Wir beraten

Herbst   

«Es knospt
unter den Blättern
das nennen sie Herbst.»

Dieses Gedicht stammt von Hilde Domin. Es verbindet den Herbst mit der Zeit, in der es knospt, in der neues Leben aufbricht. Wir sind es gewohnt, diese Zeit Frühling zu nennen. Aber hat die Dichterin nicht Recht? Fängt das Leben nicht früher an?

Vor etlichen Jahren wurde ein Satz an viele Mauern gesprayt: «Es gibt ein Leben vor dem Tod». Er ist mir im Gedächtnis geblieben bis heute. Er hat Sehnsucht in mir ausgelöst, Sehnsucht nach mehr Lebendigkeit. Nicht irgendwann, nicht erst nach der Pensionierung, nicht erst im Jenseits. Jetzt und hier. «Es gibt ein Leben vor dem Tod» ist bis heute auf eine Wand in meinem Inneren gesprayt.

In meiner Arbeit schaffe ich Räume, in denen Menschen der Bibel begegnen. Wenn diese Räume Wände hätten, würde ich ebenfalls einen Satz darauf sprayen. Er stammt von der Theologin Regula Strobel und lautet: «Am Karfreitag wurde ein Auferstandener gekreuzigt». Es gibt Auferstehungserfahrungen vor dem Tod. Auch wir können heute eine machen. Wir können heute der lebendigen Kraft Gottes begegnen, von der die Bibel erzählt. Heute, im Herbst, wo es knospt.

Ich möchte in meinen Räumen eine Kerze anzünden für die Menschen, die heute als Auferstandene gekreuzigt werden. In Burma zum Beispiel, in diesem Herbst.

Peter Zürn