Wir beraten

Es kann gar nicht genug Bibelübersetzungen geben   

Dieter Bauer, SKZ 38/2007

Eine kleine Würdigung der «Bibel in gerechter Sprache»
Die im Herbst 2006 erschienene «Bibel in gerechter Sprache» hat heftige Kontroversen ausgelöst. Nachdem ihr Erscheinen lange angekündigt war und auch der Gütersloher Verlag im Vorfeld bereits einen grossen Presserummel veranstaltet hatte, waren die Erwartungen enorm. «Die Bibel in gerechter Sprache ist das Buch der Bücher für das neue Jahrtausend auf der Höhe der derzeitigen Forschung» lässt der Verlag auf seiner Homepage www.bibel-in-gerechter-sprache.de verlauten. Und manche meinten schon, dass diese neue Übersetzung alle anderen überflüssig machen könnte.

Kontroverse Reaktionen

Umso heftiger fielen dann natürlich auch die Reaktionen aus. So ziemlich die böseste Reaktion, die mir bisher begegnet ist, war die von Ingolf U. Dalferth in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 18. November 2006: «Die Übersetzung (…) ist nicht nur hermeneutisch einseitig, sondern an vielen Stellen philologisch unzuverlässig, historisch irreführend und theologisch konfus. Philologisch, historisch und theologisch ist diese Übersetzung unbrauchbar. (…) Dass weite Kreise der evangelischen Kirche und akademischen Theologie diese Neuübersetzung unterstützt und begleitet haben, ohne sich daran erkennbar zu stossen, wirft ein trauriges Licht auf den Zustand der protestantischen Theologie.» Der systematische Theologe und Religionsphilosoph an der Universität Zürich liess kein gutes Haar an dieser Übersetzung. Ganz anders aber zum Beispiel der frühere Zentralsekretär des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks, Anton Steiner, in seiner Besprechung im «Aufbruch» (8/2006):

«Ein hoch interessantes theologisches Unterfangen! Wer sich darauf einlässt, wird spüren, wie seine Rede von und an Gott lebendiger, persönlicher und anspruchsvoller wird. Ich denke: Die Übersetzung lädt in ihrer schönen Aufmachung und durch ihren klaren Satz zum Lesen ein. Die Übersetzung stösst an, weckt, weckt Verstehen und neue Fragen. (…) Kurz und gut: eine Einladung, mit den alten Texten weiterzudenken und –zugehen in unserer Zeit.» Für Anton Steiner gab es keinen einzigen Punkt, den er negativ kritisiert hätte.

Und es gab – Gott sei Dank – auch ausgewogene Reaktionen, die die hochgeschlagenen Wogen etwas glätteten: «Auch die «Bibel in gerechter Sprache» ist nicht die einzig richtige Übersetzung, wie der Herausgeberkreis selber sagt. Manche einzelne Stelle gibt zu Diskussion und Kritik Anlass. Doch insgesamt ist das Buch ein Wurf, der viele eingeschliffene und unverständliche Texte in ein neues Licht rückt und mit seinen Verstehenshilfen tiefer erschliesst.» So Viktor Dormann im «Sonntag» vom 16. November 2006.

Die Anliegen der «Bibel in gerechter Sprache»

Am besten scheint mir, diese Übersetzung an den selbst gesetzten Zielen zu messen und zu schauen, wie sie die eigenen Anliegen umgesetzt hat. Die «Bibel in gerechter Sprache» hat ja bekanntlich eine ganz wichtige Wurzel im Deutschen Evangelischen Kirchentag. Dort wurden seit fast 20 Jahren für die Bibelarbeiten alternative Übersetzungen der Bibeltexte durch die Auslegerinnen und Ausleger selbst vorgelegt. Das Prinzip dieser Übersetzungen war eben das einer «gerechten Sprache», und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Bibelarbeiten äusserten bald den Wunsch, ob nicht daraus eine eigene Übersetzung der ganzen Bibel erwachsen könnte. Viele der damaligen Übersetzerinnen und Übersetzer haben sich dafür gewinnen lassen, eine solche Übersetzung anzugehen, und schliesslich haben 52 Bibelwissenschaftlerinnen und Bibelwissenschaftler knapp fünf Jahre ehrenamtlich an der vollständigen Neuübersetzung der Bibel, einschliesslich der Apokryphen bzw. Deuterokanonischen Schriften gearbeitet.

Was aber ist «gerechte Sprache»? Auf ihrer Homepage nennen die Herausgeberinnen im Wesentlichen vier Bereiche, in denen «Gerechtigkeit» eingefordert wird.

Textgerechtigkeit

Sie möchte den biblischen Ursprachen Hebräisch und Griechisch möglichst genau gerecht werden.
Sie möchte Menschen von heute ansprechen – in einer unkomplizierten, zeitgemässen Sprache, die bei aller Verständlichkeit das Geheimnis der biblischen Texte wahrt.

Geschlechtergerechtigkeit

Es gab sie, die Jüngerin, die Apostolin, die Diakonin. Die Übersetzung macht Frauen auch in denjenigen Texten sichtbar, die sie zwar mitmeinen, aber nicht ausdrücklich nennen.

Gerechtigkeit gegenüber dem Judentum

Gott hat in der Bibel einen Eigennamen, der geheiligt werden soll. Anstelle des unaussprechbaren Gottesnamens, der in christlichen Übersetzungen üblicherweise mit «Herr» wiedergegeben wird, bietet sie mehrere Lesemöglichkeiten, zum Beispiel «die Lebendige», «der Ewige», «GOTT», «Adonaj» oder «der Name». Gott übersteigt alle menschlichen Vorstellungen.
Es wird ernst genommen, dass Jesus Jude war und in der Tradition seines Glaubens lebte.

Gerechtigkeit gegenüber sozialen Gegebenheiten

Unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen haben Menschen damals gelebt? Wie sind sie miteinander umgegangen – häufig viel weniger hierarchisch, als wir uns das heute vorstellen. So wird sichtbar, wie bestehende Machtstrukturen durch die Herrschaft Gottes in Frage gestellt werden. Angestrebt wird also «Gerechtigkeit» einem Jahrtausende alten Text gegenüber und gleichzeitig dem heutigen Menschen gegenüber, v. a. den Frauen. Und natürlich dem Judentum gegenüber. Geht das alles überhaupt auf einmal? Daraus ergeben sich für mich verschiedenste Anfragen:

1. Anfrage: Was meint «Gerechtigkeit»?

Was meint «Gerechtigkeit»? Ist das moralisch gemeint? Als Gegenteil von «Ungerechtigkeit»? Oder ist es eher nicht moralisch gemeint, sondern im Sinne von «entsprechend », «angemessen», so dass das Gegenteil dann «unangemessen» wäre. Bei der «Text gerechtigkeit» ist wohl eher Letzteres angestrebt: den Urtext «angemessen » zu übersetzen. Aber was ist, wenn ein Text moralisch «ungerecht» daherkommt, etwa das Johannesevangelium mit seiner pauschalen Rede von «den Juden»? Welche Übersetzung ist dann «textgemäss». Welche ist dem Judentum gegenüber «gerecht»? Und: Aus welcher Perspektive wird bestimmt, was «gerecht» ist? Von damals her, oder von heute her?

2. Anfrage: Was meint «Textgerechtigkeit»?

Positiv aus meiner Sicht ist zunächst einmal: Der Gottesname JHWH ist jeweils markiert, nämlich grau unterlegt. Das heisst: Man kann – im Gegensatz zu vielen anderen Übersetzungen – erkennen, wo der Name jeweils steht. Aber: Die Übersetzerinnen und Übersetzer entscheiden sich zwar jeweils für eine Übersetzung. Welche allerdings dann – bei der eigenen Bibellektüre oder beim Verlesen im Gottesdienst – gewählt wird, bleibt den Lesenden überlassen. Dafür gibt die «Bibel in gerechter Sprache» jeweils in einer Kopfzeile gendergerechte Wahlmöglichkeiten vor. So verständlich es in diesem Zusammenhang sein mag, dass die traditionelle Lesart «HERR» hier gerade ausgeklammert wird: Herrschaftskritische Stellen müssen so natürlich letztlich unerklärbar bleiben!

3. Anfrage: Was meint «Geschlechtergerechtigkeit»?

«Ich ermahne euch, Brüder», steht im ersten Korintherbrief, und diese Anrede wird im Lauf des Schreibens gleich mehrmals wiederholt (1,10–11; 2,1; 4,6; 10,1). Dass solche inklusive Begriff e mit männlichen Formulierungen auch Frauen einschliessen, bringt die «Bibel in gerechter Sprache» im Deutschen zum Ausdruck: Aus «Brüdern» werden «Geschwister», oder eine Formulierung wie «jeder, der lebt und an mich glaubt» in Johannes 11,26 wird durch eine geringfügige Veränderung zu «alle, die leben und an mich glauben», weil wohl nicht gemeint sein kann, das diese Aussage nur Männer betrifft.

Das Prinzip, Frauen mit zu nennen, wird konsequent durchgezogen: « Griechen und Griechinnen, Juden und Jüdinnen, Propheten und Prophetinnen, Pharisäer und Pharisäerinnen, Sünder und Sünderinnen, Jünger und Jüngerinnen, Apostel und Apostelinnen.» In der Bibel gibt es zwar nur wenige Stellen, wo eindeutig Prophetinnen oder Jüngerinnen und Apostelinnen vorkommen, aber die Beweislast wird jetzt umgedreht. So wird nun aus der Apostelgeschichte das Buch «Über die Zeit der Apostelinnen und Apostel»; die beiden Königsbücher werden zu Berichten «Über die Zeit der Königinnen und Könige» und das Richterbuch heisst jetzt: «Über die Zeit der Richterinnen und Richter», auch wenn dort nur eine einzige Richterin vorkommt: Debora. Für problematisch halte ich aber: Natürlich richten sich die Buchbezeichnungen nach den traditionellen Bezeichnungen. Doch: Schon die «Apostelgeschichte» war nicht wirklich eine «Geschichte der Apostel», sondern eher eine des Apostels Paulus. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass die aus dem Römerbrief bekannte Apostelin Junia nun die Last eines Buchtitels tragen muss, der dem Inhalt kaum entspricht. Auch bei Matthäus 23,25 kann man sich fragen, ob die Veränderung des Textes von den ehemals als «Heuchler» beschimpften «Pharisäern und Schriftgelehrten» zu «Scheinheiligen unter den thoragelehrten und pharisäischen Männern und Frauen» eine Verbesserung darstellt.

Gerade bei der Geschlechtergerechtigkeit gäbe es Anfragen zuhauf: Suggeriert nicht «Männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen» (Gen 1,26) zwei Götter? Und nimmt eine Formulierung wie «mit dem Priesteramt betraute Person» nicht das Geschlecht eher heraus, als dass es Frauen als Priesterinnen sichtbar macht? Und ob es wirklich «pharisäische Frauen auf dem Lehrstuhl des Mose» (Mt 23,2) gegeben hat, darf doch mit einigem Recht bezweifelt werden, auch wenn wir heute gerade aus der rabbinischen Überlieferung wissen, dass zur Zeit der Redaktion des Matthäusevangeliums sehr wohl einige Frauen eine in mancher Hinsicht sogar bedeutende Rolle im Blick auf die Bewahrung und Überlieferung der pharisäischen Thora gespielt haben: etwa die Frau des Rabbi Akiba.

4. Anfrage: Was meint «Gerechtigkeit dem Judentum gegenüber»?

Angefangen bei der Abwertung des so genannten «Alten Testaments» gegenüber dem Neuen Testament in der christlichen Kirche bis hin zu den Antijudaismen im Johannesevangelium, die vor allem in christlichen Karfreitagsgottesdiensten eine manchmal verheerende Wirkung ausgeübt haben: Gerade diese Fragestellung einer «Gerechtigkeit dem Judentum gegenüber» – vor allem auch nach Auschwitz – ist ein wahres «Minenfeld»! Was macht die «Bibel in gerechter Sprache» damit?

Wo der Urtext aus heutiger Sicht antijüdisch missverstanden werden kann, aber sicher nicht so gemeint ist, wird korrigierend eingegriffen. So bei den Antithesen der Bergpredigt: «Ich aber sage euch ...» heisst jetzt im Sinne einer Auslegung der Thora: «Ihr habt gehört, dass Gott zu früheren Generationen sprach: Du sollst nicht töten. Wer aber tötet, wird vor Gericht schuldig gelten. Ich lege euch das heute so aus: Wer das Leben der eigenen Geschwister im Zorn beschädigt, wird vor Gericht schuldig gelten...» (Matthäus 5,21 f.). Als Argument dafür wird angeführt, dass mit «ich aber sage euch (oder dir)» «bei anderen Rabbinern der Zeit Jesu die eigene Bibelinterpretation ein[geleitet werden kann], die sich von der anderer Gelehrter unterscheidet».

Allerdings: Wo der Urtext eindeutig – aus historisch erklärbaren (wenn auch nicht zu rechtfertigenden) Gründen – antijudaistisch ist, können solche Übersetzungsversuche an den Rand dessen geraten, was noch «urtextgerecht» ist!

So spricht beispielsweise das Johannesevangelium immer wieder pauschal von Konflikten zwischen Jesus und «den Juden». Das kann vom Verfasser des Evangeliums nach Ansicht der Übersetzerinnen aber offenkundig nicht so gemeint sein – schliesslich sei ja «Jesus selbst Jude» gewesen.

Ausserdem habe die pauschale Redeweise des Johannesevangeliums von «den Juden» eine «problematische Rezeptionsgeschichte» gehabt, in der ein «grundsätzlicher Gegensatz» zwischen Jesus und «den Juden» behauptet worden sei. Angesichts dieser «problematischen Rezeptionsgeschichte» wird ihrer Meinung nach «nur eine differenzierende Übersetzung Sinn und Intention des Textes gerecht». Deshalb geben sie das griechische hoi Ioudaioi = «die Juden» – z. B. in Johannes 7,11 – mit «andere jüdische Menschen» wieder und in V. 13 mit «die jüdische Obrigkeit».

Nachdem die Texte derart «bereinigt» sind, kann man natürlich nicht mehr verstehen, dass ihre Lektüre zu antijüdischen Ressentiments führen oder solche Ressentiments zumindest befördern konnte. Beruhen die Judenpogrome durch Christen, die nach der Karfreitagsliturgie Juden totgeschlagen haben, einfach nur auf einem Missverständnis biblischer Aussagen, die eigentlich ganz anders gemeint waren? Kann man die Bibel so einfach der Kritik entziehen, indem man sie neu übersetzt und «im Hinblick auf den christlich-jüdischen Dialog» einfach nur ein wenig «entschärft»?

5. Anfrage: Was meint «Gerechtigkeit gegenüber sozialen Gegebenheiten»?

Die sozialgeschichtliche Exegese hat – endlich! – den Blick geschärft für Ungerechtigkeiten in der Übersetzung, die soziale Verhältnisse biblischer Zeiten nicht ernst nahmen oder verharmlosten. So sind «Knechte» und «Mägde» damals Sklaven und Sklavinnen gewesen! Und bei den Arbeitern, die für den Weinberg angeworben werden, ist es ein Unterschied, ob ich frage: «Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum?» oder wie in der «Bibel in gerechter Sprache»: «Warum steht ihr hier den ganzen Tag arbeitslos» (Mt 20,6).

Andererseits kann man sich manchmal einfach des Eindrucks nicht erwehren, dass es den Übersetzerinnen und Übersetzern fast peinlich ist, dass die Bibel nicht «politisch korrekt» ist. Darf aber eine heutige Sichtweise von Moral und «political correctness» auf einen Jahrtausende alten Text einfach angewandt werden? Der Wuppertaler Neutestamentler Thomas Söding meint dazu: «Die Bibel taugt nicht als Experimentierfeld zur Selbstdarstellung von Interessengruppen. Das wichtigste Kriterium ist und bleibt die Treue zum Urtext. Die Bibel ist ein altes Buch aus einer vergangenen Zeit. Das macht gerade ihre Würde und Bedeutung, auch ihre andauernde Aktualität aus».

Abschliessende Würdigung

Gerade auch wenn man die zuletzt zitierte Meinung des Neutestamentlers Söding als ebenfalls etwas einseitig empfindet: Bei keinem anderen Buch der Weltliteratur würde man bei der Übersetzung auf die Idee kommen, heutige Ideen einzutragen oder in den Text dermassen korrigierend einzugreifen.

Natürlich ist die Bibel nicht einfach ein beliebiges Buch der Weltliteratur. Und es gibt – zum Teil äusserst disparate – Interessengruppen, denen nicht egal sein kann, wie sie übersetzt wird. In diesem Zusammenhang würde ich einfach dafür plädieren, dieser Übersetzung genau so eine Chance zu geben wie allen anderen Übersetzungen auch. Es kann gar nicht genug Übersetzungen geben. Und natürlich werde ich mich – wie bei anderen Übersetzungen auch – ärgern über manche «Lösungen» – gerade auch, wenn ich mit dem Urtext vertraut bin. Und wer die Ursprachen nicht versteht, kann heutzutage wirklich auf sehr gute «urtextnahe» deutsche Bibelübersetzungen zurückgreifen: die Elberfelder Bibel (Brockhaus), Martin Buber (Deutsche Bibelgesellschaft) für das AT oder Fridolin Stier (Patmos) für das NT. Das verhilft immerhin zu einer gewissen «Mündigkeit» gegenüber stärker interpretierenden Übersetzungen wie der «Bibel in gerechter Sprache», die ihre Stärken sicher weniger in der Treue zum Urtext als in der Aktualisierung für heute hat. Darin aber ist sie meist gut – und in jedem Fall ein wichtiger Gesprächspartner bei der Bibelauslegung oder in der Bibelarbeit.

Dieter Bauer ist Zentralsekretär des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks und Leiter der Bibelpastoralen Arbeitsstelle in Zürich.

Die Bibel in gerechter Sprache. Herausgegeben von Ulrike Bail, Frank Crüsemann, Marlene Crüsemann, Erhard, Domay, Jürgen Ebach, Claudia Janssen, Hanne Köhler, Helga Kuhlmann, Martin Leutzsch und Luise Schottroff. (Gütersloher Verlagshaus) Gütersloh 2006/3. Auflage 2007, geb., 2400 Seiten.