seiner theologischen, völkerverbindenden Bedeutung, nicht aufgrund seiner Topographie, alle andern Hügel überragen wird (1,2). Der Inhalt der Weisung (hebr. torah) wird wie folgt beschrieben: JHWH spricht Recht im Streit der Völker und weist Nationen zurecht (1,4a). Es wird also nicht die Vorstellung vertreten, es gebe überhaupt keine Konflikte mehr zwischen den Völkern, doch die Weisung Gottes bzw. der Rechtsspruch Gottes wird von allen Völkern anerkannt werden. Die Folge der Rechtssprechung Gottes ist es, dass die Nationen «Schwerter zu Pflugscharen und Lanzen zu Winzermessern» schmieden, dass keine Nation mehr gegen die andere das Schwert zieht und keine Nation mehr den Krieg lernt / übt (1,4b). Mit andern Worten: Die Folge der Rechtssprechung Gottes ist erstens der unbedingte und dauerhafte Verzicht auf Waffengewalt und Kriegshandlungen; zweitens die Konzentration der menschlichen, politischen und religiösen Kräfte auf das Lebensnotwendige: «Pflugscharen» und «Sicheln» werden gebraucht bei der Aussaat und der Ernte von Getreide usw. Die Erzeugung von genügend Lebensmitteln für alle Menschen und Nationen tritt damit im Bildwort des Jesajas an die Stelle von Aufrüstung und Kriegstreiberei. Umfassender gesagt: Der Verzicht auf Waffengewalt sowie die gerechte Verteilung der Lebensgüter unserer Erde sind die Voraussetzungen für Frieden. In Bezug auf die Gerechtigkeit formuliert dies auch Jes 32,17: «Und das Werk der Gerechtigkeit wird Friede sein und der Ertrag der Gerechtigkeit Ruhe und Sicherheit für ewig.» Ohne Gerechtigkeit ist Friede ein Scheinfriede, ohne Abrüstung lediglich das Schweigen der Waffen.

Nun könnte dieser Vision vorgeworfen werden, sie sei ein naiver Wunschtraum oder sie vereinnahme andere Völker in religiöser Hinsicht, da diese zu JHWH pilgern sollen. Doch interessanterweise erfolgt in 2,5 kein Anspruch an die andern Nationen, sondern eine Aufforderung an Israel: «Ihr vom Hause Jakob, kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Lichte JHWHs.» Die Verwirklichung von Jesajas Vision des Völkerfriedens in ferner Zeit beginnt für Israel im Hier und Jetzt: Insofern und in dem Masse wie Israel in der friedensschaffenden Gerechtigkeit Gottes lebt, werden andere – ja alle Völker, so die Hoffnung – sich von Gottes Wirken an und in Israel anstecken lassen und selber nach den Weisungen Gottes leben.

Mit der Kirche lesen

24,29–44 steht innerhalb der fünften und letzten grossen Rede des Mt-Ev, die Jesus auf dem Ölberg an die Jüngerschaft richtet: 24,3-32 und 25,31–46 bilden einen apokalyptisch gefärbten Rahmen um die paränetisch geprägten Warnungen an die Gemeinde vor dem drohenden Gericht 24,33–25,30.

An wesentlichen Unterschieden zwischen Jes 2,1–5 und Mt 24,29–44 sind u. a. folgende zu nennen: (a) Während Jes den Völkerfrieden innerhalb der Menschheitsgeschichte herbeisehnt, so ist zumindest Mt 24,3–32.33 apokalyptisch zu verstehen und das Endgericht geht einher mit dem Ende des Kosmos (24,29.33). (b) Während Jes 2,2–4 «allen Nationen» eine positive Vorbildfunktion beimisst, so bewirkt bei Mt die Parusie Christi, dass «alle Völker der Erde jammern und klagen» (24,30). (c) Während Jes 2,1–5 die Vision eines gemeinsamen, friedensstiftenden Bezugspunktes in der Weisung Gottes vom Zion her entwirft, so malt Mt die grosse Scheidung: Die Ungerechten werden in der Hölle «draussen» fern von Gott und Christus mit «Heulen und Zähneknirschen» in der äussersten Finsternis darben (8,12; 22,12 f.; 23,13; 24,51; 25,30.46), – die Gerechten / Auserwählten werden sich am himmlischen Festmahl freuen (8,11; 22,11; 25,10.21.23.46; vgl. 26,29) und bei Gott im Licht leben (13,43). (d) Während Jes den Völkerfrieden in «fernen Tagen» erhoff t, so erwartet Jesus gemäss Mt 24,34 das Endgericht noch in dieser Generation (vgl. 10,7.23; 16,28; 24,22) – was sich bekanntlich nicht erfüllte.

Beiden Texten gemeinsam ist, dass sie im Dienste praktisch gelebter Ethik stehen wollen: Jes 2,5 fordert das Haus Jakob dazu auf, seine Wege im Lichte JHWHs zu gehen, wobei Licht parallel gesetzt ist zur Weisung / Torah Gottes (vgl. auch 9,1; 10,17; 30,26; 42,6 u. ö.); Mt 24,42–44 ermahnt zur Wachsamkeit, welche im weiteren Erzählverlauf des Evangeliums die ethische Verantwortung gegenüber den Mitmenschen (24,45– 51), aktives Engagement mit den geliehenen Talenten (25,15–23) und vor allem praktisch-tätige Nächstenliebe gegenüber den Schwächsten und Geringsten (25,31–40) umfasst.

1 Die exegetische Hauptfrage in Bezug auf Lk 24,29 –44 sowie auf die andern Gerichtsworte in 24–25 ist, wie sich die Ansage bzw. Erfahrung der Zerstörung des Tempels / Jerusalems zu den Vorstellungen vom endzeitlichen Gericht und der Wiederkunft Christi verhält. Homiletisch werden andere Fragen im Vordergrund stehen: Was bedeuten die Bilder und Weissagungen? Welche Glaubenserfahrungen wollen zum Ausdruck gebracht werden? Welche heutigen Erfahrungen verbinden sich mit den Vorstellungen von einem Endgericht Gottes, der Parusie Christi und dem Ende der Welt?